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Streit der Antinazis im Pariser Exil

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Wer sich ein bißchen mit Zeitgeschichte befaßt hat, kennt den Namen des Hotels Lux in Moskau, wo die kommunistischen Emigranten nächtens den Besuchen der Geheimpolizei entgegenbangten, wo Herbert Wehner durch ein bißchen Verrat überlebte und Ernst Fischer vielleicht durch ein bißchen mehr Verrat. Aber wer kennt den Namen des Hotels Lutetia?

Paris, Boulevard Raspail, Ecke Rue de Sevres - das Lutetia ist noch da. Auch im Krieg residierte hier ein Gegner Hitlers: der später hingerichtete Admiral Canaris mit seiner „Abwehr”. Zwischen 1933 und 1940 aber wohnten hier die deutschen Emigranten, soweit sie es sich leisten konnten. Ihre Kämpfe waren halb vergessen - bis sie Willi Jasper rekonstruierte und ein Buch schrieb, das eine Wissenslücke schließt.

Und keine kleine. Denn die Auseinandersetzungen zwischen Heinrich Mann, Walter Ulbricht, Willi Münzenberg, Willy Brandt und anderen vertiefen unser Wissen über die Tiefe und Universalität des Risses zwischen Links und Rechts in der Welt des Geistes im Schatten des Nazireiches. Und sie illustrieren die Tatsache, daß es auch hier, im Pariser Hotel, an einem Ort des freien Worts, für manchen sehr wohl um Leben oder Tod ging, aber nicht um den Tod in Hitlers, sondern in Stalins Mordmaschine.

Ein exzellent recherchiertes, weit über das Hotel Lutetia hinausgreifendes Buch über die deutsche Emigration und über menschliche Schicksale, denen oft bis ans Ende nach dem Zweiten Weltkrieg nachgegangen wird.

Wo versuchte der Herr über die KP-Presse, Willi Münzenberg, Klaus Mann für die Volksfrontlinie zu gewinnen? Natürlich im Lutetia, bei einem Luxusessen. Wo gab Andre

Gide gegenüber Klaus Mann seiner Enttäuschung über das in Moskau Gesehene Ausdruck? Natürlich im Lutetia. Wo war Max Horkheimer in Paris Stammgast? Im Lutetia. Wo schleppten sich die Versuche der Kommunisten, bürgerliche Intellektuelle für ihren Volksfrontkurs auf breiter Basis zu gewinnen, endlos dahin, bis unter dem Eindruck der Moskauer Schauprozesse von der „Lutetia-Initiative” nur noch ein harter Kern übrigblieb? Erraten.

Die letzte große Versammlung im April 1937 endete mit einem Eklat. 3Ö0 Delegierte, die im Zeichen der Solidarität gegen General Franco zusammengekommen waren, warfen schließlich einander vor, den Feind zu unterstützen.

Walter Ulbricht erwies sich schon in Paris als Mann der harten Linie, und Heinrich Mann versuchte vergebens, das „vertrackte Polizeigehirn” im Volksfrontausschuß loszuwerden. Selbstverständlich war das Lutetia nur ein, wenn auch sehr wichtiger, Brennpunkt von Machtspielen, in denen für die Kommunisten Sieg oft gleichbedeutend mit Überleben und Unterliegen die Vorstufe zum Tod in den Erschießungskellern der Lubjanka war.

Weshalb Willi Münzenberg, statt, wie befohlen, nach Moskau ins Lux zu übersiedeln, lieber im Pariser Lutetia blieb. Er entging seinem Schicksal nicht. Ob er 1940 in Südfrankreich von Hitlers oder Stalins, Schergen ermordet wurde, ist nicht restlos geklärt. Im Lutetia bemühte sich da bereits, unter anderen, Ernst Jünger, den Nationalsozialismus in Paris gesellschaftsfähig zu machen.

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