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Bonns akademische „Rote”

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Die Studentenunruhen in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Attentat auf den Ideologen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), Rudi Dutschke, wurden von den Freunden der noch verhältnismäßig jungen deutschen Demokratie mit unverhüllter Besorgnis verfolgt.

Das massive propagandistische Feuer aus dem Osten scheint die Annahme zu rechtfertigen, daß alles, was im Westen Besorgnis erregte, im Osten umgekehrt Hoffnung weckte. Doch das Verhalten des Ostens enthüllt eine gewisse Zwiespältigkeit, die bereits beim Berliner Vietnamkongreß im Februar 1968 stark in Erscheinung getreten war. Bekanntlich hatten an dieser Veranstaltung für Vietnam keine Vertreter der östlichen Jugendbewegungen teilgenommen. Am Kontrollpunkt waren die Vertreter der sogenannten Freien Deutschen Jugend nicht, wie vereinbart, erschienen. Die Kontrollformalitäten wurden bewußt so durchgeführt, daß Verzögerungen entstanden und es den Teilnehmern unmöglich wurde — wie ursprünglich geplant — die Fahrt auf die Interzonenautobahn in einer geschlossenen Kolonne zu organisieren, wodurch eine gewisse Unmut der zornigen Jungmänner in Kauf genommen wurde. Dafür wurden ihnen aber die Autobahngebühren erlassen.

Es verbindet die linksradikalen Studenten und die regierenden kommunistischen Parteien keine wahre Liebe, sondern beschränke Gemeinsamkeiten und Interessen. Die Zwiespältigkeit des Verhältnisses bleibt bestehen, obwohl sich der Akzent in Richtung auf eine gewisse Zusammenarbeit verschob. Die Linksradikalen distanzieren sich — zumindest theoretisch —, von den erstarrten kommunistischen Parteien, träumen in verschwommenen Vorstellungen von einer Gesellschaft, die sie an Stelle der kapitalistischen errichten wollen und die anders ausschauen sollte, als die im Ostblock errichtete; und sie bekennen sich zum Teil auch zu einigen Lehren von Mao. Mit ähnlichen Ideen würde sich theoretisch auch die Jugend in den Ostblockstaaten gegen die kommunistischen Machthaber wenden.

Skepsis im Osten

So ist es zu erklären, daß irgendwie im Gegensatz zum propagandistischen Trommelfeuer nach Ausbruch der Unruhen das polnische Jugendorgan „Sztandar Mlodych” ein ziemlich kritisches Porträt Rudi Dutschkes zeichnete. Dutschkes politische Welt sei ein ungewöhnliches Konglomerat aus Marxismus, Leninismus, Luxemburgismus, Trotzkismus und revisionistischen Ansichten des Idols der amerikanischen Hippies, Prof. Marcuse. Protest sei Aussage, Mittel — und oft auch einziges Ziel. Die Ideologie Dutschkes lasse sich als totale Negation zusammenfassen und sei arm an konstruktiven Vorschlägen, schrieb das polnische Blatt am 16. April 1968. Es erscheint somit nicht verwunderlich, daß es außer in Jugoslawien in beinern kommunistischen Land zu Solidaritätskundgebungen für die deutschen Kommilitonen kam. Eine solche Versammlung veranstalteten nur noch die französischen kommunistischen Studenten.

Außerdem müssen die kommunistischen Funktionäre im Osten mit einem gewissen Neid feststellen, daß die studentische Bewegung eine politische Vitalität aufweist, die der KPD und allen Hilfsorganisationen trotz des geschulten Apparats fehlt; und die sich einer Resonanz innerhalb der sogenannten liberalen Linken erfreut, die der KPD, der Deutschen Friedensunion oder der Ostermarschbewegung versagt bleibt, so daß dem Kommunismus weiterhin der ersehnte Durchbruch in der Bundesrepublik aussichtslos scheinen muß.

Allerdings erwarten die KP-Füh- rungen in Osteuropa vom Auftritt des SDS und anderer Gruppen einen Gewinn für die Glaubwürdigkeit der eigenen Propagandathesen über die „Verlogenheit” der westlichen Gesellschaft, die „manipulierte Demokratie” usw. Man hat den Eindruck, daß sich seit dem oben erwähnten Vietnamkongreß eine Annäherung vollzogen hat. Anderseits reiste Dutschke nach Prag und sprach vor den in der Universität versammelten Studenten. Dabei äußerte er Befürchtungen über die Aussichten einer „Demokratisierung” unter der Alleinherrschaft einer Partei. Gerade dieser Umstand hätte aber von den deutschen Linksstudenten dahin ausgelegt werden können, daß die tschechoslowakische Führung sich im Sinne ihrer eigenen Vorstellungen bewegt.

Wie weit ging jedoch die materielle Unterstützung durch den Osten? Experten des Bundesinnenministe- riums erklärten sachlich, es gebe keinen Beweis, daß Geld von „drüben” gekommen ist; und dies, obwohl gerade diese Frage auf dem Frankfurter SDS-Kongreß Ende März debattiert werden sollte und nur wegen Zeitmangels nicht mehr zur Diskussion kam. Es wurden Vorwürfe gegen Dutschke erhoben, der einmal erklärt haben soll, eine SDS-Qrgianisa- tion erhalte Geld vom Osten, sich ein anderes Mal jedoch überhaupt gegen Annahme von Ostgeldern ausgesprochen hat. Auch der Bundesbevollmächtigte in Berlin, Lemmer, erklärte in einem Interview mit dem „Echo der Zeit”, er glaube nicht an eine Unterstützung von seiten der Stellen in Ost-Berlin; er wisse von einer Unterstützung durch die chinesische Botschaft. Allerdings wurden die Parolen, angefangen mit’ „Enteignet Springer”, über „Pogromstimmung” und „Faschismus” in den Redaktionsstäben des Albert Norden in Pankow geboren.

Als „Unterstützung” aus Ost- Berlin wären auch noch folgende Vorgänge zu registrieren: Die plötzliche Entdeckung Dutschkes durch „Neues Deutschland” zu Ostern, die Versicherung desselben Ost-Berliner Organs am 18. April: „Wer sich bemüht, im Sinne der Demokratie und des Friedens Ordnung zu schaffen, kann immer auf uns rechnen”; die Übernahme der Verteidigung der SDS-Mitglieder durch einen Ostberliner Staranwalt; der Aufruf der Westberliner SED, den 1. Mai „zu einem Höhepunkt der antifaschistischen Aktion” zu machen und zur weiteren „Unterbindung der Pogromhetze” der Springer-Zeitungen; der Brief des KPD-Chefs Reimann an Dutschke mit der Anrede „Teurer Genosse” und der Aufruf der KPD zum sogenannten „Sternmarsch” auf Bonn am ll. Mai.

Eskalation der Furcht

Es bleibt nur die Hoffnung, daß die Unruhen eine Polarisierung herbeiführen könnten. Es ist nämlich eine Sonderliehkeit des politischen Denkens im Osten, daß die Kommunisten lautstarke Befürchtungen über das Anwachsen der NPD und über die Wiedergeburt des Nazismus äußern, anderseits jedoch gerade die Voraussetzungen des Aufschwungs der Rechtsradikalen fördern. Es ist nämlich so, daß die revolutionäre studentische Bewegung von der mit dem Bonner Staat noch nicht versöhnten Linksintellek- tualität ursprünglich unterstützt worden ist, weil sie eine Entwicklung einleiten könnte, die nicht in einen kommunistischen Staat Moskauer und Ostberliner Prägung enden würde, sondern sogar den Osten in Bewegung bringen könnte. Man dachte sich offensichtlich im Osten, daß eine Unterstützung der Studentenbewegung, die gleichzeitig die Heftigkeit der Unruhen steigern würde, den Eindruck einer akuten Gefahr vermitteln könnte; und somit den Prozeß einer „Eskalation der Furcht” einleiten würde, der für die Stärkung der äußersten Rechte notwendig erscheint.

Die Vorteile, die sich Moskau und Ost-Berlin von einer Erstarkung der äußersten Rechten erhoffen, sind klar:

• Ein Graben zwischen Westdeutschland und den westlichen Alliierten, insbesondere Amerika.

• Ein neuer Auftrieb für die Linkskräfte in Westeuropa und für den Volksfrontgedanken.

• Eine neue Furcht vor Deutschland in Osteuropa, die notwendig erscheint, falls es zur Unterzeichnung des Atomsperrvertrags kommen sollte.

Deswegen steht die gegenüber Deutschland verfolgte Linie im Gegensatz zu der behutsamen Politik der Moskauer Führung in allen Erdteilen: anders als Peking, versucht Moskau aufs peinlichste, Radikalisierung zu vermeiden. Dabei läßt sich der Kreml nicht nur von der Erfahrung der dreißiger Jahre, sondern auch von den Ereignissen etwa in Guatemala, Brasilien und Indonesien, leiten.

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