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Korrektheit -aber nicht mehr

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Der Flirt kommt nicht überraschend. Finnlands anbefohlener Liebe zur Deutschen Demokratischen Republik — kürzlich im Anbot zu Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen als Blumenstrauß verpackt — folgt nun auch der skandinavische Nachbar. In der schwedischen Regierungspartei mehren sich Stimmen und Anträge, mit Ost-Berlin eine Liaison zu beginnen.

Und just zur gleichen Zeit spinnt auch schon die neutrale Schweiz Wirtschaftsbande zum preußischen Sozialismus. Neutrale Gemeinsamkeiten?

Es ist keine Frage, daß die Anerkennung des „anderen Deutschlands“ auch für Österreich offensichtlich eine Frage der Zeit sein wird. Die Berlinregelung —, die deutschen Ostverträge, die innerdeutschen Verhandlungen: das alles macht es schwer, etwa einen perpetuierten Alleinvertragsanspruch Bonns weiter zu unterstützen; auch dann, wenn eine neue Regierung in Bonn einrücken sollte.

Österreichs Beziehungen zu den Staaten des Ostblocks haben sich auf der Ebene der Korrektheit abgewik-kelt. Der neutrale Staat am Rande des so lange hermetischen Eisernen Vorhangs war und ist stets darauf bedacht, innerstaatliche Ordnungen als Fakten anzuerkennen; und Wiens Diplomaten in Budapest, Warschau und Moskau ließen in 17 Jahren souveräner österreichischer Außenpolitik keinen Zweifel daran, daß die neutrale Alpenrepublik zwar ideologisch nicht im Lager des Ostens steht, aber eben die korrekte Diplomatie nicht von Ideologie abhängig macht.

Und das hat offenbar im Osten auch Anerkennung gefunden. Selbst das in der letzten Zeit nicht eben zurückhaltende antikommunistische Timbre in der Sprache von Bruno Kreisky hat die Beziehungen nicht verschlechtert.

Nichts diesbezügliches steht also der Aufnahme korrekter Beziehungen auch zur DDR entgegen — so-ferne das Deutschland westlich der Oder und des Thüringer Waldes sein Verhältnis mit der noch immer sogenannten Demokratischen Republik auf deutschem Boden nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch geregelt hat.

Schielen also nach Bonn?

Man sollte nicht vergessen, daß Österreich mit der Bundesrepublik nicht nur gemeinsame Grenzen und manche gemeinsamen Interessen in Mitteleuropa, sondern auch manche Bindungen auf vielen Ebenen hat; und daß wir nicht zuletzt in Bonn gute Freunde wissen, die uns in den Verhandlungen mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft nicht nur einmal Sukkurs gegeben haben. Bonns Regelung mit Ost-Berlin muß also Voraussetzung jedes Kontakts von Wien mit Ost-Berlin sein. Ist dies der Fall, und wird dann tatsächlich verhandelt, bleiben allerdings noch immer einige Prämissen am Tisch.

Man soll sich keine Illusionen machen. Der Staat des Willy Stoph, Walter Ulbricht und Erich Honecker hat nur dem Zwang des Kremls entsprochen, mit Bonns Regierung überhaupt ernsthaft zu reden. Es mangelt im ersten Arbeiter- und Bauernstaat sehr wohl am echten Willen zur Entspannung, die neuerdings überall und allzuoft nicht nur strapaziert, sondern in Europa als schon erfolgt betrachtet wird. Die DDR hat ihren Anspruch nicht aufgegeben, den Sozialismus leninistischer Prägung in ganz Deutschland aufzurichten — und ganz Deutschland reicht immerhin bis Berchtesgaden.

Diplomatische Beziehungen und kompromißloser Angriff in einem also? Schöne Worte bei Staatsbanketts, in Wirklichkeit aber etwa ein Sprungbrett zur Agitation?

Man sollte nicht vergessen, daß die Sozialisten des neuen Preußens noch immer deutsch reden — und die Österreicher auch. Daß etwa eine liberale Praxis der österreichischen Vereinspolizei rigorose Maßnahmen scheut; und daß Wiens Staatspolizei in diesem Land nicht eben von Löwen geführt wird.

Verfrühte Ängste? Mag sein.

Noch zwingt Wien niemand zum gleichen Schritt wie die Finnen oder möglicherweise die Schweden. Man sollte nur wissen, was kommt; oder kommen kann — wMl es nicht kommen muß.

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