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Tyrann der Ohnmächtigen

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Am 30. Juni 1893 wurde Walter Ernst Paul Ulbricht in der Buchdruckerstadt Leipzig geboren. „Klassenbewußte Sozialisten" seine Eltern, wie der inzwischen verstorbene SED- Dichter Johannes R. Becher zu berichten weiß, der Vater Parteifunktionär, die Mutter beschlagen in sozialistischer Literatur, beide Atheisten; nichts selbstverständlicher, als daß der Sohn auch klassenbewußter Sozialist wurde, Parteifunktionär oder gar Arbeiterführer, Atheist auf jeden Fall.

Von 1899 an besuchte er die fünfte Bezirksschule in Leipzig und beendete die Schulzeit 1907 mit der „Jugendweihe". Es folgten die Lehrzeit als Möbeltischler, darauf die Wanderjahre, die ihn bis nach Innsbruck, Meran, ja bis Venedig und Luzern brachten. Die zweite Etappe führte ihn nach Brüssel, Amsterdam, über Bremen, Hannover zurück nach Leipzig. Im Jahre 1912 fand Walter Ulbricht den Weg zur Sozialdemokratie. 1919 wurde er in die neugebildete Leipziger KPD-Leitung gewählt. Damit begann seine Karriere als Parteifunktionär. Aber es dauerte noch lange, bis der Name Ulbricht jenen gefürchteten Klang bekommen sollte, den er heute in seiner Partei hat.

Mehr als zehn Jahre geht der glanzlose Mann durch die Partei hindurch, aber er wij-d nicht erfaßt von der Leidenschaft der Revolution. Er ist kein Feuerkopf wie Lenin oder Trotzkij, er hat keine geistige Tiefe wie Rosa Luxemburg. Sein Vorbild ist Ernst Thälmann Und über dieses Vorbild kommt er auch nie hinaus. Trocken, geistlos. Keine theoretischen Auseinandersetzungen. Sein Ziel galt — wie es seinem Wesen entsprach — den Schalthebeln der Organisation. Die Laufbahn des Parteisekretärs, die Josef Stalin seit 1924 in der Sowjetunion praktizierte, diese Laufbahn war Walter Ulbricht, dem Künstler der flinken Hände, der leeren Worte und kalten Nerven, auf den Leib geschnitten. Nicht leidenschaftliche Rhetorik, nightr.kämpferische Theorien waren >ein Feld; Abwarten lautete seine Devise. Der stalinistische Terror, die Angst vor dem mächtigen Generalsekretär und dessen gnadenloser Geheimpolizei formten sein Profil. Sein Gesicht war in Schweigen vermauert. Lautlos huschte er durch die Parteiversammlungen und zog sich am liebsten auf den Stuhl des Sekretärs zurück. Walter Ulbricht weiß sich am stärksten am Schreibtisch, im Schatten. Dort kann er beobachten und berechnen, er kann die Fäden ziehen und selber undurchdringlich und unfaßbar bleiben. Die Fraktionskämpfe innerhalb der KPD Mitte der zwanziger Jahre ließen ihn kalt. Er verabscheut es, sich festzulegen.

Wichtig bleibt für ihn nur eines, immer bei der siegreichen Fraktion zu sein, niemals beim Verlierer. Seine Fraktion ist immer diejenige, die die Macht in Händen hält. Walter Ulbricht ging es noch nie um eine Idee, er geht nur mit der Zeit.

In jenen Jahren, als Stalin die geistige Potenz des Kommunismus eliminierte und die Intelligenz auf seine, Stalins, Stufe nivellierte, lernte Ulbricht, sich auf organisatorische Fragen zu beschränken. Er war inzwischen als Parteisekretär in das Zentralkomitee der KPD avanciert und baute die Kommunistische Partei zu einer Partei neuen Typs um. Die von der Sozialdemokratie übernommene Organisationsform mußte zerschlagen und ein neuer Apparat aufgebaut werden. Die Partei würde nach Zellen, die etwa zehn Mitglieder umfaßten, organisiert. Die Herrschaft der Parteisekretäre etablierte sich - nach sowjetischem Vorbild — in der deutschen KP. Die Mitgliederversammlungen und Parteitage hatten nur noch deklamatorischen Sinn, gesteuert wurde die Partei vom hauptamtlichen Apparat, von den Sekretären. Der „demokratische Zentralismus" war durchgesetzt, die freie Diskussion innerhalb der Partei abgewürgt. Die „Bildung von Fraktionen“ galt als parteischädigendes Verhalten und zog unweigerlich den Ausschluß in der Sowjetunion die Erschießung nach sich.

Die Herrschaft des Nazismus zeichnete sich am politischen Horizont ab. Walter Ulbricht war auf dem Wege zur Macht innerhalb der KPD. Das erste „stalinistische Zentralkomitee" erhielten Deutschlands Kommunisten anfangs der dreißiger Jähre mit Pieck. Ulbricht und Thälmann an der Spitze. Die Revolution war längst zur Reaktion umgeschlagen. Es galt nur noch, die Macht des totalitären Regimes in der Sowjetunion zu festigen. Die Stunde der Erben war angebrochen, der Gewinner. Beutemacher und Doppelseelen. Diese Zeit war auch Ulbrichts Zeit, Stalin wußte die KPD in guten Händen.

Und doch, kaum den Gipfel erklommen, gleitet der so Besonnene aus. 1931, Einheitsfront mit den Nationalsozialisten gegen die preußische Regierung; 1932, zusammen mit den Nationalsozialisten streikt Ulbrichts Partei gegen die Berliner Verkehrsgesellschaft. Nicht die Nazis werden von der KP begeifert, nein, die „Sozialfaschisten": Das sind die Sozialdemokraten. Und zum dritten Male gleitet der trockene Schleicher auf dem gefährlich glatten Parkett der Ideologie aus. Im Februar 1940 feiert er den Stalin-Hitler-Pakt: „Viele Werktätige, die den Sozialismus wollen, begrüßen den Pakt besonders, weil er die Freundschaft zum großen Land des Sozialismus stärkt.“

Walter Ulbricht schrieb später hunderttausend Worte, um diese drei ideologischen Fehltritte zu verschleiern. Ganze Bibliotheken ließ er ausräumen, um sich als Erzantifaschist reinzuwaschen. Aber er mag die Geschichtsbücher fälschen, er mag die Geschichte umschreiben lassen, ausstreichen kann er diese Ereignisse nicht mehr.

Ulbrichts große Zeit kam mit dem „Dritten Reich". Innerhalb der illegalen KPD spielten sich Intrigen ungewöhnlichen Ausmaßes ab. Das ist das Milieu, in dem Ulbricht stark ist. Nicht als Märtyrer in den Kellern der Gestapo, nein, im Ausland spinnt er seine Fäden. Ulbricht sammelt Pfeile und Gift in seinem Privatarsenal. Er ist bemüht, mehr zu wissen als die anderen Genossen, und dadurch wird er für jeden gefährlich. Er bewahrt seine Trümpfe in seinem phänomenalen Personengedächtnis auf, für politischen Meuchelmord und persönliche Rache. Er weiß, daß die illegale KP in Deutschland zerschlagen ist; er weiß auch, daß die Genossen trotzdem Erfolgsberichte nach Moskau schicken, um Geld zu erhalten. Aber er enthüllt das Material nicht, sobald er es kennt, sondern erst in dem Augenblick, wenn ihm die Enthüllung nützlich erscheint. Walter Ulbricht ist spezialisiert auf doppeltes und dreifaches Spiel. Er warnt seine Genossen nicht, nein, er läßt sie eiskalt und ohne mit der Wimper zu zucken im Jahre 1935, als Stalin das Auslandskomitee der KPD nach Moskau zur Berichterstattung holt, hochgehen. Ulbricht kämpft nicht, er verrät. Das ist einfacher. Auf einer einzigen Konferenz wurde er seine Gegenspieler innerhalb der Partei los. Wo sind sie denn heute, die Hermann Remmele, Hefriz Neumann oder Hugo Eberlein? Walter Ulbricht schweigt. Er weiß, warum. Walter Ulbricht schweigt auch über Thälmanns Tod. Er weiß, daß Hitler anbot, Thälmann nach der Sowjetunion abzuschieben. Er weiß auch, daß er, Ulbricht, seinerzeit Stalin „beschwor“, Thälmann zum Märtyrer der Kommunistischen Partei Deutschlands zu machen — im Konzentrationslager Buchenwald am 18. August 1944.

Während des „Großen Vaterländischen Krieges der Sowjetunion“ befand sich Ulbricht in Moskau. Zusammen mit Erich Weinert und Ernst Bredel organisierte er die Propaganda an der Front. Sichtbares Zeichen seines Wirkens war das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ und der „Bund Deutscher Offiziere". Aus verschiedenen Kriegsgefangenenlagern kamen im Laufe des Juni 1943 von den sogenannten Politinstruktoren verfaßte Resolutionen, die zur Bildung eines „Nationalen Komitees“ auf rief en. Darauf konstituierte sich ein vorbereitender Ausschuß, dem unter anderen angehörten: Erich Weinert, Johannes R. Becher, Hauptmann Ernst Hadermann, Wilhelm Pieck und Walter Ulbricht. Am 12. und 13. Juli 1943 wurde in einem kleinen Ort namens Krasnogorsk bei Moskau das „Nationalkomitee Freies Deutschland" offiziell gegründet. Kein Zweifel, Walter Ulbricht schuf sich schon damals das Gerippe seiner späteren Diktatur in Mitteldeutschland.

Von den insgesamt 38 Mitgliedern des Komitees seien genannt: W. Ulbricht. W. Pieck. Anton Ackermann bis 195 3 Mitglied des Zentralkomitees der SED, Johannes R. Becher, Willi Bredel, Erich Weinert, Günther Kertzscher heute stellvertretender Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ und Heinz Keßler heute stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung und Generalmajor der sowjetzonalen Armee. Die zweite Organisation war der „Bund Deutscher Offiziere“. Die Gründung erfolgte am 11. und 12. September 1943 in der Nähe Moskaus. Wiederum zwei Namen, die später in der SED wichtig werden sollten: Hermann Matern und Rudolf Herrnstadt.

Walter Ulbricht stand kurz vor dem Ziel seiner politischen Laufbahn. Inzwischen war er sowjetischer Staatsbürger geworden und ist es angeblich heute noch. Die große Stunde schlug für ihn, als am 30. April 1945 sowjetische Truppen auf den Trümmern des Berliner Reichstages die rote Fahne hißten. Gestützt auf sowjetische Bajonette, errichtete Ulbricht seine Diktatur; gestützt auf sowjetische Bajonette, erhält Ulbricht seine Diktatur. Am 1. Mai 1945 sah er seit langen Jahren Berlin wieder. Der einst von der Polizei Gehetzte und Verfolgte, der Mann, dessen Bild im „Deutschen Kriminalpolizeiblatt“ mehr als einmal veröffentlicht wurde, dem die Gestapo nachspürte, dieser Mann kam nun als Statthalter nach Berlin zurück. Aus dem Tyrannisierten wurde der Tyrann. 52 Jahre war Walter Ulbricht alt. als er 1945 begann, den Stalinismus in Deutschland aufzubauen.

Seine erste Sorge galt der Organisierung seiner Partei. Zuverlässige Kader mußte er sich schaffen, um die anderen politischen Kräfte überrumpeln zu köhnen. Eine „Partei neuen Typs“ brauchte er, um in dem „antifaschistischdemokratischen Block“ die Macht an sich reißen zu können. Walter Ulbricht strich seine Partei zunächst demokratisch an. Er wollte Zeit gewinnen. Die Schlüsselpositionen mußten mit zuverlässigen „Berufsrevolutionären" besetzt werden, vor allem die Arbeiterklasse sollte sich in einer Partei organisieren. Plötzlich sang die KP „Brüder, in eins nun die Hände“. Die „Sozialfaschisten“ der dreißiger Jahre wurden von der KP zur Aktionseinheit der Arbeiterklasse aufgerufen. Am 21. April 1946 hatte Ulbricht es erreicht. Die SED war geschaffen, und er konnte am Ende des „Vereinigungsparteitages" ausrufen: „Mit dem heutigen Tage gibt es keine Sozialdemokraten . . . mehr.“ Wahrlich, es gab wirklich keine mehr in seinem Herrschaftsbereich.’Die Apparatschiks der SED waren aus hartem Holz geschnitzt. „Eine Grundeigenschaft unterschied diese Menschen, an der Spitze die Genossen des Politbüros, von den alten sozialdemokratischen Führern: sie wußten, was Macht ist!“ So formulierte es Johannes R. Becher. Ja, Medusenblick der Macht. Wer einmal in ihr Antlitz gesehen, kann nicht mehr davon lassen.

Die „Genossen neuen Typs" dirigierten die Partei. Die ehemaligen Sozialdemokraten, die sich an dem Schlagwort von der Einheit der Arbeiterklasse berauscht hatten, waren übertölpelt. Kaum einer ist heute in der SED übriggeblieben.

Walter Ulbricht hatte die Macht, und Stalin garantierte sie ihm.

Als Stalin seine Prozesse gegen Raijk, Kostoff und Slansky über die Bühne gehen ließ, häkelte Ulbricht fleißig an einem deutschen Schauprozeß. Paul Merker ehemaliges Mitglied des Politbüros der SED, Willi Kreikemeyer abgehalfterter Präsident der Reichsbahn, Lex Ende einst Chefredakteur des „Neuen Deutschland“, sie hatte Ulbricht bereits für seinen Prozeß bereitgestellt. Stalin starb 1953, und Ulbricht verlor seine beste Stütze: „Der größte Mensch unserer Epoche ist dahingeschieden.“ Am 17. Juni 1953 wurde Ulbricht von sowjetischen Bajonetten gerettet. Auch der neue Herrscher in Moskau ließ seinen treuen Vasallen nicht fallen, denn mit ihm fiele die SED.

So ist Ulbricht heute unbestrittener Statthalter in Ostdeutschland. Seine von Moskau verliehene Macht ist riesengroß. Er beherrscht die Partei und damit den Staat. Freunde hat er keine, nicht in der Partei und noch viel weniger in der Bevölkerung. Viele ballen die Fäuste hinter dem Rücken, während sie seine langweiligen Reden bejubeln. In hektischem Tempo treibt er seine Parteifunktionäre zur Arbeit. Den Lebensstandard Westdeutschlands will er ein- und überholen. Bis 1965 soll es geschafft sein. Oh, Lügengestrüpp der Propaganda, jenes Westdeutschland, in dem die „Ausbeutung und.Verelendung der Arbeiterklasse von Tag zu Tag sichtbarer wird“, das will er einholen.

Und vielleicht glaubt er auch, einmal Statthalter eines kommunistischen Gesamtdeutschland zu werden. Mit Erreichung dieses Zieles wäre sein sehnlichster Wunsch erfüllt.

Der Wahrheit die Ehre: Hitler hatte ihn aus- cebürcert.

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