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Insgesamt 41 Parteien standen in den letzten Wochen in der Deut- schen Demokratischen Republik im Wahlkampf, 24 Listen wurden zur Wahl zugelassen. Die großen Lager sind die Sozialdemokraten (SPD), die konservative „Allianz für Deutschland" (Christlich Demokra- tische Union, Demokratischer Auf- bruch und Deutsche Soziale Union), die ehemalige SED, die jetzt Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) heißt, die Liberalen und ver- schiedene alternative linke Partei-en und Gruppierungen. Die Klei- nen, die wichtige Anliegen ver- treten, wie etwa die Grünen, gehen komplett unter.

In Leipzig - wo diesen Mittwoch Helmut Kohl auftrat - sind die Straßen mit Plakaten, Flugzetteln und Karikaturen übersät; vieles geschieht recht unorthodox, eine Partei überklebt einfach das Pla- kat einer anderen. Unterstellungen sind an der Tagesordnung.

Vorvergangene Woche sprach. PDS-Chef Gregor Gysi in Leipzig. Im zum Bersten gefüllten Hörsaal des Universitätsklinikums stand das Publikum ganz auf der Seite des SED-Erben. Gysi argumentiert sehr pointiert und raffiniert. Die Umbenennung der SED in PDS begründet er mit der langen Tradi- tion dieser Partei, die ins vorige Jahrhundert hineinreiche: damit vereinnahmt er nicht nur parteipo- litisch die Sozialdemokraten, son- dern erhebt auch Anspruch auf den Besitz der SPD, den sich die Kom- munisten in den vierziger Jahren angeeignet hatten. Gysi im Origi- nal-Ton: „Ein eingefleischter So- zialdemokrat muß uns wählen, denn eine sozialdemokratische Partei ist nur so links, wie auf sie von links Druck ausgeübt wird."

Zur bevorstehenden Währungs- union zwischen den beiden Deutschländern, Hauptthema des Wahlkampfes und für die Bevölke- rung der DDR wohl interessanter als dieser selbst, meint er: „Durch das Gerede über die Währungs- union, das der Bundeskanzler auf- gebracht hat, wird praktisch ein Investitionsstop herbeigeführt."

Genauer und "treffender äußert sich dazu Jens Reich bei einer Wahl- veranstaltung des „Neuen Forums": „Im Wirtschaftsbereich wird durch das Gerücht, daß ein Unternehmen bankrott ist, der Konkurs meist erst recht herbeigeführt."

Obwohl eine Wahlbeteiligung von etwa 84 Prozent erwartet wird, ist die Unsicherheit in der Bevölke- rung, wie es denn eigentlich weiter- gehen soll, unüberhörbar. „Da werden uns die tollsten Verspre- chungen gemacht. Wie sollen wir wissen, ob sie das halten werden?" Der CDU-Vorsitzende Lothar de Maiziere kämpft gegen Unterstel- lungen und Verunsicherungen: „Wir werden trotz dieser bedrückenden Atmosphäre die schwer erkämpften sozialen Errungenschaften nicht aufgeben." Da spricht die alte Blockpartei, denn die Politik der sozialen Errungenschaften wurde noch gemeinsam mit der SED gemacht.Um die Verwirrung im Wahlkampf noch zu vergrößern, haben die ehemaligen Blockpartei- en LDPD (die Liberalen) und die NDPD (die Nationaldemokraten) ein D aus ihrem Namen gestrichen. Dabei betonen die Liberal- demokraten ausdrücklich, daß das verbliebene D das Deutsche her- vorheben soll.

Unter den „Allianzparteien" ist die DSU das traurigste Kapitel. Im Jänner erst gegründet, ist sie nicht nur durch den Namen als Ableger der .bayerischen CSU erkennbar, sondern auch durch den Slogan „Freiheit statt Sozialismus". Da- neben gibt es die Parole „Wohl- stand statt Sozialismus", die die' Polarisierung „Demokratie statt Sozialismus" vom Herbst vergan- genen Jahres in einen simplen Konsumappell verwandelt.

Die Losung „Keine sozialisti- schen Experimente" verwenden alle drei Parteien der Allianz und auch die SPD. Geleitet wird die DSU von einem ehemaligen Pfarrer der Tho- maskirche, der noch im September 1989 einen Hungerstreik gegen die SED-Regierung in der Kirche ver- boten hatte: „Politik gehört nicht in die Kirche".

Der wegen seines Vorsitzenden Wolfgang Schnur, dem eine Stasi- Spitzeltätigkeit nachgesagt wird, in Turbulenzen gekommene Demo- kratische Aufbruch hat in der kur- zen Zeit seines Bestehens seit Sep- tember 1989 eine rasante Ent- wicklung genommen - von einer Vereinigung, der Böhlener Platt- form, in der Konservative und Lin- ke zusammen um eine demokrati- sche Alternative kämpften, zu ei- ner konservativen Partei, die für „ehrliche Arbeit und gutes Geld" wirbt. In Leipzig hatte dies zur Fol- ge, daß fast der gesamte Vorstand aus der Partei austrat, mit ihm viele Mitglieder, die zum Teil zur SPD und zum anderen Teil zu „Demo- kratie jetzt" gingen.

„Demokratie jetzt" ist wie das „Neue Forum", aber auch wie die grüne Partei, die unabhängige Frau- eninitiative, die Initiative für Frie- den und Menschenrechte eine der hoffnungsvollsten Vereinigungen, die im Wahlkampf aber ziemlich an den Rand gedrängt sind. Doch ge- rade von diesen Bürgerinitiativen kommen Impulse, die für die neue Demokratie wichtig wären: Ein-bringung ökologischer Themen, Auseinandersetzung mit dem Sta- linismus und dem Staatssicher- heitsdienst, Kampf gegen den Mili-tarismus.

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