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Außenpolitik auf Rädern

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Mögen Frost und Kälte auch noch die Verkehrswege blockieren - die Sonne steigt. Bald wird es Frühjahr. Diese meteorologische Situation mag in eigenartiger Weise mit der politischen korrespondieren, in der Bundesminister Kreisky und Staatssekretär Gschnitzer aufgebrochen sind, um mit einer Reise nach London den Anfang von einer Reihe diplomatischer Besuche zu machen, die sie als Vertreter Österreichs in eine Reihe europäischer Hauptstädte führen werden. Paris steht als zweite Stadt auf dem Fahrplan. In der ersten Märzwoche findet dann der schon längere Zeit angekündigte Besuch in der polnischen Hauptstadt statt, der eines Interesses über die Grenzen Österreichs hinweg sicher sein kann. Am 7. März werden Kreisky und Gschnitzer in Bonn erwartet. Es ist eine beliebte Geste, bei dem Besuch von zwei Staaten, deren Beziehungen belastet sind, eine Zwischenstation einzuschalten: die Vertreter unserer Außenpolitik werden dieselbe voraussichtlich in Brüssel machen. Ein Besuch in Belgrad am 16. März ■ wird diese .,Winterreisen“ der österreichischen Außenpolitik beschließen.

Gewiß dürfte der neue selbständige Chef des Bundesministeriums für Auswärtige Angelegenheiten die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, um persönliche Visitenkarten in den europäischen Hauptstädten abzugeben. Sein Reisegefährte aber — und noch nachdrücklicher Erklärungen von Bundeskanzler Raab — dürften alle kombinationsfreudigen in- und ausländischen Kreise darüber aufgeklärt haben, daß die österreichische Außenpolitik auch in Zukunft von den beiden Regierungsparteien gemeinsam betrieben und verantwortet wird.

Wohl aber ist eines deutlich: die dritte Phase der österreichischen Außenpolitik nach 1945 ist im Zuge. Die erste Etappe umfaßte das Jahrzehnt zwischen Befreiung und Freiheit. Sie war, grob gesprochen und auf eine einfache Formel gebracht, bestimmt von den immer wieder und in den verschiedensten Variationen vorgetragenen Ruf: „Wir wollen den Staatsvertrag “ Die zweite Etappe der Jahre nach 1955 war zunächst der Freude über das endlich eingetretene Ereignis gewidmet, später von Gehversuchen als souveräner Staat auf den diversen internationalen Fora bestimmt. Die Frage EWG oder EFTA machte jedoch selbst der breiten Öffentlichkeit deutlich, daß Österreich auf ' dem Gebiet der Außenpolitik Entscheidungen von größter Tragweite zu treffen habe. Sie markiert ungefähr den Beginn der nun angelaufenen „dritten Etappe“.

Wie kann und wird sie Österreich bewältigen? In der Antwort auf diese Frage sind deutlich zwei Schattierungen erkennbar, die — und das regt zum Nachdenken an — sich keineswegs mit den parteipolitischen Demarkationslinien decken. Die einen sehen im Staatsvertrag nur einen Preis für die Freiheit. Sie erblicken in der militärische Neutralität eine Selbstbeschränkung die man eingegangen ist, um die Russen loszuwerden. Österreich ist für diese Mitbürger ein kleiner Staat und nicht mehr. Äußerste Zurückhaltung auf internationalem Gebiet erscheint ihnen als Gipfel der Weisheit, die europäische Integration ist ihr einziges Idol. Auf der anderen Seite denkt man - entgegen allen heimlichen und offenen Diffamierühgsversuchen — nicht weniger gut europäisch. Allein, man betrachtet die österreichische Neutralität nicht'allein negativ — man sieht in ihr vielmehr eine Chance, für uns und unsere Nachbarn im Westen und auch im Osten. Ja, auch für die. Ohne einem trügerischen Illusionismus zu huldigen, billigen diese Fürsprecher unserer Außenpolitik eine Aufgabe zu, die bei vorsichtigem und geduldigem Agieren ihre Früchte tragen, muß. Der österreichische Regierungschef und sein neuer Außenminister — mögen beide auch von ganz verschiedenen Ausgängspunkten kommen — treffen einander in dem Willen, letztere Auffassung einer österreichischen Außenpolitik in die Tat umzusetzen. Sie können in diesem Bestreben der Unterstützung aller sicher sein, denen Österreich nicht nur „Heimat“ ist und unser Staat mehr als ein großer „Konsumverband“.

Über die Staatsbesuche von Dr. Kreisky und Prof. G*hnitzer wurde, vor allem nachdem ihre östlichen Reiseziele bekannt wurden, manch abenteuerlicher Kommentar geschrieben. Doktor Kreisky bekam schon den Titel eines „österreichischen Rapacki“ taxfrei verliehen, und für Prof. Gschnitzer hätte sich sicher auch noch ein schmückendes Beiwort gefunden. Nun, da die beiden Repräsentanten unseres Staatswesens ihre erste Fahrt angetreten haben, hat es beinahe den Anschein, man sei von offizieller Seite bemüht, den Eindruck zu erwecken, es handle sich bei allen Reisen um reine Händeschütteltouren. Die erstere Interpretation ist genau so abwegig wie die zweite allzu verharmlosend. Wäre letzteres wirklich der. Fall, dann wäre es schade um die Reisespesen. Aber die Wahrheit ist eben doch anders: Ein kleines, im Schnittpunkt zweier Welten gelegenes Land sucht seinen eigenen Weg in Hie Zukunft zu erkunden. Mögen Frost und Kälte auch noch die Verkehrswege blockieren.

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