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Rotkehlchen 487 ruft umsonst

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Noch in der Nacht zu jenem Freitag im August 1956, an dem die westdeutsche KP in Karlsruhe durch das Bundesverfassungsgericht verboten wurde, pinselten die Agitationskolonnen der Kommunisten in den Städten und Dörfern an Häuser und Wände die weißleuchtende Parole: Die KPD kann man nicht verbieten, sie wird immer weiterleben!

Am nächsten Tag wurde es dennoch offenbar. Durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes wurde die KP als verfassungsfeindliche Organisation aufgelöst und damit aus dem öffentlichen Leben der Bundesrepublik entfernt. Der Schritt von der legalen Tätigkeit der Kommunisten zur illegalen Untergrundarbeit war somit auch juristisch vollzogen.

Seitdem erfährt die westdeutsche Oeffentlich- keit nur noch sporadisch in Zeitungsmeldungen und Berichten von jenem „Kampf im Dunklen", urch den die illegale KP versucht, auch weiterin ihren Einfluß auf das politische Leben West-, fleutschlands geltend zu machen.

Zwei Jahre nach dem Verbot der KPD ist es heute möglich, sich ein umfassendes Bild von den Schwerpunkten und Zielen der kommunistischen Untergrundarbeit, ihrer Arbeitsweise und Organisation zu machen.

SCHATTENLEITUNG NACH OST-BERLIN

Einen ersten Einblick in den Aufbau der illegalen KPD und die Methode der Untergrundarbeit erhielt man, als der Verfassungsschutz vor Jahresfrist in Braunschweig die KP-Zentrale für das Industriegebiet Watenstedt/Salzgitter aushob. Sie befand sich in einem versteckten Winkel der Seuchenstation der städtischen Krankenanstalten und wurde von zwei Mitgliedern der illegalen KP geleitet, von denen einer Krankenpfleger war

Das bei dieser Gelegenheit und später zusammengetragene Material deutet darauf hin, daß das KP-Verbot nicht die eigentlichen Drahtzieher in der KP getroffen hat, da die Masse der Agitatoren, Agenten und Instrukteure meist schon 1951/52 aus der öffentlichen Parteiarbeit herausgenommen wurden. Die Mitglieder der sogenannten „Schattenleitungen", die von der damaligen Düsseldorfer Parteileitung zu „Sonderaufgaben“ freigestellt wurden, dürften nicht einmal als Kommunisten bekannt sein.

Der illegale Kommunist tritt heute als Parteiloser auf und steht mit der Ost-Berliner Zentrale über Verbindungsmänner und Instrukteure in Kontakt. Diese Zentrale befindet sich im Gebäude des Zentralkomitees der SED, dem sogenannten „Glaspalast“ in der Lothringer Straße. Direkt dem Parteisekretär Ulbricht unterstellt, arbeiten hier die drei Hauptagitationszentralen für Westdeutschland, die Gesamtdeutsche Abteilung, die Verkehrsabteilung und das Arbeitsbüro der KPD, das von den Altkommunisten Paul Verner und Hans Rosenberg geleitet wird und dem Max Reimann, Oskar Neumann sowie der eigentliche Boss der KP, der Kaderchef Hermann Schirner, angehören.

„BEWAHRUNGSAUFTRAG“ ÜBER DIE GRÜNE GRENZE

Wenn man von den Zielen und Schwerpunkten aller kommunistischen Untergrundtätigkeit sprechen will, so ist als Hauptziel der Versuch zu nennen, das Leben in der Bundesrepublik geistig zu zersetzen und im Sinne der sowjetischen Ideologie zu beeinflussen. Ihm dienen sowohl die Bemühungen einzelner Funktionäre, als unabhängige Kandidaten bei den Kommunal- und Landtagswahlen in die Parlamente vorzudringen, als auch die Propagandatätigkeit mit Hilfe illegal erscheinender Zeitungen und Informationsblätter.

Dabei scheint sich das Bemühen, durch Zeitungen Einfluß auf die Bevölkerung zu gewinnen, vor allem auf das Land Niedersachsen zu konzentrieren. Dort erschienen bereits häufig illegale KP-Zeitungen, die irgendwo in der Bundesrepublik gedruckt werden. So unter anderen eine Kleinausgabe von „Freies Volk“ und die hekto- graphierte „Neue niedersächsische Volksstimme“, die im März 1957 täglich zu mehreren tausend Exemplaren durch die Post an Haushalte verschickt wurde und deren Impressum neckischerweise lautet: Druck; . Niedersächsische Staatsdruckerei — verantwortlich Heinrich Hetlwege — erscheint nach Bedarf, unabhängig von den Bemühungen der Spitzel- und Agentenorganisationen. Darüber hinaus wird auch immer wieder versucht, illegale Zeitungen in der Sowjetzone zu drucken und sie dann in die Bundesrepublik einzuschmuggeln. Bekannt wurde dabei jene Ausgabe von „Wissen und ?at“, Zeitschrift für Theorie und Praxis des wissenschaftlichen Sozialismus, die sinnigerweise in der Tarnung und äußeren Aufmachung einer Reclam-Ausgabe von Mozarts „Zauberflöte“ in die Bundesrepublik eingeführt werden sollte.

URLAUB IN DER ZQNE

Die Schwerpunkte der kommunistischen Untergrundtätigkeit auf dem Sektor der Einflußnahme auf die Jugend und innerhalb der Industriebetriebe wurden der Oeffentlichkeit erstmals bei der Aufdeckung der Affäre Kinderlandverschik- kung in die Ostzone und bei den Betriebsratswahlen im Ruhrgebiet Mai 1957 bekannt. Damals errangen die Kommunisten bei den Betriebsratswahlen verschiedener Großbetriebe einige Erfolge, so daß der begründete Verdacht besteht, daß von den über 2000 kommunistischen Betriebsgruppen, die vor dem KP-Verbot in westdeutschen Betrieben bestanden, die meisten illegal Weiterarbeiten. Im Rahmen der Ur- : laubsaktiön für westdeutsche f i/ider als Versuch zur direkten Einflußnahme auf die Jugend wurden allein im Jahre 1956 rund 30.000 westdeutsche Kinder zu einem mehrwöchigen kostenlosen Urlaub in Kinderferienlagern in die Sowjetzone geschleust, wobei die Fahrt bis zur Zonengrenze aus Geldern der illegalen KP bezahlt wurde, von dort aus übernahm die Grothe- wohl-Regierung alle weiteren Kosten.

Ein weiterer Schwerpunkt der kommunisti schen Untergrundtätigkeit liegt bei dem Kampf gegen die Remilitarisierung Westdeutschlands. Ziel ihrer Angriffe sind vor allem die Angehörigen der Bundeswehr. Nicht nur, daß in den letzten zwei Jahren immer wieder knallige Magazine mit lockenden Sexbomben-Photos und kommunistischen Begleittexten im Holzhammerstil erschienen und an die Bundeswehrsoldaten verteilt wurden („t)ie Kaserne“, „Magazin iftir' alle“), man entwickelte auch kompaktere Methoden. 1956 waren es zunächst die gefälschten Einberufungsbefehle, die die Wehrpflichtigen narrten. Anfang 195 8 folgten dann fingierte Liebesbriefe von unbekannten Schönen aus dem Garnisonsort an verheiratete Bundeswehrsoldaten, die deren Ehefrauen geschickt in die Hände gespielt wurden, um ihre Eifersucht zu wecken.und seit August 1958 versendet man auch Todesmitteilungen an die Angehörigen von Bundeswehrsoldaten, um sie auf diese wenig geschmackvolle Art in Angst und Sorge zu versetzen.

SCHWALBENSCHWANZ 3, STRICH 7 ...

Agitation um jeden Preis, das gilt auch für den geheimnisumwitterten Freiheitssender 904, der seit dem 19. August 1957 allabendlich ab 20 Uhr über Mittelwelle bei der Marke 904 kHz sein Programm für die Bundesrepublik ausstrahlt. Ueber seinen Sendungen liegt der Schatten der Illegalität. Das Vokabular der ungeschulten Sprecher, deren Stimmen meist sehr aufgeregt klingen, ist nicht sonderlich gewählt. Man spricht von „Adenauers Knüppelgarde, Gestapo- Gangster, Willkürjustiz und Knechtschaft . Anschließend dann siedendheiße Jazzmusik. Nach zwei, drei Platten plötzlich Stille — „Achtung, Achtung, es folgt eine wichtige Durchsage“, flüstert eine sympathische Frauenstimme ins Mikrophon und fährt dann fort: , Rotkehlchen 487

— der Schnee schmilzt!“ oder „Schimmel siebenelf — das Hufeisen wird beschlagen!“

Dem Bundesbürger, der zufällig beim Spielen am Skalaknopf auf die Wellenlänge des illegalen Freiheitssenders 904 gerät, läuft in diesem Augenblick ein angenehmes Schaudern über den Rücken. Er genießt das Abenteuer, die geheimsten Anweisungen irgendwelcher Spionageringe und Agentenzentralen mit anhören zu können.

Da es sogleich wieder amerikanische Tanzmusik gibt, wird er wahrscheinlich auch noch weiter auf dieser Welle bleiben, um noch mehr Geheimnisse zu erlauschen. Und er wird nicht enttäuscht! Nach etlichen Takten Tanzmusik wieder die weiche Frauenstimme. Sie flüstert: „Schwalbenschwanz 3, Strich 7, Schwalbenschwanz 3, Strich 7 — Orchidee ist erblüht, Orchidee ist erblüht!“ Donnerwetter, denkt der harmlose Hörer, die kommunistische Untergrundbewegung scheint in der Bundesrepublik aber ziemlich stark zu sein, und er lauscht wieder der Tanzmusik, denn sozialistische Lieder hört man beim Freiheitssender 904 nur einmal am Abend, und zwar am Ende des Programms, das mit Freude, edler Götterfunken ... beginnt und mit Brüder, zur Freiheit, zur Sonne aufhört. In den Pausen zwischen der Musik hört er dann außer den „Code-Meldungen“ noch Tips, wie man sich bei Haussuchungen verhält und wie man die kommunistische Ideologie den Kaffeekränzchenschwestern mundgerecht serviert. Auch einen Aufruf wird er von Zeit zu Zeit hören, etwa: „Geht in die Schrebergärtenvereine, Genossen! Gründet oder beteiligt euch an Skatklubs, bringt unsere Politik in die Sportvereine, entfaltet Eigeninitiative!“

ERFOLG GLEICH NULL

Betrachtet man unabhängig davon die geringen Erfolge, die die zweijährige Tätigkeit der KP als Untergrundbewegung bis heute in der Bundesrepublik zeitigte, so wird man erkennen, daß ihre großen Anstrengungen, im ganzen gesehen, nutzlos gewesen sind und in ihren Auswirkungen auf die Menschen der Bundesrepublik und ihr staatsbürgerliches Bewußtsein dürften sie gleich Null gewesen sein. Eine Tatsache, die uns die Hoffnung gibt, daß die Bundesrepublik auch in Zukunft auf den vom Bundesinnenministerium herbeizitierten Staatssicherheitsdienst verzichten kann, um sich weiterhin der Dienste des 'Verfassungsschutzes zu bedienen.

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