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Stalin-Opfer Radek -stets der zweite Mann

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Der 85jährige Prosaist und gesellschaftskritische Beobachter Stefan Heym denkt und schreibt unermüdlich weiter, absolut nicht senil. Soeben kommt (570 Seiten stark) nach langjähriger Recherchen sein historischer Roman „Radek” heraus. Der Autor und der Held des Werkes haben einiges gemeinsam: Radikale Linksdenker, aber einst wie jetzt wird linksradikale Praxis kritisiert. Der 1937 in einem Moskauer Schauprozeß zu zehn Jahren Gefängnis verurteilte und 1939 in irgendeinem Lager umgebrachte Kommunist Karl Bernhardowitsch Radek war ein 1885 in Lemberg geborener Altösterreicher.

Heym emigrierte 1933 zunächst in die Tschechoslowakei, dann in die USA. Er kämpfte im zweiten Weltkrieg im Offiziersrang (hochdekoriert) gegen das Dritte Reich, schrieb dann erfolgreich Romane in englischer Sprache, kehrte während der berüchtigten McCarthy-Ära, von Amerika enttäuscht, nach Europa zurück und schickte, über den Koreakrieg empört, sein Offizierspatent samt Kriegsauszeichnungen dem amerikanischen Präsidenten zurück. Kurze Zeit arbeitete er beim Frankfurter Rundfunk, übersiedelte aber bald in die DDR, wo man ihn mit offenen Armen empfing. Er verfaßte nun (viel gelesene Romane), Erzählungen und Essays in deutscher Sprache, von Jahr zu Jahr kritischer über das SED-System, bis er dortzulande nicht mehr gedruckt wurde, so daß seine Bücher nur noch in der Bundesrepublik herauskamen.

Nach der Wiedervereinigung der beiden Staaten trat er jedoch, optimistisch, der Nachfolgepartei der Kommunisten bei, wurde nach der Wahl 1994 Alterspräsident des Deutschen Bundestages und dafür seither sowohl von Nicht- wie von Exkom-munisten heftig getadelt, ja beschimpft: Mag sein, ein intellektueller Dickschädel, aber absolut sauber und kein Wendehals, genau so wie der unlängst achtzig gewordene Lyriker und Erzähler Stefan Hermlin. Beide glauben unentwegt, daß ihre

Denkart, die so blutige fatale Folgen hatte, auch denkrichtig praktiziert werden könnte.

Wie auch immer: Der brillant ironische Literat Radek (1917 Ijenins Begleiter in dem berühmten „plombierten Zug” aus dem Schweizer Exil, Richtung Rußland) machte eine Karriere durch, die einem letalen Hindernislauf glich. Die scheinbar Gleichgesinnten hatten immer wieder andere Handlungen im Sinn als der puristische Gesinnungs-Linke. •

1904 hatte er Lenin kennen gelernt, Sozialdemokrat, war „immer der zweite Mann”, mußte daher jene Reise in Schweden unterbrechen, weil er als „feindlicher Ausländer” (mit österreichischem Paß) keine Einreiseerlaubnis nach Rußland bekam.

Er bekam sie später, fuhr als Delegierter zum deutschen SPD-Kongreß, wurde einerseits prompt von der Partei ausgeschlossen, entging andererseits nur knapp der mörderischen Verfolgungsjagd 1919 durch Rechtsradikale, der Karl Liebrecht und Rosa Luxemburg zum Opfer fielen; immerhin war er ein Jahr lang eingesperrt und kam erst frei, nachdem man ihn - in Abwesenheit - zum Mitglied des Zentralkomitees der KPdSU gemacht hatte.

Richtungskämpfe gibt es in jeder Partei, aber in der Sowjetunion wurden sie lebensgefährlich als Stalin an die Macht kam. Er war Zentralsekretär geworden, hatte den schwer kranken Parteiführer Lenin, der vergebens vor diesem Nachfolger warnte, „aus Sorge” auf dem Land isoliert. Stalin wollte gar nicht geliebt, sondern vor allem gefürchtet sein, und Radek machte den nächsten Fehler. Er wurde das, was man, im schimpflichsten Sinn einen „Trotzkisten” nannte. Stationen: Verbannung nach Sibirien in ein elendes Nest, plötzlich verlegt in die Stadt und in ein besseres Quartier (Frau und Kind durften nachkommen), dann von Stalin begnadigt, Rückkehr nach Moskau, prominenter Publizist, der nur scheinbar klein beigab, aber seine spitzen Zwischenbemerkungen nicht lassen konnte. Der Herr des Kremls schaute lange zu, ehe er die ganze Opposition vor Gericht brachte.

Noch war Radek Redakteur der Iswestija, er wußte, was ihm drohte und versuchte, sich durch einen Meisterartikel zu retten. „Er schrieb um sein I,eben.” Nun: Er war nicht unter denen, die zum Tod durch Erschießen, sondern unter den paar „Glücklichen”, die zu je zehn Jahren Gefängnis verurteilt wurden. Dort hatte ihn der Diktator sicher in der Hand; falls gefährlichere Zeiten kommeri sollten. 1939 war es so weit. Schußabsatz: „Keiner weiß, wer ihn ermordet hat, und wann, und in welchem Lager, und in wessen Auf-trag.”

Der von den Kommunisten (nicht vom Kommunismus) enttäuschte Stefan Heym hat sich diesen tragischen Lebenslauf, sozusagen, von der Seele geschrieben. Er idealisiert seinen Radek durchaus nicht, der wollte das Beste, hat aber schwere Fehler gemacht, taktische und sogar moralische. Zwischen den Zeilen könnte man lesen: Der Literat Heym hat aus dem Schicksal des Literaten Radek so viel gelernt, daß er Ulbricht und Honecker ohne Haft überlebte.

Er weiß und dokumentiert auch, daß die Genossen furchtbar schlecht gehandelt haben. Aber kein einziger Satz und kein Wort besagt, deutet auch nur an , daß die Sieger es gut machen werden. Ob er recht hat, bleibe dahingestellt; fest steht bloß, daß dieser uralte unbeugsame Stefan Heym ein großartiger Charakter ist. Und, übrigens: daß er schreiben kann.

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