6819532-1973_27_06.jpg
Digital In Arbeit

Flexibler im Palais Czernin

19451960198020002020

Die Paraphierung des tschechoslowakisch-deutschen Vertrages und die ihr vorausgehenden Außenministergespräche zwischen Österreich und der Tschechoslowakei in Linz deuten unmißverständlich eine Aktivierung der tschechoslowakischen Außenpolitik an. Jetzt versteht man erst auch richtig, warum es im Dezember 1971 zu dem damals sensationellen Wechsel im Prager Außenressort gekommen ist und warum Jan Marko in die Wüste geschickt wurde, der seit September 1969 dem Prager Außenministerium vorstand.

19451960198020002020

Die Paraphierung des tschechoslowakisch-deutschen Vertrages und die ihr vorausgehenden Außenministergespräche zwischen Österreich und der Tschechoslowakei in Linz deuten unmißverständlich eine Aktivierung der tschechoslowakischen Außenpolitik an. Jetzt versteht man erst auch richtig, warum es im Dezember 1971 zu dem damals sensationellen Wechsel im Prager Außenressort gekommen ist und warum Jan Marko in die Wüste geschickt wurde, der seit September 1969 dem Prager Außenministerium vorstand.

Werbung
Werbung
Werbung

Marko, vorher nie mit außenpolitischen Fragen befaßt, war vor allem Wirtschafsfachmann gewesen und hatte eine nicht nur absolut moskautreu, sondern auch völlig moskaukonforme, farblose Außenpolitik betrieben, in den ersten Monaten nach seiner Amtsübernahme zweifellos die einzig mögliche. Nun ist der seit fast zwei Jahren tätige neue Außenminister Chnoupek gewiß auch nicht aus der diplomatischen Laufbahn hervorgegangen; der einstige Journalist, wendiger und geschickter als sein Vorgänger, dazu Slowake tschechischer Herkunft, war immerhin seit 1970 Botschafter in Moskau, hatte hier viel gelernt und gesehen und vor allem erkannt, daß blinde Moskautreue die Stellung eines Landes in Moskau nicht eben erleichtert und vor allem kaum stärkt.

Inzwischen war der Lähmung des Ostblocks nach dem Jahre 1968 eine differenziertere Politik gefolgt. Gewiß waren die alten Gruppierungen, eine nähere Zusammenarbeit im Nordosten und eine solche im Südosten — zweifellos auf sowjetisches Drängen — nicht mehr aktiviert worden. Im Nordosten das „Eiserne Dreieck“, bestehend aus Ostdeutschland, Polen und der Tschechoslowakei; im Südosten die schon in den Anfängen zerstörte Konstellation zwischen Jugoslawien, Rumänien und der Tschechoslowakei, die nur allzusehr der einstigen „Kleinen Entente“ ähnelte.

Im Norden hat aber inzwischen vor allem die wirtschaftlich erstarkte DDR sich, ebenso geschickt wie energisch, der Tschechoslowakei angenommen; im Südosten kann vorerst nicht gesagt werden, welche Konstellation ein Tito-Nachfolger bevorzugen wird; die sich 1968 anbahnende scheint trotz der eigenwilligen rumänischen Außenpolitik vorerst kaum wahrscheinlich. Bei diesen vielfältigen, wenn auch unterschiedlichen Aktivitäten des Ostblocks darf auch die ungarische nicht unerwähnt bleiben. Ungarn hat seine Außenpolitik — denken wir vor allem an das unermüdliche Bemühen Budapests in der Frage der europäischen Sicherheitskonferenz — ganz in den Dienst Moskaus gestellt und sich dafür mancherlei im Bereich der Innenpolitik ausgehandelt.

Bei all dieser Bewegung ihrer Nachbarn und bei der so beweglichen Moskauer Außenpolitik stand die Tschechoslowakei bisher sicherlich abseits, was für einen Großteil der Tschechen um so schmerzlicher war, als ja ihre Außenpolitik in den zwanzig Jahren der Zwischenkriegszeit ausgesprochen avantgardistisch, aktiv und initiativ — wenn auch letztlich verfehlt und verhängnisvoll — war. Auch damals schon war das Propagandistische dieser Politik effektvoller als ihre Substanz. Aber zum Teil lebt man auch heute noch von den Früchten der Propaganda von einst.

Nun,sind einer effektiver werdenden tschechoslowakischen Außenpolitik zweifellos Grenzen gesetzt. Bei dem Vertrag mit Bonn, dessen Einzelheiten gewiß noch nicht bekanntgegeben sind, dürfen die nur aJlzu-guten Beziehungen zwischen Prag und Ost-Berlin nicht übersehen werden, die große Sprünge kaum ermöglichen. - Gewiß scheint das Abkommen mit Bonn auch zu zeigen, daß Prags Politik auch flexibler geworden ist. Durch das lange Warten und das starre Ringen um die Formulierung hinsichtlich des Münchner Abkommens hat man nichts hinzugewonnen. Übrigens hat ja auch Bonn sehr unterschiedliche Erfahrungen mit Prag machen müssen; denken wir etwa daran, wie der seinerzeitige Außenminister und heutige Bundeskanzler Brandt eine Abfuhr vom tschechoslowakischen Außenminister des Jahres 1968, Ha-jek, erhielt.

Auch die tschechische Tendenz, mit der Aktivierung der deutschtschechischen Beziehungen gegenüber Österreich und den Forderungen österreichischer Staatsbürger zurückhaltender zu werden, wie dies etwa bei den Linzer Gesprächen — mögen diese auch in freundlicher Atmosphäre verlaufen sein — deutlich wurde, wird einer um neue Aktivität bemühten Außenpolitik Prags kaum zuträglich sein.

Gewiß wird der für den Frühherbst geplante Besuch des deutschen Bundeskanzlers Brandt in Prag und auch der Besuch von UN-Generalsekretär Waldheim im Ostblock (und damit auch in Prag) der tschechoslowakischen Außenpolitik neuen Auftrieb geben. Eine Außenpolitik aber lebt nicht von Staatsbesuchen und feierlichen Unterzeichnungen, sondern vom Alltag. Und da hat Prag im Verlauf der letzten 25 Jahre so viel verschüttet und verkommen lassen, daß noch viel mühselige und ehrliche Arbeit den Herrn im Prager Czemin-Palais zu tun übrigbleibt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung