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Nackte Kämpfer

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Verheiratete Frauen in der DDR sehen den „Seitensprung“ in der Ehe offenbar anders als ihre Geschlechtsgenossinnen im anderen Teil Deutschlands. In 31 Prozent aller Ehescheidungen in Mitteldeutschland war es die Frau, die „fremdgegangen“ war. Das ergab die neueste Scheidungsstatistik der DDR. Alleinige Schuld für diese Entwicklung trägt nach den Worten führender SED-Funktionäre die westliche Welt, die es verstanden habe, besonders unter den jungen Menschen der sozialistischen Länder ein gefährliches „Sexbewußtsein“ zu wecken. Diesen sogenannten Sexgefahren hat die SED jetzt den Kampf angesagt.

So verurteilt beispielsweise der Kolumnist des SED-Blattes „Leipziger Volkszeitung“, Prof. Dr. Wittenbecher, in Bausch und Bogen die „sexuelle Revolution“ beziehungsweise den „Kampf für die sexuelle Befreiung des Menschen“ im Westen, weil dadurch die Herrschaft des Monopolkapitals nicht im geringsten angetastet werde. „Im Gegenteil“, so fuhr Prof. Wittenbecher in Beantwortung einer Leserfrage fort, „das Fördern eines übertriebenen, widernatürlichen Interesses an der Sexua'-lität hilft dem Kapital einerseits, aus der Sexwelle hohe Profite zu schlagen und anderseits, was noch bedeutend gefährlicher ist, trägt es wesentlich dazu bei, Teile der Bevölkerung, besonders der Jugend, vom revolutionären Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung abzulenken oder abzuhalten.“ Prof. Wittenbecher wies zugleich darauf hin, daß in der DDR kein Raum für eine „sexuelle Revolution“ s-3i und daß dieser Begriff „absolut nichts mit unserer marxistisch-leninistischen“ Auffassung von der Revolution gemeinsam, geschweige denn einen Bezug zur sozialistischen Revolution habe. „Würden sich in unserem sozialistischen Staat dennoch Auswüchse dieser westlichen Lebenserscheinung zeigen, so müßten sie bekämpft werden.“

Und in der Tat treten auch im „Staat der Arbeiter und Bauern“ sexuelle Aktivitäten verstärkt in Erscheinung. Der Ruf nach Sex erschallt in der DDR immer lauter.

Das in Ost-Berlin erscheinende „Magazin“, das noch vor einigen Jähreh wegen seiner von einem Teil der Leser als „zu gewagt“ angesehenen Aktphotos Kritik einstecken mußte, wird jetzt hart attackiert, weil es sich „zu prüde“ gebe. In Briefen an die Redaktion verlangen immer mehr Leser „aufreizende Aktphotos“. So schrieb ein .Potsdamer an das „Magazin“: „Fast in jedem Heft werden Deine Aktphotos kritisiert. Ich muß auch sagen, bei Dir sind sogar die Aktphotos noch prüde...“ Der Brief endet mit dem Stoßseufzer: „Wann wirst Du die Bedürfnisse Deiner Leser in dieser Hinsicht etwas besser befriedigen?“ Weibliche Leser des „Magazins“ wollen mehr „schöne Männer“ abgebildet sehen.

Die in der DDR grassierende „Sex-Aufklärungswelle“ hat nun auch die SED-Presse erfaßt. Wie das Rostok-ker SED-Organ „Ostsee-Zeitung“, das Photo einer an felsiger Küste hingegossenen Nackten präsentierte, lockern neuerdings auch andere SED-Zeitungen ihre Seiten mit Aktphotos appetitlicher junger Damen auf. Auch in mitteldeutschen Zeitschriften beziehungsweise Illustrierten erscheinen immer häufiger Aktaufnahmen. Während in den vergangenen Jahren lediglich das Ost-Berliner „Magazin“ derartige Photos abdruckte, sind sie jetzt sogar in FDJ- und Armee-Zeitschriften zu finden. Das Verlangen

der DDR-Bürger nach Sexphotos wird damit aber offenbar bei weitem nicht gestillt. Überall in der DDR kursieren unter der Hand und zu hohen Preisen selbstfabrizierte „Pornohefte“.

Aber damit nicht genug. Zum Leidwesen der mitteldeutschen Parteifunktionäre erfreut sich FKK in der DDR immer größerer Beliebtheit. Die 30 Kilometer Strand, die an der DDR-Küste offiziell für die Anhänger des Nacktbadens freigegeben wurden, sind während der Saison total überfüllt. Die FKK-Jünger haben deshalb, wie die „Norddeutsche Zeitung“ jetzt mitteilte, inoffiziell weitere zehn Kilometer Strand „annektiert“. Nach einer wissenschaftlichen Untersuchung stellen die Fünfundzwanzig- bis Fünfunddrei-ßigjährigen unter den FKK-Jüngern der DDR die größte Gruppe. Mehr als die Hälfte der Anhänger des Nacktbadens sind Ehepaare mit ein oder zwei Kindern.

Die Potsdamer „Märkische Volksstimme“ mahnt zu entschiedener Abgrenzung von dem, „was in der westlichen Welt seit einiger Zeit als sexuelle Revolution bezeichnet wird“. „Wir Marxisten-Leninisten sind für eine Befreiung der Liebe in ihrer ganzen Vielfalt von den Fesseln kapitalistischer oder gar feudaler Vergangenheit, von spießigen Vorurteilen. Wir sind aber, wie Lenin bereits hervorhob, gegen eine freie Liebe, die von Ernsthaftigkeit in der Liebe, von der Verantwortung für das sexuelle Verhalten, vom tiefen Gefühl überhaupt entbindet.“

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