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Amerikanisches Atomdilemma

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Der Entwurf für einen Vertrag gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen, den der amerikanische Delegierte Foster der Genfer Abrüstungskonferenz unterbreitete, hat keine Lebenschancen. Abgesehen davon, daß er im NATO-Lager selbst auf offene Kritik stößt und die legitimen Wünsche der „Neutralen“ wie etwa Schwedens, Indiens und Ägyptens nicht berücksichtigt, ist ihm das kategorische „Nein“ der Sowjetunion sicher.

Man würde die unerfreulichen Vorgänge in Genf aber gründlich mißverstehen, wollte man annehmen, es gehe den USA und der Sowjetunion nur darum, sich gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuspielen. Beide Mächte scheinen emsthaft an einem Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen interessiert, und vieles spricht dafür, daß eine Einigung über ein solches Abkommen durchaus zu erreichen wäre, wenn es nicht ein weltpolitisches Hindernis gäbe, das zu beseitigen den Großmächten bisher nicht gelungen ist. Dieses Hindernis ist der Bonner Wunsch nach einer Beteiligung an einer atlantischen Nuklearstreitmacht, die es Bonn erlauben würde, über den Einsatz der atlantischen Atomwaffen mitzuentscheiden.

Die Sowjetunion hat seit langem unmißverständlich klargemacht, daß sie einem Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen nur zustimmen könnte, wenn durch dieses Abkommen garantiert würde, daß Bonn in keiner Weise an irgendeinen „Atomdruckknopf“ herangelassen würde. Von Moskau aus gesehen ist es ja eben eines der wesentlichen Ziele eines solchen Abkommens, Bonn zu hindern, je eine Atommacht werden zu können. Nach sowjetischer Auffassung wäre eine Beteiligung Bonns an einer atlantischen Nuklearstreitmacht — mit entsprechender Mitbestimmung über den Einsatz von Atombomben — nur ein erster Schritt auf dem Wege zu einer nationalen Atomstreitmacht. In Wahrheit fürchtet Moskau aber weit eher, daß Bonn mit Hilfe einer solchen Mitbestimmung die USA unter Druck setzen und für eigene nationale Ziele — die Wiedervereinigung etwa — einspannen könnte. Diese Moskauer Befürchtungen werden auch durch den britischen Kompromißvorschlag in Genf nicht zerstreut, eine atlantische Nuklearstreitmacht mit Vetorecht der USA und Großbritanniens aufzubauen

Die amerikanische Position in dieser Situation ist wenig beneidenswert. Einerseits hat Washington alles Interesse an einem baldigen Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen, um so zu verhindern, daß durch die Entstehung neuer Atommächte die amerikanische Position in dem „atomaren Patt“ zwischen USA und Sowjetunion geschwächt und das berühmte

Gleichgewicht des Schreckens zerstört werde. Anderseits muß Washington Rücksicht auf Bonn nehmen. Diese Rücksicht war es denn auch, die dem von den USA in Genf vorgelegten Vertragsentwurf Pate stand. Der amerikanische Delegierte Foster erklärte ausdrücklich, dieser Entwurf schließe die Bildung einer atlantischen Nuklearstreitmacht nicht aus. Dadurch verurteilt sich dieser amerikanische Entwurf aber selbst zum Tode, da jedermann weiß, daß die Sowjetunion ihm unter diesen Bedingungen nicht zustimmen wird.

Aber die Schwäche der amerikanischen Position ergibt sich vor allem aus der Tatsache, daß ja diese atlantische Nuklearstreitmacht in der Form der MLF längst tot ist. Von den Verbündeten Amerikas ist niemand mehr dafür zu begeistern, außer Bonn. In Washington selbst ist der Plan weitgehend abgeschrieben. Die USA haben deshalb, um es etwas makaber auszudrücken, in ihren Genfer Vertragsentwurf eine Leiche eingebaut. Aber gerade diese Leiche ist es, die den Abschluß eines Abkommens unmöglich macht. Die Frage, vor die die USA sich in Genf gestellt sehen, lautet deshalb: ist es im langfristigen Interesse Amerikas

— und des Weltfriedens — wichtiger, Bonn mit dem Bekenntnis zu einer politischen Fiktion bei guter Laune zu erhalten und auf ein Abkommen gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verzichten

— oder den Versuch zu unternehmen, unter Gefahr einer Verärgerung Bonns die Zustimmung Moskaus zu einem solchen Abkommen zu erlangen.

Einiges spricht dafür, daß die USA, ein ernsthaftes Interesse der Sowjetunion am Abschluß eines solchen Abkommens vorausgesetzt, sich schließlich doch entscheiden könnten, den zweiten Weg zu wählen. Der amerikanische Delegierte Foster hat dann auch in Genf erklärt, der amerikanische Vertragsentwurf sei eine Diskussionsgrundlage, er sei vielleicht noch kein perfektes Instrument und könne noch wesentlich abgeändert werden. Diese amerikanische Konzessionsbereitschaft ist wesentlich darauf zurückzuführen, daß Bonn sich mit seiner Politik immer mehr isoliert hat und selbst die Verbündeten der USA — vor allem Großbritannien — immer mehr dazu neigen, gewisse Sympathien für die sowjetische Konzeption zu entwik-keln.

Der Schwarze Peter liegt deshalb in Wahrheit in Bonn. Von einem rein nationalstaatlich-strategischen Denken aus ist der Bonner Wunsch nach Mitbestimmung in einer atlantischen Nuklearstreitmacht gewiß legitim. Aber einmal wäre die Frage aufzuwerfen, ob dadurch die Spaltung Deutschlands nicht noch zusätzlich zementiert würde, da entsprechende Reaktionen auf östlicher Seite kaum ausbleiben würden.

Vor allem aber ist es heute problematischer denn je, ob die westliche Außenpolitik sich in ihrem Verhältnis zur Sowjetunion primär von strategischen Überlegungen leiten lassen soll. Wer glaubt denn heute noch ernsthaft an eine Absicht Moskaus, Westeuropa militärisch — gar mit Atombomben — anzugreifen?

Und auch hier stellt sich die Frage: Dient es tatsächlich der europäischen Sicherheit, die Atomrüstung auf europäischem Boden, in welcher Form auch immer, weiter forcieren zu wollen und dabei die Chance zu verspielen, zu einem Abkommen mit der Sowjetunion gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen zu gelangen? Daß die Sowjetunion ernsthaft an einem solchen Abkommen interessiert sei, hat kein Geringerer als Averell Harriman — nach seinen Gesprächen in Moskau — erklärt. Hat Harriman recht, dann ist es um die Chancen Bonns, den nuklearen Schwarzen Peter wieder los zu werden, nicht gut bestellt.

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