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Ulbricht rief und alle, alle kamen...

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Was in Moskau während der Feiern des 40. Jahrestages der Oktoberrevolution anscheinend nicht gelang, ist im westlichen Vorfeld des Kremls bereits in die Praxis umgesetzt: das kleineuropäische Kominform. Zwar gibt es noch keine einheitliche Zeitung und auch noch kein Büro wie einst in Belgrad oder später in Bukarest. Doch die Zusammenarbeit der europäischen kommunistischen Parteien hat im letzten Jahre in beachtlichem Maße zugenommen. Die wichtigsten Zentralen befinden sich in Ost-Berlin und Paris. Ost-Berlin ist der weit nach Westen hineinragende Vorposten Moskaus. Paris gilt durch die Stärke der KPF als sicherer Stützpunkt im Westen. Zu diesen Umschlagplätzen der kommunistischen Infiltration kommen noch Straßburg und Wien. Beide Städte nehmen sich speziell der deutschsprachigen Gebiete an.

Im Jahre 1957 trafen sich die KP-Führer diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs in Ost-Berlin. Dabei waren die westlichen Vertreter die wichtigsten Besprecbungspartner. Pankow kaüp£te enge- Kontakte mit der KP Italiens -mit der französischen KP und mit den Kommunisten Oesterreichs. Was die einzelnen Parteidelegationen in Ost-Berlin besprachen, waren wohl mehr als lediglich „Freundschaftsgespräche“ und auch mehr, als man in den veröffentlichten Kommuniques lesen konnte. Walter Ulbricht versucht, ohne Zweifel mit Billigung des Kremls, die europäischen Kommunisten zu einer verstärkten Zusammenarbeit zu bringen, um die Infiltration der westdeutschen Bundesrepublik besser vorantreiben zu können.

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Die Intensität der Ost-Berliner Kontaktaufnahme ist auffallend, aber auch einleuchtend: das Ziel aller Bemühungen ist die Koordinierung der kommunistischen Arbeit in den europäischen Ländern. Ulbricht will in erster Linie die Deutsche Bundesrepublik in die Zange nehmen und der SED die Möglichkeit schaffen, die Infiltration Westdeutschlands nicht nur von der Zone aus zu betreiben. Alle Zeichen deuten zudem darauf hin, daß Ost-Berlin künftig zur Befehlszentrale für die europäischen kommunistischen Parteien ausgebaut werden soll. Höhepunkt in diesen Bestrebungen bildete der vom 4. bis 15. Oktober in Leipzig durchgeführte IV. Kongreß des kommunistisch gesteuerten Weltgewerkschaftsbundes. Louis Saillant, der Generalsekretär des WGB, forderte in Leipzig gemeinsame Beratungen der Kommunisten in den Staaten des „kleineuropäischen Zollpaktes“ über die „geeigneten Aktionsmittel gegen den arbeiterfeindlichen Zusammenschluß der großen Monopole. Der Kampf gegen den Zollpakt muß in erster Linie in den Betrieben, am Arbeitsplatz eines jeden Werktätigen geführt werden“.

Der Nachhilfeunterricht für die kampfunerfahrenen Staatsfunktionäre des sowjetzonalen FDGB wurde am -27. und 28. April in Düsseldorf eröffnet, wo sich einige FDGB-In-strukteure mit neun Abgesandten der CGT über die „Notwendigkeit gemeinsamer Aktionen“ unterhielten. Ende Juni 1957 trafen wiederum FDGB-Instrukteure und Beauftragte der CGT, diesmal in Honnef bei Bonn und Hamburg, zusammen. Am 29. und 30. Juni beriet sich eine Delegation von FDGB-Instrukteuren in Paris mit der KPF. Das Ergebnis dieses Treffens fand in einem Flugblatt seinen Ausdruck, das die CGT in deutscher und französischer Sprache in Paris herstellen ließ und das auch in Westdeutschland stark verbreitet wurde:

„Die Arbeiter aus der Deutschen Bundesrepublik, Frankreich, England, Italien, Belgien haben seit dem Anfang des Jahres 1957 große Streiks geführt für die Verteidigung ihrer Lebensbedingungen, gegen die Ausbeutung der kapitalistischen Monopole . .. Was die Verteidigung des Friedens anbelangt und besonders die schreckliche Gefahr eines Atomkrieges, sind sich die Arbeiter aller Länder einig. Warum sollten die Arbeiter unter solchen Umständen noch länger warten, ohne gemeinsam zu handeln?“

Ende August schickte schließlich das Zentralorgan der französischen KP, „L'Humanite“, einen Korrespondenten, Gilbert Badia, nach Westdeutschand, der einmal die Zusammenarbeit ankurbeln und zum anderen über die Bundestagswahlen berichten sollte. Am 1. September fand dann auch ein entscheidendes Gespräch zwischen „Betriebsarbeitern und Gewerkschaftsführern Frankreichs und Deutschlands“ in der Ruhrmetropole Essen statt.

Parallel zu der Essener Tagung organisierte die CGT ein „Bodenseetreffen“, an dem neben | FDGBlrlsttuWteuren auch Delegierte aus Oester-; reich und der Schweiz teilnahmen. Die französischen Kommunisten brachten ihren deutschsprachigen Kollegen exakte Anleitungen mit, vor allem die Erfahrungen, die von der CGT während des Bergarbeiterstreiks im Frühjahr 1957 in den Steinkohlengebieten des Gards, der Loire, der Mosel und in den nordfranzösischen Gruben gemacht wurden. In einem Bericht der KPF über diesen Streik heißt es:

„Hunderte von begreizten, perlartigen Streiks mit einer Produktionsherabsetzung von 20 bis 60 Prozent wurden ausgelöst — mehrere von diesen Streiks dauerten länger als einen Monat. .. Kurz gesagt, unsere Taktik war ausgezeichnet Wir haben uns nicht durch verfrühte Entschließungen einengen und nicht durch Ungeduldige hinreißen lassen. Wir haben sie überzeugt, zu warten, bis die Einheit in den Betrieben hergestellt ist. Wir haben unsere Vorkämpfer nicht enttäuscht und keine Anstrengung, um geeint und in der Masse zu handeln, gescheut. Wir haben den günstigen Augenblick gewählt und zur rechten Zeit die Leitung übernommen.“

Die Einschaltung der französischen Kommunisten stellt für den sowjetzonalen FDGB zweifellos eine große Erleichterung dar. Doch ist es keinesfalls so, daß die KPF oder die CGT innerhalb der europäischen kommunistischen Parteien eine Vormachtstellung errungen hätte. Walter Ulbricht hält in jedem Falle das Heft in der Hand. Was sich schon daraus ergibt, daß alle Gelder aus Ost-Berlin kommen!

Die FDGB-Arbeit in Westdeutschland wird von dem 39jährigen Rudolf Kirchner gesteuert, der seit August 1952 Sekretär des Vorstandes des FDGB ist. Als direkter Vorgesetzter fungiert Goldstein, der persönliche Referent Walter Lllbrichts.

Daß die Ost-Berliner Machthaber die ehemaligen KP-Genossen zur Schulung nach der

SBZ abkommandieren.mußten *, zeigt, wie stark der revolutionäre Schwung der illegalen Kader in Westdeutschland nachgelassen hat. Ulbricht will die westdeutschen Genossen in seiner DDR schärfer an die Kandare nehmen. Die sowjetzonalen Ideologen mußten die für sie immerhin schmerzliche Erfahrung machen, daß die Heranzüchtung von willenlosen Apparatschiks auch Nachteile hat, nämlich dann, wenn der Apparat zerschlagen wird. Die Mitglieder der „Partei neuen Typs“ sind systematisch daran gewöhnt worden, nur auf Befehl von oben zu handeln. Da der Apparat in der Bundesrepublik nach dem Verbot der KP nicht mehr intakt ist, funktioniert auch der „demokratische Zentralismus“ nicht mehr richtig.

Die SED-Machthaber, die in den Jahren 1950 bis 1953 jede geistige Selbständigkeit in den Reihen der KP-Mitglieder mit Stalin-Methoden hinausgesäubert haben, stehen nun vor der Tatsache, daß die illegalen kommunistischen Kader in der Bundesrepublik trotz, der humanen Bekämpfung, durch, die Polizei, weniger, kampfwillig sind als während der brutalen und un-menschlichen Verfolgung durch die Gestapo im „Dritten Reich“. Vor allem die älteren KP-Mit-

* Ein Teil der leitenden westdeutschen KP-Funktionite befindet sich gegenwärtig zur ..Gehirnwäsche“ in den FDGB-Schulungsstärten: Bad Saarow bei Berlin (FDGB-Heim „Pawel Bykow“), Bernau bei Berlin C,Fritz Heckert“), Falkensee bei Berlin (ausschließlich für wei-tdentsche Lehrgangsteilnehmer bestimmt) und Berlin-Weißense?.

“ Die politischen Meinungsforscher im Zentralkomitee der SED glaubten auf Grund der gefälschien Berichte der KPD zeitweise ernsthaft daran, daß die KP die Mehrheit der Bevölkerung in Westdeutschland hinter sich hätte, und daß nur die ..Polizeikniippel der Adenauer-Regierung“ die Wähler in der Bundesrepublik hindern würden, ihre Stimmen der KPD zu geben!

glieder sind durch den Zickzackkurs der Parteilinie so unsicher geworden, daß sie ein „bürgerliches Leben“ mit gesichertem Arbeitsplatz jenem eines „Berufsrevolutionärs“ vorziehen.

Dies ist der Grund, warum Walter Ulbricht neue Leute in den Untergrundkampf schickt. Die jungen FDGB-Funktionäre aus der Zone haben die ideologische Belastung von 1945 bis 1956 nicht in dem Maße über sich ergehen lassen müssen. Sie kamen vor allem nicht in die Säuberungsmühle hinein, die alle ehemaligen Westemigranten während der großen Prozesse im Ostblock erfaßte. Das ist die eine Seite der Um-besetzung an der Infiltrationstront. Ein zweites Moment dürfte darin bestehen, daß Ulbricht versucht, der Führer einer Art „dritten Kraft“ im internationalen Lager des Weitkommunismus zu werden.

Durch die Ausschaltung der westdeutschen KP hat Ulbricht die kommunistische Politik in Gesamtdeutschland vereinheitlicht, denn trotz ihrer Abhängigkeit von der SED hat die westdeutsche KP teilweise Politik auf eigene Faust gemacht, zumindest in den ersten Jahren nach 1945.

Nach der Uebernahme des illegalen kommunistischen Netzes in Westdeutschland durch den FDGB kann Ulbricht auch auf die kleinste Aktion direkten Einfluß nehmen. Die FDGB-Instrukteure werden nämlich unmittelbar von Ost-Berlin aus eingesetzt, sie bleiben nur etwa drei bis sechs Wochen im Bundesgebiet und kehren dann wieder in die Zone zurück, wo sie sofort Rechenschaft über ihre Arbeit geben müssen. Auf Optimismus frisierte Berichte, wie sie die KPD nach Ost-Berlin geschickt hatte**, sind heute kaum noch möglich. Die SED wird ihre Politik gegenüber Westdeutschland nun auf die tatsächlichen Verhältnisse einstellen können. Vor allem fällt in der Beurteilung der Verhältnisse in der Bundesrepublik die „Betriebsblindheit“ der einheimischen Funktionäre weg, die meist zu subjektiv gefärbten Berichten führte. Die FDGB-Instrukteure werden wahrscheinlich rascher Ansatzpunkte für eine Unterwanderung oder Beeinflussung feststellen können.

Durch die enge Verbindung, die der FDGB bei seiner Arbeit in Westdeutschland mit der französischen KP und der kommunistischen CGT geknüpft hat, errang Ulbricht einen gewissen Einfluß auf die KPF, der sich nicht zuletzt in der finanziellen Unterstützung zeigt. Gewisse Anzeichen sind vorhanden, daß die SED der KPF mehr Gelder zuweist, als für die Arbeit in Westdeutschland benötigt werden.

Die Besuche der meisten europäischen kommunistischen Parteien (auch der osteuropäischen) in Ost-Berlin, die wahrscheinlich 1958 noch weitergeführt werden, lassen den Schluß zu, daß Ulbricht ein ..kleineuropäisches Kominform“ mit Sitz in Ost-Berlin aufbauen will. Ob Ulbricht hierbei mit Billigung Moskaus handelt oder auf eigene Faust, ist noch nicht abzusehen. Jedoch wäre es möglich, daß der Kreml seinen treuesten Gefolgsmann zum Statthalter der Kommunisten Europas eingesetzt hat.

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