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Von Lenin bis zur Mauer

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DER KOMMUNISMUS. Günter-Olzog-Verlag, München. Vier Bände in einer Kassette: „Die ideologischen Grundlagen des Kommunismus.“ Von Heinrich Falk. „Die Geschichte der KPdSU.“ Von Werner Scharndorff. „Der Kommunismus in Deutschland.“ Von Hilmar Toppe. „Der internationale Kommunismus.“ Von Peter Rindl. Preis der vier Leinenbände, Gesamtumfang 602 Seiten: 19$ S. Jeder Band ist einzeln erhältlich. - HOMO SOWJETICUS. Der Mensch unter Hammer und Sichel. Von Joseph Nowak. Alfred-Scherz-Verlag, Bern-Stuttgart-Wien. 410 Seiten, leinen. Preis 130.70 S. - BERLIN - EINE STADT WIRD GETEILT. Eine Bilddokumentation von Wolfdietrich Schnorre. Walter-Verlag, Ölten nnd Freiburg. 176 Seiten, 200 Photos, Paperback. Preis 64.70 S.

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DER KOMMUNISMUS. Günter-Olzog-Verlag, München. Vier Bände in einer Kassette: „Die ideologischen Grundlagen des Kommunismus.“ Von Heinrich Falk. „Die Geschichte der KPdSU.“ Von Werner Scharndorff. „Der Kommunismus in Deutschland.“ Von Hilmar Toppe. „Der internationale Kommunismus.“ Von Peter Rindl. Preis der vier Leinenbände, Gesamtumfang 602 Seiten: 19$ S. Jeder Band ist einzeln erhältlich. - HOMO SOWJETICUS. Der Mensch unter Hammer und Sichel. Von Joseph Nowak. Alfred-Scherz-Verlag, Bern-Stuttgart-Wien. 410 Seiten, leinen. Preis 130.70 S. - BERLIN - EINE STADT WIRD GETEILT. Eine Bilddokumentation von Wolfdietrich Schnorre. Walter-Verlag, Ölten nnd Freiburg. 176 Seiten, 200 Photos, Paperback. Preis 64.70 S.

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Der Band mit den zweihundert, von Wolfdietrich Schnurre zusammengetragenen und kommentierten Photos von der endgültigen Spaltung Berlins ist ein Bilderbuch vom ausweglosen, abgrundtiefen Fiasko des deutschen Kommunismus. Man ollte sich die Gesichter auf diesen Photos genau ansehen: Ulbrichts Grinsen von Ohr zu Ohr. Die Zweifel im Gesicht des blutjungen Mauerpostens, der recht düster vor ich hinzupfeifen scheint. Den nachdenklichen Ausdruck, mit dem sich zwei Sowjetposten vor dem Siegesdenkmal in West-Berlin die Deutschen betrachten. Die sehnsüchtigen Blicke etlicher Ostsoldaten, Richtung West. Und die verkniffenen Blicke, wenn sie sich von der anderen Seite her beobachtet wissen. Und die gelösten Mienen der Davongekommenen, denen die Flucht geglückt ist.

In allen diesen Gesichtern ist das Fiasko deutlich zu lesen. Die Schuld an diesem Fiasko, 10 kann man manchmal hören, tragen ja gar nicht die deutschen Kommunisten! Die sowjetische Besatzungsmacht ist verantwortlich zu machen. Die deutschen Kommunisten mußten ihren Bajonetten gehorchen.

Die Antwort darauf findet sich unter anderem bei Hilmar Toppe, in dessen Band ..Der Kommunismus in Deutschland“. Der Kommunismus in Deutschland ist besonders früh und besonders willig auf Moskauer Kurs eingeschwenkt, lange bevor die sowjetischen Bajonette in Reichweite kamen. Sehr lesenswert in diesem Band ist auch die lehrreiche Geschichte der ostdeutschen Sozialisten, die sich für die SED gewinnen ließen, um „die Sozialdemokratie in der sowjetischen Besatzungszone zu retten und ihr in der neu zu bildenden Einheitspartei einen ihr gebührenden Einfluß zu sichern“. (Grotewohl zu Schumacher.) Der Ausgang dieses Experiments ist bekannt.

Eine andere, nicht unbeliebte Leseart zur Beschönigung manches Geschehens: Die Methoden eines Stalin oder Ulbricht haben ja mit Kommunismus nicht das geringste zu tun, Lenin würde sich darob im Grabe umdrehen; er hat das alles nicjit gewollt. Lest „Die Geschichte der KPdSU“ von Werner Scharndorff! Diese mit ungewöhnlicher Sachkenntnis geschriebene Darstellung zeigt, wie logisch alles vonstatten ging. Wie das, was man später als „Stalinismus“ zur Verirrung eines Sündenbocke stempeln wird, bei Lenin im Prinzip bereit ausgebildet ist. Mit eiserner Konsequenz entwickelt sich die KPdSU nach ihrem inneren Gesetz, wenigstens hier wird die Notwendigkeit geschichtlicher Entwicklungsabläufe spürbar.

Dagegen ist es ein wahrer Trost, die Darstellung „Der internationale Kommunismus“ von Peter Rindl zu lesen. Da schilspricht, die Methoden, mit denen der internationale Kommunismus in Organisationen eindringt, sie aushöhlt, mit denen er naive Persönlichkeiten von Rang und Namen für sich gewinnt. Da werden die Tarnorganisationen bei Namen genannt, da erfährt man auch genaueres über den Erfolg des Liebeswerbens, welches das „Friedenslager“ bei den Afro-Asiaten betreibt — die Fallen sind klug gestellt, aber sie schnappen nur selten richtig zu. Man dert einer, der könnte darüber streiten, ob Peter Rindl die Sache nicht doch etwas zu optimistisch sieht — einet geht aus seiner sachlichen, mit Schwung geschriebenen Darstellung eindeutig hervor: Auch der internationale Kommunismus kocht nur mit Wasser. Auch im schwärzesten Afrika erkennt man langsam, woran man mit diesen Köchen ist. ' Blieben noch „Die ideologischen Grundlägen des Kommunismus“. Heinrich Falk erklärt sie nüchtern und sachlich, er selbst will darin wohl nicht sehr viel mehr sehen als eine zu eindeutigem Zweck aufgebaute Pseudophilosophie. Gemeinsam geben die vier in der Kassette „Der Kommunismus“ zusammengefaßten Bände eine konzentrierte, knappe Materialsammlung für denjenigen ab, der sich nicht damit begnügen will, seinen politischen Standort instinktiv einzunehmen, sondern der die Absicht hat. ihn mit dem Verstand festzulegen beziehungsweise zu begründen.

Eine Frage bleibt offen: Was macht der Kommunismus aus dem Menschen, wo er genügend Zeit hat, wo er alle Macht besitzt, in Rußland? Kaum ein anderer Autor beantwortet diese Frage so umfassend, so anschaulich und dabei so sehr auf das praktische, tägliche Leben bezogen wie Joseph Nowak, von dem keiner wissen soll, wie er wirklich heißt. Nowak ist ein aus Osteuropa stammender Wissenschaftler, der mehrere Jahre mit soziologischen Studien in der Sowjetunion verbracht, mit unzähligen Sowjetbürgern gesprochen, der diese Gespräche notiert und schließlich dem Kommunismus und dem Ostblock den Rücken gekehrt hat. Nach „Uns gehört die Zukunft, Genossen!“ erschien nun, als zweites Buch, der „Homo sowjeticus“.

Die Essenz aus vielen Gesprächen, die, laut Versicherung des Autors, möglichst wortgetreu wiedergegeben wurden: Der Aufbau der kollektiven Gesellschaftsordnung ist in der Sowjetunion fast lückenlos gelungen. Das heißt: die Mehrzahl der Sowjetbürger lebt, denkt und empfindet so, wie die Partei es will. Sie leben im Kollektiv, sie fühlen im Kollektiv, sie fühlen sich dem Kollektiv verantwortlich und breiten vor dem Kollektiv, sprich Versammlung, ihre privatesten Angelegenheiten und ihre geheimsten Gedanken aus. Und sie finden es richtig und selbstverständlich, daß es so ist. Wer in dieses gesellschaftliche Schema nicht paßt, ist zum Scheitern verurteilt. Für Individualisten gibt es in der Sowjetunion keine Chance. Sie sind Außenseiter.

Das heißt nicht, daß die anderen wirklich glücklich sind.

Doch nicht der einzelne bestimmt, was Glück ist und was zu seinem Glück nötig ist — die Partei weiß es besser. Die Partei weiß: Im Kollektiv ist der Mensch glücklicher als allein. Ein Mensch, den man keine Minute allein läßt, ist glücklicher als der Individualist, der nur auf gefährliche Gedanken kommt. In Ost-Berlin sind die Menschen glücklicher als in West-Berlin. Hinter der Mauer lebt es sich besser.

Sie steht nicht im Widerspruch zur Ideologie des Kommunismus, wie man sie heute lehrt, sondern sie stellt deren Vollendung dar. Kein Wunder, daß sie nötig ist.

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