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Wem nützt das DDR-Manifest?

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Daß es in den osteuropäischen Satellitenstaaten Moskaus unter der Decke der ach so geeinigten und kompakten Regimes gärt, ist nicht nur aus der Geschichte dieser Staaten seit 1945 zu erkennen; es muß jedem klar werden, der sich in die Lage eines tschechoslowakischen, ostdeutschen oder polnischen Staatsbürgers zu versetzen versucht. Interessant, daß die Gemüter sich immer zum Jahresbeginn wallen, Diskussionen über die politische Realität in den kommunistischen Staaten des Ostblocks aufflammen, wenn die innerstaatlichen Oppositionen in diesen Ländern lebendig werden und sich um moralische Unterstützung im Westen bemühen. Diesmal ist die Neujahrsbombe in Ostberlin geplatzt, genauer gesagt, in der Redaktion des Hamburger Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, der ein Manifest eines angeblichen „Bundes Demokratischer Kommunisten“ veröffentlichte. Dort startet eine oppositionelle Organisation innerhalb der SED wütende Angriffe gegen das Honecker-Regime.

Seit der Veröffentlichung herrscht Hektik, Wut und Verlegenheit in Ostberlin, zugleich Ratlosigkeit und Zurückhaltungin Bonn Und die Kritiker des ostdeutschen Systems und der Bonner Entspannungspolitik klopfen einander auf die Schultern, denn sie scheinen mit ihren Kassandrarufen doch recht behalten zu haben. Eines freilich muß trotzdem jedem Konservativen klar sein: Die Unterzeichner des Manifestes sind ebenfalls Kommunisten!

Die Frage, wer hinter dem Manifest stehen könnte, ist bei den politischen Kommentatoren der Bundesrepublik und in der Weltpresse zu einem Ratespiel geworden. Es gibt ja auch genügend Anhaltspunkte, die auf die Urheberschaft schließen lassen. - Die nächste Frage, die in diesem Zusammenhang gestellt werden muß: Cui bono -wem nützt's? Vielleicht lassen sich auch aus dem Verhalten der „Spie-gel“-Redaktion Antworten ablesen. Denn was für ein Interesse kann das Nachrichtenmagazin haben, das Ost-berliner Manifest zu veröffentlichen? Schließlich mußten die politisch so ausgezeichnet informierten „Spie-gel“-Journalisten ja wissen, daß sie mit der Veröffentlichung die innerdeutschen Beziehungen empfindlich stören würden.

Uber eines sind sich die politischen Kommentatoren im Westen jedenfalls einig: Das von der DDR-Führung als „dubioses Machwerk“ verteufelte Manifest ist sicher keine Fälschung des Bundesnachrichtendienstes, als das es die Ostberliner Einheitssozialisten hinstellen wollten. Vielmehr könne gerade aus dieser wütenden Reaktion des Regimes geschlossen werden, daß das Manifest echt sei.

Weniger Einigung herrscht bei den Kommentatoren, wenn das Ostberliner Ministerium für Staatssicherheit (MfS) als Urheber genannt wird. Die Ordnungshüter des Staatssicherheitsdienstes würden schon seit geraumer Zeit auf die Chance warten, die Stellung des „liberalen“ SED-Chefs Honecker so weit zu untergraben, daß ein Wink Moskaus genügen würde, um ihn aus seinen Ämtern zu jagen. Außerdem sollten auch mit Hilfe des gefälschten Manifestes die DDR-Bürger gegen Westeinflüsse immun und die Systemkritiker mundtot gemacht werden. Vor allem Art und Weise, wie das Manifest abgefaßt sei, nämlich nicht in der Sprache und Denkweise höherer und mittlerer SED-Funktionäre, lasse darauf schließen, daß da ein übles, von den orthodoxen SED-Kommunisten initiiertes Spiel gespielt werde.

Dagegen spricht jedoch etwas: Das Manifest geht mit seinen zahlreichen antisowjetischen Angriffen teilweise so weit, daß dies nicht einmal dem Staatssicherheitsdienst genehm sein könnte, wenn er mit dem gefälschten Manifest lediglich die Kurskorrektur der SED-Deutschlandpolitik im Auge hat. Schließlich brächte eine solche Korrektur in erster Linie eine noch festere Bindung an den Kreml mit sich, den man vorher mutwillig der Kritik der Bevölkerung preisgegeben hat. Denn über das ist sich selbst die SED-Führung im klaren: Die antisowjetische Stimmung wächst auch bei den DDR-Bürgern von Tag zu Tag!

Genauso lassen die antistalinisti-schen Formeln und die deutschlandpolitischen Vorstellungen der fünfziger Jahre darauf schließen, daß das Manifest nicht in der Hexenküche des Ostberliner Staatssicherheitsdienstes entstanden ist. Der „Rheinische Merkur“ meint, daß die Urheber des Manifestes in den Reihen der früheren Sozialdemokraten zu finden seien, „die vor drei Jahrzehnten beim Zwangszusammenschluß von SPD und KPD in der sowjetischen Besatzungszone zur SED die Hoffnung auf eine demokratische Entwicklung nicht aufgegeben hatten. Sie sind inzwischen enttäuscht und ernüchtert. Wer sie als Verfasser anpeilt, geht vermutlich nicht fehl“.

Aber auch die peinlichen Einzelheiten über den Parteiapparat und seine Führungsfiguren, die zwar den meisten DDR-Bürgern bekannt sein dürften, genauso wie die Auseinandersetzung mit der fatalen Situation im kommunistischen Alltag der DDR, ist Wasser auf die Mühlen der „Spie-gel“-Redaktion, die die Echtheit des Papiers niemals bezweifelt hat. Denn wenn Angriffe gegen das System auf eine so konzentrierte und glaubwürdige Form vorgetragen werden, macht der Unmut der Bevölkerung nicht vor einer bestimmten Institution oder einem bestimmten Politiker halt: Er frißt sich in alle Teile des Systems, nagt an allen Pfeilern des Regimes. Ob das wohl die Urheber, wenn sie im Ministerium für Staatssicherheit um Mielke oder um den SED-Führer Willi Stoph sitzen, bezweckt haben können?

Oder ist bei den Ostberliner Falken innerhalb der SED der Radikalismus und die Moskau-Treue vielleicht doch so groß, daß - selbst auf die Gefahr hin, die letzten Sympathien in der eigenen Bevölkerung zu verlieren - ein gefälschtes Manifest in Umlauf gebracht wird, um die „Liberalen“ aus allen Positionen der Macht zu entfernen? Dieser Gruppe innerhalb der SED waren Helsinki, Belgrad und das offene Auftreten der Eurokommunisten auf dem Ostberliner Kommunistengipfel 1976 immer ein Dorn im Auge, der furchtbar schmerzen mußte, weil er die eigenen Machtpositionen einschränkte. Machte dieser Dorn die Stophs, Miel-kes und wie sie alle heißen derart blind, daß sie alle Folgen eines gefälschten Manifestes nicht einrechneten? Eigentlich unwahrscheinlich, doch beim politischen Kurzsinn der Ostberliner Kommunisten sind solche Spekulationen durchaus angebracht.

Eine Fälschung des „Spiegel“ ist das Manifest jedenfalls sicher nicht, obwohl die Veröffentlichung und die daraufhin gestartete Kampagne auch Mittel zum Zweck gewesen sein kann: Herausgeber Rudolf Augstein, seit seinem Austritt aus dem Bundestag auf die Sozialdemokraten ohnehin nicht gut zu sprechen, hat der Koalition bei ihrer Ostpolitik einen großen Prügel vor die Füße geworfen. Die Redaktion, bekannt als nicht gerade zimperlich, wenn ihr die Arbeit erschwert wird, hat Ost-Berlin eine weithin schallende Ohrfeige verpaßt. Cui bono? Die Frage bleibt trotzdem unbeantwortet stehen!

Dementsprechend vorsichtig ist das Verhalten der deutschen Bundesregierung. Das Manifest enthält schließlich politisches Ideengut, dem auch Mitglieder der SPD verpflichtet sind. Das Ganze dann als „Neujahrscocktail“ zu bezeichnen, ist für die Sozialdemokraten ein Eigentor, das in der künftigen politischen Auseinandersetzung schwer wiegen könnte. Denn wer weiß, wie lange sich die Bonner Regierung noch an das geringste Übel innerhalb der DDR-Führung, an SED-Chef Honecker, • klammern kann?

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