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WALTER ULBRICHT DER SEKRETÄR IN DER WELTPOLITIK

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Walter Ulbricht hat nie an Gott geglaubt. Seine Eltern schickten den 1893 Geborenen nicht in den Gottesdienst, sondern zur „Jugendweihe“ — und zum Verteilen von Flugblättern der Partei. Er wurde ein sehr fleißiger Funktionär der SPD, aber niemals einer ihrer Führer. Wohl brannte in ihm die kalte Flamme des Ehrgeizes, doch niemals die heiße eigenen revolutionären Impulses. So machte er den — in der immer sehr linken sächsischen SPD sehr naheliegenden — Exodus in die KPD im Jahre 1918 mit, aber er war keiner der Tribunen der Revolution. Dafür übernahm er die jenen so lästige Sekretariats- und Organisationsarbeit. Damit diente der damals Dreißigjährige sich bereits 1923 an die Spitze des Zentralsekretariats der

KPD. Das wurde eine um so wichtigere Funktion, als sie nach dem Ende der revolutionären Krise in Deutschland zur eigentlichen Transformationsstelle der — an Stelle fehlender deutscher — aus Rußland kommenden revolutionären Antriebe wurde. Viele der Führergarnituren der KPD gingen an Ulbrichts Schreibtisch vorbei den Weg ins Nichts — er blieb. Sie alle scheiterten am vielfältigen vergeblichen Bemühen, der Partei die Macht zu erobern. Nach Hitlers Machtantritt wurde Ulbricht der führende Mann in der Pariser Auslandsleitung der KPD.

1936 war Ulbricht nicht mehr gezwungen, einem großen Teil der kommunistischen Emigranten ihre fünf Francs Unterhaltsbeitrag im Tag auszuzahlen. Die Mehrzahl

— an die 3000 — ging nach Spanien, um dort für die Republik zu kämpfen. Auch Ulbricht ging hin

— als Vertreter der Komintern. Er half auch dort mit, die von Stalin im Interesse einer neuen großrussischen Politik begonnene Liquidierung der alten Internationalisten im kommunistischen Kader zu sichern.

Die Übergangszeit von der spanischen Niederlage bis zum zweiten Weltkrieg verbrachte Ulbricht in Schweden. Anläßlich des zwischen Hitler und Stalin abgeschlossenen Paktes schrieb er damals am 9. Februar 1940 in der von der Komintern herausgegebenen Zeitung „Die Welt“: „Die deutschen Arbeiter haben den Beweis vor Augen, daß die herrschende Klasse in England den Krieg gegen die Arbeiterschaft führt. Wenn Deutschland besiegt wird, hätte die deutsche Arbeiterklasse das gleiche zu erwarten… Nicht nur die

Kommunisten, sondern auch viele sozialdemokratische und nationalsozialistische Arbeiter betrachten es als ihre Aufgabe, unter keinen Umständen einen Bruch des (Hitler- Stalin-) Paktes zuzulassen …“

Das ist echtester Ulbricht: die ewige Verteidigung jeglicher sowjetischer Politik auf die plumpeste Weise mit den erstarrten und geistlos verabreichten Argumenten vorgegebenen Arbeiterinteresses.

Über Ulbrichts spätere Tätigkeit im deutschen Ländersekretariat der Komintern in Rußland während des Krieges schreibt sein ehemaliger spanischer Kollege Delgado: „Ulbricht ist despotisch und unwissend. Er sprach auf Versammlungen am meisten, wurde aber von niemandem beachtet, weil er nur wiederholte, was vor ihm andere, wie Dimitroff und Manuilski, gesagt hatten…“ Um so verdienter machte sich Ulbricht bei der Auslieferung der alten deutschen Führungsgarde, des Mitbegründers der KPD, Eberlein, Heinz Neumanns, Max Hölz’, Fritz Davids, Leo Roths und anderer an die NKWD während der großen, endgültigen Säuberungen.

1945, nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches, führte er die erste Gruppe deutscher Kommunisten aus der Sowjetunion nach Ostdeutschland zurück. Wo immer damals — vor Ulbrichts Ankunft — alte Kommunisten, Sozialisten und echte Demokraten aus eigener Initiative Ordnung in das Chaos zu bringen versucht hatten, trat er ihnen haßerfüllt entgegen und löste ihre Verwaltungen auf, um seine eigenen, nach dem Stalinschen Kanon vorgeschrie- benen, einzurichten. („Nationale

Einheit“ mit von oben approbierten Kommunisten in der Kontrolle der Schlüsselstellungen“ und „einheitsfreudigen“ Sozialdemokraten, ergebenen Christlichen und wegen ihrer nazistischen Vergangenheit kuschenden „Liberaldemokraten“ als wackerer Mitarbeiter auf dem „Weg zum Sozialismus“.) Auf diese Weise erreichten es Ulbricht und die Seinen, daß ihr Regime heute zum am wenigsten akzeptierten auf der ganzen Welt wurde.

Den schwersten Schlag seines Lebens erlitt Ulbricht, als Stalin starb und die neue Führung die für sie so nötige Reduktion des Stalin- Mythos durchführte und die kommunistischen Parteien des Auslandes ihres bisherigen politischen Machtpols vorübergehend beraubte. Ulbrichts Macht hing damals an einem Faden; die sowjetische Intervention im ungarischen Aufstand rettete ihn genau so wie die schießenden Sowjetpanzer im Juni 1953 in Berlin. Vorher aber hatte Ulbricht geglaubt und gehofft, daß Chruschtschow sich nicht halten werde. Bald jedoch entwickelte er eine bis dahin nur selten bei ihm bemerkte Initiative: Er allem und der voraussehende Mao Tse-Tung bestanden bei der 40-Jahre- Russische - Revolution - Zusammenkunft der kommunistischen Parteien im November 1957 in Moskau darauf, daß die führende Rolle der KPdSU aufs neue von den kommunistischen Parteien anerkannt werde — ein Standpunkt, dem sich von vierzig Parteien damals nur zwölf anschlossen. Da dem treuen Diener der alte Herr verlorengegangen war, erzwang er sich geradezu einen neuen Gebieter.

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