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RANDBEMERKUNGEN ZUR WOCHE

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GELEBTE DEMOKRATIE. In der immer dichter werdenden Folge politischer Diskussionen dieses Herbstes verdient die Bundestagung des Oester- reichischen Akademikerbundes, die am letzten Wochenende in Linz stattfand, besondere Beachtung. Dies nicht nur um der großen Anzahl Prominenter, um der geistigen Potenzen willen, die an ihr teilnahmen und den Beschlüssen das fachliche Gepräge liehen. Es war der Ton: ein frischer, offener, zuweilen wohltuend harter und „respektloser" Ton, der vielen der zweihundert Teilnehmer in Erinnerung bleiben und vielleicht manchen von ihnen neue Impulse geben wird. Zwölf Arbeitsausschüsse arbeiteten die Bestandteile eines politischen Aktionsprogramms heraus, dessen Spannweite von einer Reform der Volkspartei bis zum Problem der Frau im öffentlichen Leben, von neuen Ideen in der Wirtschafts-, Gesellschafts- und Kulturpolitik zu den erkannten besonderen Aufgaben einer österreichischen Außen- und Wehrpolitik, einer Mittelstandspolitik, Agrar- und Kommunalpolitik reichte. Der Umstand etwa, daß es der österreichische Unterrichtsminister war, der den Ausschuß „Familie, Schule und drittes Milieu" leitete, zeigt deutlich, daß hier niemand mehr der Illusion nachhing, die Probleme der Zeit ließen sich allein durch Maßnahmen im Bereich der Bildung, des bloßen Unterrichtes beheben. Ebenso überraschen mochte den einen oder anderen Teilnehmer die klare Absage des Präsidenten des Akademikerbundes — der im „Nebenberuf" Finanzminisfer und der Urheber des oft — vielleicht zu off — zitierten „Kamifz-Kurses” ist — gegenüber einem Wirtschaftsliberalismus, der dem Unternehmer uneingeschränkte Freiheiten zubilligt. Es war vielmehr Professor Karnitz selbst, der die Aufgaben des Staates als Regulativ im Sinne einer Politik der sozialen Marktwirtschaft stärker als sonst üblich hervorhob. Im Laufe der Tagung wurde eine solche Fülle von dringenden Vorschlägen, ja umfassenden langfristigen Konzepten zusammengefragen, daß deren Sichtung noch gar nicht abgeschlossen werden konnte. Es wäre ein verhängnisvoller Fehler, wenn dieses Forderungsprogramm nicht den Weg in jene politischen Gremien fände, wo die Entscheidungen fallen. Demokratie ist Diskussion — aber sie darf nicht bei der Diskussion bleiben.

DIE ABGEORDNETEN parlamentarischer Körperschaften sind — nach demokratischen Grundsätzen — die Vertreter des gesamten Volkes. Das souveräne Volk, das die Staatsgeschäfte nicht selbst besorgen kann, ist der Auftraggeber, die Mitglieder der Volksvertretung sind die Beauftragten. Dieses Verhältnis zwischen Auftraggebern einerseits und Beauftragten anderseits schafft naturgemäß manche Probleme. In seiner letzten Tagung verabschiedete der Oberste Sowjet beispielsweise ein neues Gesetz über die Abberufung von Abgeordneten. Wie der Mofivenbericht hierzu ausführte, habe dieses Gesetz kein Gegenstück in anderen Ländern und sehe vor, daß ein Abgeordneter auf Grund eines Mehrheitsbeschlusses der Wählerschaft abberufen werden kann, wenn diese sich von ihm nicht genügend vertreten fühlt usw. Nur wenige Tage nach diesem Beschluß kritisierten österreichische Parlamentarier im Finanz- und Bud- getausschuß ein Erkenntnis des Obersten Gerichtshofes, wonach wahrheitsgetreue Berichte über Verhandlungen des Nationalrates oder seiner Ausschüsse zwar von jeder Verantwortung frei bleiben, jedoch unter Umständen eine Entgegnung zu derartigen Wiedergaben gebracht werden muß. Der Oberste Gerichtshof hat nämlich ein Urteil des Landesgerichfes Salzburg bestätigt und die Meinung vertreten, daß presserechfliche Entgegnungen auch gegen wörtliche Wiedergaben einer im Nationalrat gehaltenen Rede von jedem betroffenen Staatsbürger begehrt werden können. Es darf nun natürlich niemand glauben, daß es etwa auf Grund des jüngst verabschiedeten Gesetzes des Obersten Sowjets in der Sowjetunion vorbild licher oder demokratischer zugeht als bei uns. Aber immerhin erscheint es bedenklich, wenn österreichische Abgeordnete ihre Würde, ihr Ansehen und ihre Immunität nun ausgerechnet in Richtung des geringsten Widerstandes, nämlich gegen die Staatsbürger, stärker zur Geltung bringen wollen, anstatt sich dort, wo es zweifellos wichtiger wäre, nämlich gegenüber Regierung, Bürokratie und Parteihierarchie, besser zu behaupten!

EISENHOWERS WELTREISE. Erste Station der großen Tour des amerikanischen Präsidenten im frühen Dezember wird Rom sein. Hier ist auch ein Besuch beim Heiligen Vater vorgesehen. Die USA besitzen keine offizielle diplomatische Vertretung beim Heiligen Stuhl. Wird es in Rom zu Besprechungen über die Aufnahme ständiger Beziehungen kommen? Von Rom fliegt Eisenhöwer nach Karatschi und Neu-Delhi. Diesem Besuch in beiden Indien kommt unter Umständen eine weltpolitische Bedeutung zu. Eisenhowers Erscheinen in beiden Indien und in Afghanistan gilt nicht zuletzt der Eindämmung der chinesischen Invasion. Auf Neu-Delhi folgt Teheran. Sicher ist diese Route entlang der Grenzen des roten Mochtbiockes in Asien kein Zufall. Letzte Station vor dem Mittelmeeraufenthalt ist das eben jetzt von den Balkanmächten und Moskau sehr umworbene Griechenland. Nach der Rundreise durch diese asiatische Zone der gefährdeten Grenzfelder zwischen den beiden Welfen wird sich Eisenhower einige Tage auf einer Kreuzfahrt im Mitfelmeer erholen. Wenn Eisenhower sodann am 18. Dezember in Toulon vor Anker geht und in Paris zur Konferenz der Westmächte eintrifft, hat er sich einen unbezahlbaren Ueberblick über die gegenwärtige weltpolitische Lage in Asien und in Nahost verschafft und wird sich Europa wohl auch aus dieser Perspektive ansehen.

WER SPRICHT VON UNGARN! Die dritte Wiederkehr der düsteren Novemberwochen von Budapest ist vorüber, sie hinterließ hüben wie drüben kaum mehr als leise Spuren von Verlegenheit wegen eines fatalen Versagens in dunklen Zeiten. Die Bühne hat sich gewandelt — wer spricht heute noch von Ungarn? Wenn, dann am ehesten noch im Zusammenhang mit Chruschtschows angeblichen Balkanplänen, mit dem südlichen Rapacki-Plan, der eine atom- und raketenwaffenfreie Zone auf dem Balkan vorsähe, in die etwa auch Ungarn einbezogen werden sollte. Ja, man erwartet allgemein und vor allem in Ungarn, daß auf dem Parteikongreß Ende November Janos K a d a r den Abzug der sowjetischen Truppen ankündigen wird — und was könnte mehr zur endgültigen Entwirrung und Ueberwindung der ineinandergekeilten Fronten beitragen als die Verwirklichung eines solchen Vorhabens? Hierzu käme, daß der Lebensstandard nun doch auch in Ungarn allmählich wächst und die besser verdienenden Techniker, Aerzte, Direktoren und Funktionäre sich eine durchaus westlichen Maßstäben ebenbürtige Lebenshaltung leisten können. Wenn man an Ungarn denkt, sollte man nicht an Elend und Hunger denken. Diese gibt es in Asien, Afrika, Südamerika und hier und dort auch in der westlichen Hälfte Europas mehr als in Ungarn. Freiheit? Auch jene gewissen „kleinen Freiheiten" gibt es in Ungarn, die nur wirklich zu schätzen weiß, wer sie vorgestern noch entbehren mußte. Es scheint jedoch heute in Ungarn zunehmend an jenem zu fehlen, was vor drei Jahren und vorher, in all den finsteren Jahren, die man immer so rasch vergißt, noch viele bewegte. Religion? Vaterlandsliebe? Familiengefühl? Humanität? Lebensstandard und „kleine Freiheit" lassen die eigentlichen Antriebe menschlichen Sehnens und Tuns vergessen.

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