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Bonn und Prag

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Es mehren sich die Anzeichen, daß ln Prag Überlegungen angestellt werden, wie die Beziehungen zu Bonn verbessert werden könnten. Dabei spielen offensichtlich wirtschaftliche Erwägungen eine wichtige Rolle, doch stehen sie ebenso offenkundig im Schatten schwerer politischer Hemmnisse.

Die Tschechoslowakei befindet sich in einem beachtlichen wirtschaftlichen Aufschwung. Sie war stets ein Land mit einer tüchtigen Industrie, die sie immer weiter ausbauen und modernisieren will. Je mehr ihr Export nach dem Westen ansteigt, desto größer wird ihre Unabhängigkeit von Moskau. Es sind dies Erwägungen, die auch in Rumänien angestellt werden.

Für die Ausweitung des tschechoslowakischen Exports und für die Unterstützung des industriellen Aufbaus bietet sich die Bundesrepublik in besonderer Weise an. Nicht nur ist sie Nachbar der ČSSR. Sie ist auch seit 1964 der wichtigste westliche Handelspartner. Auf der anderen Seite sieht sich der tschechoslowakische Export zunehmend der Konkurrenz durch die Sowjetzone ausgesetzt, die von den Ostblockstaaten nach Sowjetrußland der bedeutendste Handelspartner Prags ist.

Deshalb treten einflußreiche Kreise in Prag dafür ein, die Beziehungen zu Bonn auf eine andere Grundlage zu stellen, mit dem Ziel, baldmöglichst auch diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Zur Zeit 1st die Tschechoslowakei das einzige Ostblockland, mit dem Bonn keine Handelsmissionen ausgetauscht hat.

Indes sind in Prag auch andere Strömungen zu erkennen, die es mit einer Annäherung an Bonn gar nicht eilig haben. Sie glauben vielmehr, die Bundesrepublik habe, zumindest auf lange Sicht gesehen, ein so großes Interesse an guten Beziehungen zu Prag, daß sie eines Tages dafür einen hohen Preis zu zahlen bereit sein werde.

Im Lauf der Zeit haben zwischen Bonn und Prag mannigfache Fühlungnahmen stattgefunden, wie Immer in solchen Fällen auf den verschiedensten Kanälen. Sie alle kreisen um die tschechische Vorbedingung, Bonn müsse das Münchner Abkommen von 1938 zunächst einmal als null und nichtig erklären und sich auf den Standpunkt stellen, es habe nie bestanden. Nun ist man in Bonn, wenn nicht alles trügt, grundsätzlich bereit, eine entsprechende Erklärung abzugeben. Bundeskanzler Erhard hat schon versichert, die Bundesrepublik habe keine territorialen Ansprüche an die Tschechoslowakei.

Aber das genügt den Tschechen nicht. Auf der anderen Seite haben namhafte neutrale Völkerrechtler wie Paul Guggenheim den Standpunkt eingenommen, bestanden habe das Abkommen zunächst, doch sei es hinfällig geworden, nachdem Hitler sein damit verbundenes Versprechen. keine territorialen Forderungen mehr zu stellen, selbst durch den Einmarsch in Prag gebrochen habe.

Dieser Streit der Völkerrechtler ist offensichtlich nicht zu bereinigen. Jedes Gespräch mit einem tschechoslowakischen Funktionär ergibt dies. Wenn man weiterkommen will, muß man daher zuvor erklären, welche Rechtsfolgen sich nach Prager Auffassung aus einer deutschen Nichtigkeitserklärung ergeben. Eine solche Klärung wird ohne ein freimütiges Gespräch wohl nicht zu erreichen sein.

Neben dieser Hauptfrage bildet die Berlin-Klausel eine Schwierigkeit. Beim Abschluß eines Warenabkommens müß e die Bundesregierung auf Grund einer Auflage der Westalliierten auf der Klausel bestehen, die bisher von Prag abgelehnt wird, obwohl andere kommunistische Staaten sie angenommen haben. Olfenbar ist der Druck aus Pankow, unterstützt von Moskau, hier besonders stark.

Die Frage ist nun, ob Bonn und Prag an einer Verbesserung ihrer Beziehungen so interessiert sind, daß sie gemeinsam einen Weg zu suchen bereit sind, um diese Klippen zu umgehen.

In der Tat gibt es in der jüngeren Geschichte einige Vorgänge, an die man sich in diesem Zusammenhang erinnert. So hat die Bundesregierung, als sie im Jahr 1955 diplomatische Beziehungen mit Moskau aufnahm, eine Erklärung abgegeben, in der sie feststellte, daß sie den Alleinvertretungsanspruch erhebe und die Oder-Neiße-Linie nicht anerkenne. Die Sowjetregierung hat damals die Erklärung entgegengenommen, die damit nach deutscher Auffassung völkerrechtlich wirksam wurde. Warum sollte ähnliches bei der Herstellung diplomatischer Beziehungen zu Bonn nicht ebenfalls möglich sein?

Schließlich hat die „New York Times“ dieser Tage in einer Betrachtung über die Erhebung der amerikanischen Botschaften in Budapest und Sofia und der ungarischen und bulgarischen Botschaften in Washington geschrieben: „Alle die zweitrangigen Streitigkeiten mit Ungarn — über finanzielle Forderungen und den Status des Kardinals Mindszenty — hat man einfach ignoriert, ebenso wie ähnliches im Fall Bulgarien. Die Auffassung hat Fortschritte gemacht, daß die herausragenden Probleme leichter gelöst werden können, wenn die Atmosphäre sich aufgehellt hat.“

Ohne Frage lassen sich die Überlegungen auch auf das Verhältnis zwischen Bonn und Prag anwenden. Es gibt Fragen zwischen beiden Ländern, in denen man sich gegenseitig, wie es heute den Anschein hat, nicht bekehren kann. Aber das braucht nicht zu hindern, daß man auf anderen Gebieten Fortschritte macht, die ein wärmeres Klima erzeugen, in dem nach und nach auch noch die strittigen Fragen geregelt werden können. Entscheidend ist — so sieht es sich von Bonn aus an —, daß zunächst auf beiden Seiten ein politischer Willensakt gesetzt wird, über alle Streitpunkte hinweg einander näherzukommen.

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