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Der kleine Stalin bleibt!

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Am 4. März wußte die Hauspostille der sowjetzonalen „Sozialistischen Einheitspartei“ auf der zweiten Seite in einer kurzen Notiz zu berichten: „Der Erste Sekretär des ZK der SED hat am 3. März 1958 einen dreiwöchigen Erholungsurlaub angetreten. Auf dem Ostbahnhof wurde er von Mitgliedern des Politbüros und der Regierung verabschiedet.“ Soweit das „Neue Deutschland“. Einige Mitglieder des Politbüros und der Regierung werden diese Meldung im stillen sicherlich ergänzt haben: Leider nicht für immer verabschiedet.

Nein, Walter Ulbricht hat den widerborstigen Genossen durch den Antritt seines Urlaubes (der Urlaubsort wird aus Sicherheitsgründen üblicherweise nicht genannt!) mit lässiger Miene bewiesen, daß die Rebellion innerhalb der SED-Führungsspitze nach seiner Ansicht „liquidiert“ ist. Deutlicher hätte er der Oeffentlichkeit nicht demonstrieren können, daß er wieder Herr im Mause ist. Der „kleine Stalin“, wie Ulbricht in der Zone genannt wird, hat seine dritte Parteisäuberung glücklich hinter sich gebracht und anscheinend die „marxistisch-leninistische Einheit und Geschlossenheit der Partei“ wiederhergestellt.

Bemerkenswert an dieser dritten Säuberung seit Bestehen der SED ist die Tatsache, daß die Ursachen immer die gleichen sind. Die Auseinandersetzung dreht sich um die Grundsatzfrage: Soll die SED einen eigenen deutschen Weg zum Sozialismus einschlagen?

Die Anhänger des gemäßigten Kurses mußten Ihre nationalkommunistischen Ambitionen bis heute mit dem Verlust ihrer politischen Stellung bezahlen. Wenn es in der Zone auch keine Schauprozesse gegeben hat, so wütete die Säuberung in Mitteldeutschland ebenso grausam wie im Ostblock. Von den vierzehn Personen, die zu Ostern 1946 bei der Zwangsverschmelzung KPD/SPD in das Zentralsekretariat der SED gewählt wurden, sind nur noch vier übriggeblieben: Wilhelm Pieck, Walter Ulbricht, Otto Grotewohl und Hermann Matern. Die restlichen zehn sind inzwischen abgesetzt, eingesperrt, aus der Partei ausgeschlossen worden oder sie flohen in den Westen.

Die zweite große Säuberungswelle lösten die Ereignisse um den 17. Juni 1953 in der Zone aus. Damals setzte sich der nationalkommunistische Flügel der SED für eine gemäßigte Politik ein. Die führenden “Köpfe der Opposition gegen Ulbricht waren Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt. Herrnstadt legte seinerzeit eine Resolution vor, in der er die Auflösung der SED forderte. Eine neue kommunistische Partei und eine linkssozialistische Schwesterorganisation nach dem Vorbild der italienischen Nenni-Sozialisten sollten entstehen, bedeutende Wirtschaftszweige reprivatisiert und das Ende der Einparteienherrschaft proklamiert werden. Das Vorgehen von Zaisser und Herrnstadt stand in vollem Einklang mit den Bestrebungen des Moskauer Berija-Kreises. Als Berija gestürzt, verhaftet und schließlich erschossen wurde, hatte Zaisser ausgespielt. Ulbricht kehrte zurück, gestützt auf die Bajonette der Roten Armee. Die Rebellen und ihre Mitläufer Anton Ackermann. Hans Jendretzky und Elli Schmidt kamen in Acht und Bann. Herrnstadt und Zaisser wurden aus der SED ausgestoßen. Wilhelm Zaisser ist Anfang März im Alter von 65 Jahren gestorben. Das „Neue Deutschland“ würdigte ihn mit keiner Zeile!

Obwohl Stalin bereits am 1. März 1953 gestorben war, handelte es sich bei der zweiten Säuberung um eine Ausrichtung der SED in stalinistischem Geiste.

Bei der neuesten Säuberung kann man den Geist Stalins nicht mehr bemühen. Aber ohne in Kremlastrologie zu verfallen, darf man sagen, daß anscheinend Nilcita Chruschtschow das gegenüber den treuen Moskauanhängern wieder gutmachen will, was er mit seiner Rede auf dem 20. Parteitag der KPdSU innerhalb des Ostblocks angerichtet hat. Im Grunde lassen sich die internen Schwierigkeiten der SED auf jene Koexistenz zurückführen. Das kommt deutlich in einigen Diskussionsbeiträgen, die das „Neue Deutschland“ am 25. und 26. Februar publizierte, zum Ausdruck.

Hermann Matern, Mitglied des politischen Büros, hat in seiner Diskussionsrede in einer kaum zu überbietenden Klarheit die innerparteilichen Probleme der SED dargelegt:

„Genossinnen und Genossen I

Wir hatten 1953 eine sehr schwere Lage. Der Feind griff die Partei heftig an und führte eine Kampagne mit allen Mitteln gegen den Genossen Ulbricht. Ich will keine Parallelen zu jetzt ziehen. Aber das drängt sich doch auf. Damals begannen ein paar damalige Genossen die Kampagne gegen den Genossen Ulbricht, weil sie mit ihm Differenzen hatten. Das sah zunächst so aus, als seien das nur persönliche Fragen, als wenn der Genosse Ulbricht nicht freundlich genug gelächelt hätte usw., und plötzlich kam dann die Frage der Partei heraus. Auf einmal stand die Existenz der Partei auf der Tagesordnung. Das war unter den schwierigen Bedingungen damals. Man kann nicht bestreiten, daß die Kampagne des Feindes aus allen Rohren gegen den Genossen Ulbricht so immer in Wellen geht, wenn immer — und das ist der jetzige Fall —, wenn die feindlichen Angriffe besonders massiv sind und wenn der Druck des Feindes sehr groß ist, steht die Frage der persönlichen Differenzen mit dem Genossen Ulbricht. Nun, wollen wir das Schauspiel so alle drei oder vier Jahre immer wieder erleben? Ich meine, das hat doch nichts mit persönlichen Dingen zu tun. Wir sind oder viele sind lange genug in der Arbeiterbewegung und wissen, daß es, selbst wenn es mit persönlichen Dingen beginnt, nach kurzer Zeit eine politische Frage ist. Als Heinz Neumann die Kampagne gegen Thälmann begann — die älteren Genossen werden sich daran gut erinnern —, fing das auch mit persönlichen Verhältnissen an, und in Wirklichkeit stand die ganze Frage der Partei und die Politik der Partei, und ich meine, so muß man die Dinge im Zusammenhang sehen. Die Diskussion über die Fragen von Verhältnissen und Beziehungen begannen also mit verhältnismäßiger Schärfe im Oktober 1956. Die Genossen können sich erinnern, was damals los war, ich meine im Feuer des Feindes aus allen Rohren, und es war klar, daß unter diesen komplizierten und schweren Bedingungen man sich überlegen muß, wie die Arbeit in der Parteiführung organisiert wird...“

Dieses Zitat ist aufschlußreich. Eine so präzise Analyse der politischen Situation innerhalb der SED'bekommt man nicht alle Tage von einem Politbüromitglied geliefert.

Eine wesentliche Tatsache wurde bei der gesamten Diskussion auf jeden Fall klar: Walter Ulbricht erfreut sich innerhalb der SED keiner großen Beliebtheit. Er bildet den Stein des Anstoßes innerhalb des Führungskaders der SED. Es ist nicht so, daß die Opposition innerhalb der sowjetzonalen Staatspartei gegen die kommunistische Ideologie gerichtet ist, die „Rebellen“ sind alle gute Kommunisten (auch die früher abgesetzten waren — und sind es noch — überwiegend treue Kommunisten). Die Gemüter erhitzen sich an der Frage des „Sozialismus in Deutschland“.

Es hat keinen Sinn, zum Beispiel bei Ernst W oll web er nach ideologischen Abweichungen zu suchen. Wollweber war noch nie in seinem Leben „Ideologe“. Daß Wollweber sich mit Ulbricht überworfen hat, dürfte auf rein persönlichen Differenzen beruhen. Wollweber dirigierte seinen Staatssicherheitsdienst nicht „hart“ genug. Wollweber wurde auch nicht erst am 1. November des vorigen Jahres „aus Krankheitsgründen pensioniert“. Wollweber war mindestens schon am 13. Oktober 1957 aus „anderen Gründen“ abgesetzt. An jenem 13. Oktober wurde in der Zone die sogenannte „Währungsumtauschaktion“ durchgeführt, und Ulbricht bedankte sich seinerzeit im „Neuen Deutschland“ für den reibungslosen Ablauf bei dem Ministerium für Staatssicherheit — aber nicht bei Wollweber, der offiziell noch Minister war, sondern bei Erich M i e 1 k e. Daß Wollweber schon längere Zeit nicht mehr das Material sehen durfte, das der Staatssicherheitsdienst sammelt, geht zudem aus der Diskussionsrede von Willi Stoph (Minister für nationale Verteidigung) hervor. Sicherlich waren die Teilnehmer auf der 3 5. Tagung des ZK nicht zu harmlosen Spaßen aufgelegt. Wäre Wollweber tatsächlich bis zum 1. November im Amt gewesen, so wäre die Aeußerung Stophs ein Witz, wenn er sagte: „Woher waren dem Genossen Wollweber diese Differenzen bekannt? ... Genossen! Parteiinterne Informationen wurden beim Feind bekannt, und zwar durch Schwatzhaftig-keit dieser Genossen. Das hat der Partei Schaden zugefügt.“

Otto Grotewohl hat wohl unbewußt den Nagel auf den Kopf getroffen, als er in seiner Diskussionsrede in bildreicher Sprache sagte: „Herr Oberleutnant, die ganze Kompanie steht schief.“ Grotewohl bezog den Vergleich auf Karl Schir-dewan, der bis zum 7. Februar immerhin Kaderchef der SED war. Genau wie Wollweber wurde Schirdewan eine zu „leichte Hand“ in der Gestaltung der Zonenpolitik vorgeworfen. „Genosse Schirdewan war der Meinung, daß man die Taktik des Ventils, die ja damals in Polen und Ungarn angewandt wurde, anwenden müsse.“ So heißt es in dem offiziellen Bericht über die „fraktionelle Tätigkeit der Gruppe Schirdewan, Wollweber und andere“.

Fred O e 1 ß n e r, einst der „Chefideologe“ der SED, gehört nicht zur fraktionellen Gruppe, das wurde ausdrücklich festgestellt. Er wurde aus dem Politbüro nur ausgeschlossen „wegen wiederholter Verletzung der Disziplin des Politbüros und der Weigerung, sich in das Kollektiv des Politbüros einzufügen“.

Eines hat die 3 5. Tagung des ZK der SED deutlich werden lassen: Die Partei steckt in einer ungeheuren Krise. Und daran ist im Grunde nicht Ulbricht schtifd, sondern Chruschtschow, der mit seiner Rede auf dem 20. Parteitag der KPdSU diese ganze Auseinandersetzung heraufbeschwor.

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