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Hauptquartier: „Glaspalast“

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Die Kommunistische Partei ist in Westdeutschland seit fast einem Jahr verboten und doch reißen die Meldungen über die Tätigkeit der KP-Betriebsgruppen, illegale Zeitungen und Broschüren, über das Wirken sowjetzonaler Instrukteure und Propagandisten nicht ab. Es erhebt sich deshalb die Frage, wie sieht der illegale Apparat der KP aus, wie ist er aufgebaut und wo laufen die Fäden zusammen.

Die westdeutsche KP ist seit dem 17. August tot; besser gesagt das, was man bis zu jenem Zeitpunkt als legalen Ableger von ihr sah. Der illegale Apparat schaltete schon wenige Wochen nach dem Verbot von den Sandkastenübungen auf die nüchterne Wirklichkeit der Konspiration um.

Bereits 1949 baute die KP in der Bundesrepublik ihre sogenannten „Schattenleitungen" auf. Bisher einflußreiche KP-Funktionäre zogen sich auf Anweisung des Parteivorstandes ins Privatleben zurück. Sie brachen ihre engen Verbindungen zur KP nach außen hin ab und erschienen nur noch auf Besprechungen in engstem Kreise. „Zu Sonderaufgaben freigestellt“, hieß es im Parteijargon. Die Aufgabe dieser Leute bestand darin, neben der offiziellen Organisation der KP Parteileitungen in Reserve zu bilden, die bei Ausfall der amtierenden Kreis- und Landesleitungen deren Tätigkeit auf einer anderen Ebene weiterführen sollten. Gesteuert wurde die gesamte Arbeit von Düsseldorf aus.

Bis zum Verbot der westdeutschen KP hatte der Parteivorstand seinen offiziellen Sitz in Düsseldorf, Ackerstraße 144. Die eigentliche Befehlszentrale befand sich allerdings im Düsselkämpchen 2. Dort residierte der Mann im Hintergrund, der mächtigste Apparatfunkionär auf westdeutschem Boden, Hermann Schirmer. Selbst hohe Parteifunktionäre kannten seinen Namen lediglich durch Grundsatzartikel im parteiinternen Organ „Unser Weg“. Hermann Schirmer trat nur einmal in den Vordergrund. Am 14. und 15. Jänner 1956 auf einer Organisationskonferenz der KPD, die angeblich in Stuttgart, in Wirklichkeit jedoch in Ost-Berlin, stattfänd, wo er in einem dreistündigen Referat 'diit ersten Hiriweiseäuf das bevorstehende Verbot der KP gab. Hermann Schirmer waę der Leiter des westdeutschen Kadersekretariats.

Der heute 60 Jahre alte ehemalige Metallarbeiter Schirmer aus Stockheim bei Kronach (Franken) verdiente sich seine Sporen in der Untergrundarheit während des Dritten Reiches. Die Ausbildung für seine Tätigkeit in der Bundesrepublik erhielt er 1952 in der Sowjetunion. In den Händen Schirmers liefen die- Fäden der gesamten legalen und illegalen Arbeit der KP auf westdeutschem Boden zusammen. Das Kadersekretariat in Düsseldorf war das letzte „Knotenamt" vor dem eigentlichen Hauptquartier der KPD in Ost-Berlin. Hermann Schirmer unterstanden: die Org.-Instrukteurabteilung, das Zentralbüro der illegalen FDJ und vor allem die Parteikontrollkommission (PKK). Er verwaltete die Parteikasse und leitete den Einsatz der Tarnorganisationen. Von Schirmers Büro aus wurden die innerparteilichen Säuberungen organisiert und die Arbeit der kommunistischen Funktionäre in den Gewerkschaften und den Betrieben angeleitet.

Die eigentlichen Hintermänner der KP saßen allerdings schon lange vor dem Verbot dort, wo sie vor dem Zugriff westdeutscher Folizei- organe sicher waren — in Ost-Berlin. Das Gebäude des Zentralkomitees der SED in der Lothringer- (heute: Wilhelm-Pieck-) Straße im Berliner Sowjetsektor wird im Volksmund „Glaspalast“ genannt. Einst beherbergte es die Reichsführung der Hitler-Jugend, heute residiert dort, von Bereitschaftspolizisten des Ministeriums für Staatssicherheit scharf bewacht, der Gehirntrust der „Sozialistischen Einheitspartei“. Im ersten Obergeschoß des Glaspalastes befindet sich der Sitzungssaal des Zentralkomitees. Geht man ein paar Schritte weiter, so findet man in der hinteren Ecke des Ganges eine unscheinbare Tür mit der Aufschrift „Verner“. Schräg gegenüber liegt ein Raum mit dem Namensschild „Rosenberg“ am Eingang. Nur wenige Besucher wissen, daß in diesen beiden Zimmerfluchten die Zentrale der westdeutschen KP zu Hause ist.

Paul Verner, in Parteikreisen unter dem Spitznamen „Alex“ bekannt, leitet die „Gesamtdeutsche Abteilung“ des Zentralkomitees. Hans Rosenberg ist der Chef der „Verkehrs

1 Vgl hierzu „Die KP II“, die „Furche" Nr. 5 vom 2. Februar 1957.

abteilung“. Beide unterstanden bis zum Jahre 1953 dem Politbüromitglied Franz Dahlem, dem obersten Kaderchef des Kommunismus in Gesamtdeutschland. Als Dahlem im Frühjahr 1953 von Walter Ulbricht gestürzt wurde — inzwischen wurde er wieder rehabilitiert —, ordnete das Zentralkomitee eine Gewaltenteilung an. Ulbricht unterstellte Verners Abteilung seinem eigenen Machtbereich. Hans Rosenberg bekam in Karl Schirdewan, dem Nachfolger Dahlems als Kaderchef der SED, einen neuen Vorgesetzten.

Um einen möglichst engen Kontakt zwischen dem Glaspalast und der Düsseldorfer KP-Zentrale zu gewährleisten, benötigte man einen Kurierdienst. Der Aufbau und die Leitung dieses Apparates oblag der „Verkehrsabteilung“ Rosenbergs. Verner und Rosenberg wurden damit die eigentlichen Beherrscher der KPD. Sie sind es noch heute.

Paul Verner lebte in der Zeit des Dritten Reiches in der Sowjetunion. Nach dem Zusammenbruch holte ihn die Rote Armee nach Deutschland zurück. Verners Aufstieg begann 1946, als der zukünftige Apparatchef zum Jugendsekretär der SED gewählt wurde. In den folgenden Jahren war er Mitglied des Sekretariats im Zentralrat der „Freien Deutschen Jugend“. 1949 bekam dieser im persönlichen Umgang durchaus freundliche Mann Sitz und Stimme im Sekretariat des SED-Zentralkomitees. Verners Laufbahn ist die eines typischen Apparatfunktionärs.

Von Hans Rosenbergs Werdegang ist weniger bekannt. Man weiß, daß er schon vor 193 3 Kommunist war und nach Hitlers Machtübernahme verhaftet wurde. Bis 1945 wurde er im KZ Sachsenhausen gefangen gehalten. Erstmals 1948 erschien er in der „Verkehrsabteilung“.

Neben dem Sekretariat Walter Ulbrichts und den Abteilungen Verners und Rosenbergs gibt es im „Glaspalast“ noch eine weitere Instanz, die sich mit der Westarbeit beschäftigt. Das „Arbeitsbüro der KPD“. In seinen Räumen amtiert das Sekretariat des einstigen Düsseldorfer Parteivorstandes (der PV der KPD nennt sich seit Anfang dieses Jahres „Zentralkomitee 4w,,iKPP")r,-,roit ..Max J&afiifli dKJte Vfediet Fisch, Oskar Neumann, Otto N i e b e r- g a 11 und Max Schäfer an der Spitze. Auch Hermann Schirmer gehört seit dem Verbot der KP zu dieser illustren Gesellschaft, die praktisch nur die Befehle Verners und Rosenbergs auszuführen hat.

Die nach außen sichtbare kommunistische Parteiorganisation, mit ihren Kreisbüros und Landesleitungen, hatte schon seit langer Zeit kein großes Gewicht mehr. Die Landes- und Kreissekretäre, die Abgeordneten und KP- Redakteure schob njan langsam, aber sicher auf das Abstellgeleise. Diese Leute waren für den illegalen Apparat wertlos. Sie mußten sich selbst totlaufen, indem man sie der Oeffent- lichkeit immer wieder präsentierte. Die KP brauchte schließlich Opfer der „verbrecherischen und volksfeindlichen Adenauer-Justiz", billige Märtyrer, die dem Ausland das „Terrorregime der Polizeiknüppel" vor Augen führen sollten und den einfachen Kommunisten als „heldenhafte Friedenskämpfer“ hingestellt werden konnten.

Diese den Gehirnen eiskalter Apparatschiks entsprungene Taktik war das grausamste Spiel, das man mit den eigenen Parteigängern trieb. Die alten und bekannten Kommunisten in den unteren Parteigliederungen waren meist einfache Arbeiter, die sich in jahrelanger Tätigkeit zum hauptamtlichen Funktionär oder Mandatsträger emporgedient hatten. Sie erfreuten sich bei ihren Arbeitskollegen, in den Gewerkschaften und sonstigen Organisationen meist einer persönlichen Wertschätzung.

Mit voller Absicht lenkte die KP die Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane auf ihre exponierten Mitglieder. Mit dem illegalen Apparat haben diese natürlich nichts zu tun. Dafür sind sie zu bekannt und außerdem für den „Untergrund“ zu wenig geschult.

Das Netz des illegalen Apparates wurde mit anderen Leuten aufgebaut. Die Elite rekrutierte sich vornehmlich aus Funktionären der 1951 verbotenen FDJ, die nach eingehender Prüfung ihres politischen Grundwissens, ihrer Zuverlässigkeit, sozialer Herkunft und persönlicher Verhältnisse auf sowjetzonale Spezialschulen geschickt wurden. Dort leben die Kursanten ohne jede Berührung mit der Außenwelt und müssen selbst ihren Mitschülern die wirklichen Namen verschweigen. Nach Abschluß der Lehrgänge kehren die Teilnehmer entsprechend der Wünsche des Kadersekretariats in die Bundesrepublik zurück. Nur selten werden sie an ihrem

Heimatort eingesetzt. Da sie als „Instrukteure" bezahlt werden, kann man sie überall verwenden.

Das ideale Organisationsprinzip für die KP ist schon seit eh und je die vollkommene Trennung der offiziellen Partei vom illegalen Apparat. Daß es immer wieder zu Ueber- schneidungen kam, liegt in der Natur der Sache.

Ansatzpunkte einer erfolgreichen politischen Bekämpfung der KP fanden sich gerade dort, wo der illegale und legale Teil einander berührten, innerhalb der Betriebe. Hier gab es sowohl Verbindungsleute des Kaderapparates als auch legal arbeitende Betriebsgruppen. Zwar kannten die kommunistischen Betriebsgruppenfunktionäre ihre „parteilosen“ Kollegen aus dem Apparat zum großen Teil nicht. Dennoch kam es sehr oft zu einem unerwünschten Zusammenwirken auf der untersten Ebene.

Um derartige Pannen zu vermeiden, führte die KP im Frühjahr 1956 eine organisatorische Umstellung durch: Die Betriebsgruppen wurden besonderen Instrukteuren unterstellt und verloren ihren Kontakt zur örtlichen Parteileitung. Zudem ging die KP von dem in der Bundesrepublik üblichen „Zehnergruppensystem“ ab und baute ihre „Fünfergruppe auf.

Nach diesem System werden jeweils fünf illegal tätige Parteimitglieder durch einen Verbindungsmann angeleitet. Fünf Verbindungsleute ergeben wiederum ein „leitendes Aktiv", das an die Weisungen eines besonderen Instrukteurs gebunden ist. Faßt man nun auch die Instrukteure in Fünfergruppen zusammen, ergibt sich ein engmaschiges Netz kleiner, illegal tätiger KP-Einheiten, dessen Fäden in der Hand einer zentralen Führung zusammenlaufen, die außerhalb des Einflußbereiches der Bundesrepublik und dennoch auf deutschem Boden sitzt. Diese Gliederung bietet die Gewähr, daß im Falle eines „Auffliegens“ immer nur fünf Mitglieder unmittelbar gefährdet sind, das Gesamtsystem jedoch intakt bleibt.

Schwerpunkt der illegalen kommunistischen Arbeit ist der Industriebetrieb. „Wohngebietsgruppen kann man auflösen, Versammlungen kann man verbieten. Aber das Zusammentreffen am Arbeitsplatz kann niemand verhindern.“ Das ist die Meinung des seit dem Verbot nach Ost-Berlin übersiedelten westdeutschen Kaderchefs Hermann Schirmer.

Bis zum Verbot der KP bestanden im Bundesgebiet etwa 1200 Betriebsgruppen. In allen größeren Betrieben erschienen kommunistische Betriebszeitungen, die eine geschickte Mischung von betrieblichen Fragen und Politik enthielten. Die Gesamtzahl der Titel lag bei rund 600. Die Auflagenhöhe schwankte zwischen 100 und vereinzelt 10.000 Exemplaren. Diese Zeitungen stellten nach dem Verbot kurze Zeit ihr Erscheinen ein. Inzwischen sind sie wieder aufgetaucht. Die Agitation ist die gleiche wie vor dem Verbot. Die Ausgabe der zentralen Propagandaparolen erfolgt jetzt über den Sender X 904, der in Schlagermusik verpackt die Neuigkeiten bringt, die vorher in den KP-Tageszeitungen zu lesen waren.

Es versteht sich von selbst, daß die kommunistischen Betriebszeitungen, die illegal erscheinen, nicht mehr in aller Offenheit vor den Werktoren verteilt werden. Sie werden unter der Werkbank von Hand zu Hand gegeben. Dadurch ist die Erkennbarkeit der kommunistischen Aktivität verwischt. Wie die Betriebsratswahlen bewiesen haben, bestehen die Betriebsgruppen der. KP nach wie vor und setzen ihr Agitation fort. Der „Kollege

Parteilos' ist zur propagandistischen Schlüsselfigur geworden. Ansatzpunkte der Agitation sind die betrieblichen Mißstände. Durch Hilfsbereitschaft soll das Vertrauen der Arbeitskollegen gewonnen werden. Die betrieblichen Dinge, lokale Ereignisse, stehen im Mittelpunkt des Gespräches. Das Hauptgewicht der kommunistischen Propaganda ist auf die kleinen Sorgen der Arbeiter abgestellt, auf jene Dinge, die unter den Nägeln brennen.

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Das Verbot hat die Drahtzieher im Hintergrund nicht getroffen. Auch Hermann Schirmer setzt sich rechtzeitig nach Ost-Berlin ab. Die Frage, die heute immer wieder auf taucht, heißt: Welche Methoden des illegalen Kampfes wenden die Kommunisten an? Oftmals werden Vergleiche mit der Weimarer Zeit gezogen. Aber das stimmt nicht. Die illegale Arbeit der KP liegt heute auf einer anderen Ebene.

Der Kommunist des Jahres 1957 steht als „Parteiloser“ an seinem Arbeitsplatz, er ist

Gewerkschaftsmitglied und trachtet darnach, in eine demokratische Partei aufgenommen zu werden. Sein Verbindungsmann ist Mitglied einer nichtkommunistischen Organisation oder irgendeiner getarnten Vereinigung. Niemand kann sie verdächtigen, Kommunisten zu sein.

Wie heute feststeht, hat das Verbot — bei allen politischen Bedenken, die man Vorbringen kann — dem illegalen Apparat wichtige Positionen entzogen. Zunächst war, trotz aller Vorbereitungen, die KP in ihrer Gesamtheit gelähmt. Erst langsam spielte sich die konspirative Arbeit ein. Anderseits bildete die legale Partei in der Vergangenheit eine wichtige Ausgangsstellung für die illegale Tätigkeit. Die späteren Apparatleute entwickelten sich ja innerhalb der offiziellen Partei, sie wurden dort ausgewählt und geschult.

Ob die KP in der Illegalität gefährlicher ist als in der Legalität, mag dahingestellt Sein. Zwar war die offizielle Parteiorganisation das Stück des Eisberges, das man sehen konnte.

Aber die illegale Seite der KPD war schon seit ihrer Gründung vorhanden. Schließlich war es Lenin, der bereits 1919, als er die KOMINTERN aus der Taufe hob, forderte: „Die Kommunisten sind verpflichtet, überall einen parallelen illegalen Apparat zu schaffen, der im entscheidenden Augenblick der Partei helfen soll, ihre Pflicht gegenüber der Revolution zu erfüllen.“ Lieber den parlamentarischen Weg ist es der KP noch nie gelungen — wenn man von zwei unbedeutenden Staaten, nämlich San Marino und Kerala, absieht —, die Macht zu erobern. Diese Tatsache macht verständlich, warum die KP unerschütterlich an ihrem Glauben von der „mit Sicherheit kommenden Weltwirtschaftskrise“ festhält. Die von Karl Marx zur Doktrin erhobene Krisentheorie gehört nach wie vor zum Eckpfeiler der kommunistischen Ideologie. Dieses Hoffen auf die revolutionäre Situation ist der Grund, warum der kostspielige illegale Apparat aufrechterhalten und mit allen Mitteln ausgebaut wird.

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