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WILHELM PIECK / GROSSVATERCHEN DER REVOLUTION

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Ak sich die Deutschlandpolitiker des Kreml — überraschend selbst für viele “Kommunisten Deutschlands, die als alte „Linke“ lieber direkten Kurs auf eine sozialistische Sowjetrepublik genommen hätten — im Herbst 1949 entschlossen, ihre Zone durch einseitigen, von der Bevölkerung nie in einem halbwegs freien Wahlgang sanktionierten Willensakt in die seither sogenannte „Deutsche Demokratische Republik“ umzuwandeln, ihr die altliberalen Farben Schwarz-Rot-Gold und eine von Becher gedichtete patriotische Hymne zu verleihen —, taten sie dies im Verfolg eines sehr bestimmten Konzepts. Sie wollten das ihnen 1945 zugesprochene Okkupationsgebiet des ehemaligen Deutschen Reiches in ein „Piemont“ für Gesamtdeutschland umwandeln, ein Staatswesen, das auch für den Nichtkommunisten jenseits der Zonengrenze zumindest als diskutabler Partner erscheinen sollte. (Daß die den Entwicklungen innewohnende Dialektik dann auch vor den Sowjets selbst nicht haltmachte und sie zwang, Stück für Stück dieser zu Anfang auf lange Sicht gedachten Konzeption zugunsten des Ulbricht-Kommunismus preiszugeben, steht auf einem anderen Blatt.) Oberster Repräsentant dieses Staatswesens aber mußte ein Mann sein, der sich wenigstens in Habitus und Benehmen in etwa von dem unterschied, was man sich im Westen als „Bolschewiken“ vorstellt, der aber zugleich dem etwas ängstlichen Kreml die sichere Gewähr dafür bot, wirklich ein waschechter Kommunist stalinistischen Modells zu sein.

Wilhelm Pieck stellte die unter den gegebenen Umständen ideale Möglichkeit dar. Er kam aus der Sozialdemokratie, der sich der 1876 zu Guben geborene Tischlergeselle zu einer Zeit angeschlossen hatte, da Engels eben erst gestorben war. Er hatte sie noch alle persönlich gekannt: die Bebel, Liebknecht und Kautsky. Als ein radikaler Pazifist hatte er zusammen mit dem jüngeren Liebknecht und Rosß Luxemburg Nein zur kriegsunterstützenden Politik der „verbürgerlichten“ Parteimehrheit gesagt, auch als Wilhelm II. „keine Parteien, sondern nur noch Deutsche“ kennen wollte. Gegen den wilhelmischen Kaiserstaat hatte er sich tapfer und zäh geschlagen, aber er war trotzdem der bedächtige Märker mit bremischer Familie geblieben, disziplinierter proletarischer Funktionär. Der scharfe Intellekt, das demagogische Feuer, die zündende Beredsamkeit der übrigen deutschen Linken von damals: dies alles ging ihm ab. Solche Eigenschaften hätten ihn vielleicht dem genial-intellektuellen Radek empfohlen, der damals die sowjetische Revolutionspolitik in Deutschland leitete und der so aber mit ihm kaum viel anzufangen wußte. In der beginnenden Stalinschen Ära, die Koestler die der „korrekten Brutalität“ nennt, war gerade das Fehlen solcher Charaktermerkmale eine Empfehlung. 1933, als Stalin zur Überraschung und Erbitterung der Genossen in Deutschland den Kampf gegen Hitler wieder abblies, räumte Wilhelm Pieck befehlsgemäß die Stellung. Nach kurzer Emigration im Westen wurde er der recht ungleich geartete Nachfolger Dimitroffs als Generalsekretär der Kommunistischen Internationale (Komintern), die jedoch schon damals zu einem als internationale Verlegenheit empfundenen bürokratischen Anhängsel der russischen Außenpolitik geworden war und später sang- und klanglos entschlief. Pieck war es nicht, der dieser Entwicklung Widerstand leistete oder dem kommunistischen Ideal der Komintern nachtrauerte.

Ohne mit der Wimper zu zucken widmete er sich dem Aufbau des so ganz ander: gearteten NationalHomitees „Freies Deutschland“. Seine Pcrtner waren nun nicht mehr intellektuelle Juden und Jiskutierwütige Mazedonier. Er verhandelte mit wehr oder minder ehrlich „bekehrten“ altpreußischen Generälen und pazifistischen Wehrmachts-pfarrern. Auch der Fehlschlag, den die Sowjetpropaganda entgegen allen optimistischen Prognosen deutscher Emigranten mit diesem allzu fadenscheinig aufgezogenen Unternehmen erlitt, konnte weder ihn noch seine Stellung erschüttern. Wilhelm Pieck unterzog sich sofort nach 1945 einer neuen Metamorphose. Er verwandelte sich in den biederen Sozialdemokraten der Jahrhundertwende zurück, der wohlbeleibt und fovial mit den richtungslos und verwirrt gewordenen deutschen Sozialisten über die Vereinigung der beiden Arbeiterparteien, über die Gründung der „Sozialistischen Einheitspartei“ zu verhandeln hatte. Det Händedruck zwischen ihm und dem prof essoral-bürgerlich wirkenden Otto Grotewohl wurde im Bilde verewigt, zum neuen politischen Wappensymbol.

Und wieder änderten sich Szenerie und Auftrag. Die Zone sollte zur vorläufigen politischen Heimstatt auch bürgerlicher Menschen werden. Der Altgewordene wurde zum überparteilichen Opapa frisiert. Otto Nuschke, der Sprecher der Ost-CDU, konnte ihn bei seiner Wahl (durch die selbst nicht gewählte Volkskammer der Sowjetzone) mit weimaranischem Festpathos „Vater des Vaterlandes“ nennen. Als seine Funktions-periode ausgelaufen war und der Schwerkranke sich reif zum Ruhestand fühlte, erging der Parteibefehl aufs neue. Jetzt konnte er dem Kommunismus nur noch mit seinen weißen Haaren, den milde lächelnden, breiten Gesichtszügen, der tiefen, ruhigen Stimme dienen. Er hat es getan, solange er noch irgend konnte. Zerstört von mehreren Schlaganfällen, starb er in den Sielen. Es lag gewiß nicht an ihm, daß In den letzten Monaten die immer noch .aufrechterhaltene Fassade eines demokratisch-honorigen Staatswesens vor den Augen der Welt zusammenbrach und daß man des jovialen Großvaterbildes im Bismarck-Schloß Niederschönhausen zu Pankow nun gar ntcht mehr bedarf. Das anonyme Gremium eines Staatsrates hat die Funktion des Oberhauptes übernommen: Staffage für Ulbricht, seit Hitlers Ende den ersten voll etablierten Diktator auf deutschem Boden.

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