6717516-1964_50_07.jpg
Digital In Arbeit

Begegnung mit Zorin

Werbung
Werbung
Werbung

Nun wurde die Diskussion noch fortgesetzt mit dem sowjetischen Vizeaußenminister Zorin. Dieser meinte, die Sowjetunion habe mehrmals ihre Bereitschaft erklärt, einen Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen an Drittmächte zu unterzeichnen. Das Haupthindernis jedoch sei heute die MLF, an der .Bonn das Hauptinteresse habe. Ohne die MLF könntei-fflatortoÜVBHräg über ‘7 die NichtvörtiieittiHgäb’von Atomwaffen sofort unterzeichnen. Im übrigen habe die Sowjetunion ja das Prinzip der Nichtverbreitung praktisch verwirklicht, denn sie liefere niemandem Atomwaffen. Sie wäre auch bereit, eine Garantieerklärung für eine atomwaffenfreie Zone abzugeben, falls die Gegenseite — die Westmächte — dasselbe tun würden. Ob man in Moskau an neuen Vorschlägen arbeite, um den Kampf um die MLF auf konstruktivem Weg zu schlichten, war auch von Zorin nicht zu erfahren.

Am offensten wurden die Diskussionen in Warschau geführt. Polen, die betonten, nicht Mitglieder der Partei zu sein und auch nicht im Sinn haben, es je zu werden, und die im öffentlichen Leben führende Positionen einnehmen, umschrieben ihre Absichten ungefähr folgendermaßen: Nach allem, was wir Polen unter Hitler-Deutschland gelitten haben, müssen wir heute die Situation erleben, daß wir den Deutschen einen Rapacki- und einen Gomulka- Plan zur Schaffung atomwaffenfreier Zonen in Europa Vorschlägen, daß diese Pläne, vor allem der Gomulka-Plan, weitherum in Westeuropa auf Sympathie stoßen, daß aber ausgerechnet Bonn sie ablehnt. Bonn hat den Rapacki-Plan abgelehnt, dann haben wir Polen Konzessionen gemacht und den Gomulka-Plan vorgeschlagen, der den Einwänden der Westmächte entgegenkommt — aber Bonn lehnte wiederum ab. Der Westen behauptet, in Europa eine Atomwaffenübermacht zu haben, aber das hat uns nicht gehindert, einen Vorschlag zu unterbreiten, der ein „Einfrieren” des gegenwärtigen Atomwaffenzustandes in Zentraleuropa und damit ein „Einfrieren” der westlichen Übermacht vorsieht. Bonn hat trotzdem nein gesagt.

Drängen die Deutschen zur Atombombe?

Aber nicht nur das. Kein Mensch in Polen ruft nach Atomwaffen, weder im Volk noch in der Regierung. Kein Mensch in Polen will an den „Druckknopf” — aber die Westdeutschen, sie wollen an den

Druckknopf. Und man mache uns nichts vor: Die MLF führt zur nationalen deutschen Atomwaffe. Man sehe doch bloß, was von den einschränkenden Bestimmungen über die westdeutsche Rüstungsbeschränkung alles übriggeblieben ist! Jetzt müssen wir Polen, nach allem, was wir erlebt haben, sehen, daß djeW.egtdeutsch,ejj sielt. nut fallen Gewalt an die Atombombe herandrängen— als einzige Macht im zentraleuropäischen Raum überdies! Und nicht nur das: Dieselben Westdeutschen sind die einzige europäische Macht mit territorialen Ansprüchen, und zwar mit Ansprüchen gegenüber Polen. Wie können wir ein solches Verhalten Bonns anders als mit größter Sorge verfolgen?

Nachdenkliche Heimkehr

Schließlich mag noch ein Gespräch im Warschauer Institut für internationale Fragen, eine Art polnischem „Chatham-House”, erwähnt sein. Wir gewannen in diesem Gespräch den Eindruck, daß alle die uns interessierenden Fragen wohl nirgends sonst so gründlich und mit solch wissenschaftlicher Sachlichkeit durchdacht worden sind wie hier. Dieses Institut — dies nur nebenbei — sollte zum bevorzugten Gesprächspartner für informelle Ost-West-Gespräche werden. Und hier fielen auch die entscheidenden Sätze. Man sagte: Wir sind nicht so ängstlich wegen der „deutschen Gefahr”, als vielmehr wegen der deutschen Verantwortung, sobald Bonn den Finger am Atomdruckknopf hat. Das heißt: Man ist hier realistisch genug, einzusehen, daß wir nicht mehr 1939 schreiben und in Bonn niemand daran denkt, einen Atomkrieg zu entfesseln, sondern daß Bonn — wie offen erklärt wurde — politische Gründe für seine Befürwortung der MLF hat. Aber das macht in den Augen der Polen die Sache nicht besser, denn ist Bonn — nach allem, was sich hier in den letzten Jahren abgespielt hat — politisch reif genug, eine so ungeheuere Verantwortung zu tragen? Ein Bonn, in dessen Regierung ein Minister sitzt, der offen territoriale Forderungen erhebt? Ein Bonn, in dem ein Franz Josef Strauß wieder an die Macht drängt?

Man kann von einer solchen Reise nicht anders als äußerst nachdenklich zurückkehren. Doch wenn diese Reise eines gelehrt hat, dann ist es dies, daß West und Ost gar nicht genug — auf allen nur denkbaren Ebenen — miteinander reden können. Dieser Dialog aber hat erst begonnen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung