6638495-1957_30_06.jpg
Digital In Arbeit

Festung „Betrieb”

Werbung
Werbung
Werbung

Die Ergebnisse der westdeutschen Betriebsratswahlen liegen noch nicht endgültig vor. Ein vorläufiger Ueberblick zeigt jedoch, daß die Kommunisten ihre Stellung halten konnten. Wenn es in einigen Betrieben gelang, die ehemals der KP angehörenden Kandidaten zurückzudrängen, hatten sie in anderen Betrieben Mandatsgewinne zu verzeichnen..Diese Tatsache ist um so alarmierender, als die KP ja als legale Partei aufgehört hat, zu existieren. Auch ein Vergleich der Stimmprozente gibt zu denken. Erhielt die Kommunistische Partei bei den Bundestagswahlen im September 1953 nur 2,2 Prozent der Stimmen, so hält sie bei den Betriebsratswahlen hartnäckig ihre 17 bis 20 Prozent (in 164 Bergbaubetrieben des Landes Nordrhein-Westfalen waren es 195 5 genau 18,88 Prozent).

Ein Vergleich Parlamentswahlen—Betriebsratswahlen klingt zunächst abwegig. Aber befreien wir uns von der Vorstellung, daß die Politik vor den Fabriktoren halt mache. Diese Zeit ist endgültig vorbei. Der Betrieb ist nicht mehr ausschließlich eine „Institution zur Erstellung wirtschaftlicher Leistungen”. Nach diesem Kriege wurde der Betrieb zum Brennpunkt der sozialpolitischen Auseinandersetzung. Die Technisierung des Produktionsapparates brachte eine Umgestaltung der soziologischen Struktur der Bevölkerung mit sich, sie zwang zu einer Zusammenballung der menschlichen Arbeitskraft auf engstem Raume. Der Massenbetrieb beherrscht mehr oder weniger unser Leben. Die Fabrik ist zum Symbol des 20. Jahrhunderts geworden. Inzwischen ist der Betrieb zum politischen Raum geworden, in dem viel mehr Entscheidungen fallen, als gemeinhin angenommen wird. Diese Tatsache muß man beachten, ob man will oder nicht. Die Aktivität der KP, die auf der parlamentarischen Ebene ausgeschaltet ist, zwingt einfach dazu.

Der Betrieb war für die KP schon immer die Festung, die es einzunehmen galt. Nirgendwo gibt es einen besseren Nährboden für umstürzlerische Parolen als dort, wo viele Menschen auf engem Raume Zusammenarbeiten müssen. Was Wunder, daß die KP in den Brennpunkt „Betrieb” Mit einer scharf gezielten Agitation hineinstößt.’Die Kommunisten haben klar erkannt, daß sich die kleinen Mißstände im Betrieb mit etwas propagandistischem Geschick leicht in politisches Kapital ummünzen lassen. Ganz deutlich hat es der Kaderchef der KP, Hermann Schirmer, ausgesprochen, um was es geht:

„Allein in den fünf Ruhrgroßstädten Dortmund, Bochum, Gelsenkirchen, Essen und Duisburg arbeiten mehr als 200.000 Bergarbeiter. In 14 Kreisen des Ruhrgebietes sind zirka 400.000 Bergarbeiter konzentriert. Sie haben, in Anbetracht der Bedeutung der Kohle für die gesamte deutsche Wirtschaft, faktisch den Schalthebel der Produktion in Händen. — Oder nehmen wir die chemische Großproduktion: Der IG-Konzern mit seinen drei Hauptwerken Ludwigshafen, Höchst und Leverkusen, in denen 60.000 bis 70.000 Arbeiter beschäftigt sind, hat zu 90 Prozent die gesamte Chemieproduktion in Westdeutschland monopolisiert. Das bedeutet aber anderseits, daß das Proletariat, das in den drei Werken konzentriert ist, eine Stellung innehat, die in diesem Industriezweig absolut ausschlaggebend ist.”

Der Schalthebel der Produktion ist für die KP gleichzeitig der Schalthebel der Politik. Bei der letzten großen Säuberung, die die KP um die Jahreswende 1953/54 durchführte, hieß eine der Anweisungen: „Für den Umtausch der Mitgliedsbücher ist gleichzeitig der Beschluß … ,Ueberführung aller Genossen Betriebsarbeiter aus den Wohngebieten in die Betriebsgruppen” zu überprüfen und dort, wo der Beschluß noch nicht voll durchgeführt ist, endgültig zu verwirklichen. “

Das war der Startschuß für eine konzentrierte Betriebsarbeit der KP. Die kommunistischen Betriebsgruppen wurden damit zu den wichtigsten Grundeinheiten der Parteiorganisation. Das parteiinterne Organ der KP. „Unser Weg”, schrieb dazu: „Wir werden die Arbeiter nur dann für unsere Politik gewinnen, wenn wir in den Betrieben, vor allem in den Großbetrieben, über ideologisch, politisch und organisatorisch feste und aktionsfähige Betriebsgruppen verfügen. “

Der Aufbau der kommunistischen Betriebsgruppen hat sich verhältnismäßig rasch vollzogen. Während man zunächst auf die in den Betrieben bereits vorhandenen Kommunisten zurückgriff, schleust man heute im Zeichen der Illegalität die Leute systematisch ein. Die älteren KP-Mitglieder sind nämlich durchweg überall bekannt und daher von vornherein abgestempelt. Die Elite der KP kommt heute aus der sowjetischen Besatzungszone, teilweise als politische Flüchtlinge getarnt, in die Betriebe hinein. Es sind junge Leute, als Facharbeiter ausgebildet und bestens geschult. Sie haben den Auftrag, sich durch Hilfsbereitschaft gegenüber den Arbeitskollegen Vertrauen zu erwerben und mit ihnen zu diskutieren. Beständig werden von den Kommunisten Flüsterparolen innerhalb des Betriebes in Umlauf gesetzt. „Unser Weg” gibt hierzu folgende Richtlinien:

„Am wirkungsvollsten ist das direkte Gespräch. Das ist erklärlich, denn jeder Genosse ist in der Lage, sich bei seinem Gespräch ganz auf den Gesprächspartner einzustellen. Er arbeitet mit ihm an derselben Werkbank, hat dieselben Sorgen und Nöte, weiß seine Ansichten in vielen Fragen und kann so dem Gespräch einen persönlichen und vertrauensvollen Charakter geben. Unser Genosse Agitator kann an persönliche und betriebliche Dinge anknüpfen und das Gespräch auf solche Fragen hinlenken, die durch den gemeinsamen Kampf gelöst werden müssen. Es muß zu unserer vornehmsten Aufgabe gehören, vor allem in den Betrieben eine Armee von Agitatoren zu schaffen, die kühn die Politik in den Betrieb tragen und deren Hauptaugenmerk auf die Herstellung der Aktionseinheit gerichtet ist, die die Betriebe zu Festen des Kampfes machen.”

Die Betriebsgruppen sind nach dem Leninschen Kaderprinzip aufgebaut. „Jeder Betrieb muß unsere Festung sein … Das Betriebsunterkomitee muß sich die Mühe geben, den ganzen Betrieb, einen möglichst großen Teil der Arbeiter durch ein Netz von allen möglichen Zirkeln (oder Agenten) zu erfassen .”

Mit diesem Netz sind die größeren Betriebe längst überzogen und die KP ist eifrig dabei, es auch in den Mittelbetrieben zu tun. Die Arbeitsweise der Kommunisten ist dabei recht einfach. Keinem geschulten KP-Funktionär wird es einfallen, zunächst offen für die KP in seinem Betrieb Propaganda zu machen. Geschickt setzt er bei den Mißständen an und versucht die Diskussion allmählich auf allgemeine politische Fragen hinzulenken. Gegenwärtig bestehen in Westdeutschland etwa 1200 kommunistische Betriebsgruppen, deren Stärke zwischen drei und 150 Mitgliedern schwankt.

Sichtbares Zeichen der kommunistischen Aktivität sind die Betriebszeitungen. Diese Zeitungen sind für die KP das wichtigste schriftliche Agitationsmittel. Zum Thema: „Was ist eine Betriebszeitung?” heißt es:

„Die Betriebszeitung ist keinesfalls eine Zeitung für die Mitglieder der Betriebsgruppe, sondern eine Zeitung für die Gesamtbelegschaft des jeweiligen Betriebes. Das Organ der Betriebszelle muß ausgehen von der Lage und den Interessen des Arbeiters, an den es gerichtet ist. Es knüpft an die täglichen Vorgänge im Betrieb an, die gegen das Interesse des einzelnen Arbeiters oder gegen das der Gesamtbelegschaft verstoßen, und zeigt, wie dieser Verstoß gegen die Eigeninteressen in Verbindung steht mit der Offensive der Ausbeuterklasse gegen die Arbeiterklasse. Nehmen wir zum Beispiel einen der jetzt täglich in den Betrieben auf tauchenden Mißstände, die ihre Ursache in der kapitalistischen Rationalisierung der Betriebe haben. Im Betrieb passiert einer der täglichen Unglücksfälle. .Die Betriebszeitung wird den Vorfall schildern. In Verbindung damit zeigt sie auf, daß sich die kapitalistische Rationalisierung für den Arbeiter im Lohndruck auswirkt, der zur Hetzarbeit zwingt und zur Außerachtlassung der Arbeitsschutzbestimmungen.

Sofort wird dem Arbeiter der Begriff .Rationalisierung” und die Notwendigkeit des gemeinsamen Kampfes verständlich sein, viel besser, als wenn er ein kluges Referat hört oder einen langen Leitartikel gelesen hätte. Die Findigkeit und die Beweglichkeit des Redakteurs der betreffenden Betriebszeitung ist eine besonders wichtige Voraussetzung für ihre gute Wirkung. Die Hauptsache ist, daß die Zeitung so geschrieben ist, daß sie die Betriebsbelegschaft wirklich zum Verständnis des Klassenkampfes und seiner Notwendigkeit führt.”

Dieses Zitat ist zwar lang, aber lehrreich. Es ist genau das, was die kommunistischen Betriebszeitungsredakteure von der Parteispitze in die Hand gedrückt bekommen. Bringt man den Inhalt dieser Ausführungen auf einen Nenner, kann man sagen, der kleine Mißstand im Betrieb wird zur grundsätzlichen politischen Forderung erweitert.

Bis zum Verbot der KP erschienen in Westdeutschland etwa 600 kommunistische Betriebszeitungen. Heute hat man wiederum rund 50 illegal erscheinende Zeitungen registriert. Es ist anzunehmen, daß mit dem Näherrücken der Bundestagswahlen diese Zahl noch stark ansteigen wird. Die illegale Erscheinungsweise hat diese Zeitungen nur noch interessanter gemacht. Im Vordergrund stehen immer die betrieblichen Mängel, die zu „Mängeln des Systems” ausgedehnt werden.

Die Betriebszeitungen verstehen sich ausgezeichnet auf den „Männerklatsch”, der am Arbeitsplatz blüht. Sie verknüpfen geschickt die betrieblichen Fragen mit politischen Halbwahrheiten. Der die Zusammenhänge nicht durchschauende Leser ist dabei nur zu leicht geneigt, Halbwahrheiten als bare Münze hinzunehmen. Und damit ist es der KP gelungen, Zweifel in die Köpfe der Menschen hineinzulenken und ihre Ideologie tropfenweise anzubringen.

LENIN: „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung