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Die Stimme ihres Herrn

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Als nach 1945 Walter Ulbricht daranging, das zusammengestürzte braune Gebäude des Totalstaates mit nunmehr roten Klinkersteinen neu aufzurichten, fiel es ihm leicht, seine Presse auf Propaganda zu schalten. Zweier Vorbilder konnte er sich bedienen: der Presse in der Sowjetunion, die seit 1917 total von den Bol- schewiki gesteuert wurde, und — für mitteleuropäische Verhältnisse weit wertvoller — des Goebbelsschen Propagandaministeriums.

Heute erscheinen in Ostdeutschland insgesamt neun sogenannte „Zentralorgane“, das sind Zeitungen, die in der gesamten Zone verbreitet sind. Das „Neue Deutschland“, Zentralorgan der SED, dominierend und maßgeblich, mit einer Auflage von etwa 800.000 Exemplaren täglich. Es erscheint als einzige Zeitung der Zone siebenmal in der Woche. An zweiter Stelle,. der Auflage nach, folgt die „Berliner Zeitung“ mit etwa 400.000 Exemplaren. Darnach kommt als Boulevardblatt die „Berliner Zeitung am Abend“ mit rund 200.000 Exemplaren. „Junge Welt“ (Organ der FDJ) und „Tribüne" (Blatt des „Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes“) dürften Auflagen zwischen 150.000 und 200.000 erreichen. Die vier „bürgerlichen“ Parteizeitungen fallen stark ab. Das „Bauern-Echo" wird auf 100.000 Exemplare geschätzt, während die „Neue Zeit“, „Der Morgen“ und die „National- Zeitung" Auflagen von jeweils 50.000 Exemplaren haben dürften. Neben diesen „Zentralorganen“ erscheinen noch 30 Bezirkszeitungen. Die Gesamtauflage der Tagespresse in Ostdeutschland ist kaum festzustellen. Die Schätzungen schwanken zwischen 3,5 bis 5 Mil lionen Stück. Wahrscheinlich liegt die Auflage bei etwa 4 Millionen pro . Tag. Das Statistische Jahrbuch der Zone gibt die „Jahresproduktion“, für 195 8 mit etwas mehr als zwei Milliarden an, aber für Zeitungen allgemein, also auch Fachzeitungen aller Art. Interessanter ist dagegen die Angabe des Statistischen Jahrbuches, daß diese Zeitungen zu 99,4 Prozent von „sozialistischen Betrieben" herausgegeben werden.

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Die Presse der DDR hat ein gleichförmiges Gesicht. Nur die Lokalberichterstattung ist verschieden. Das Nachrichtenmaterial, die politischen und wirtschaftlichen Aufsätze werden zentral vom „Allgemeinen Deutschen Nachrichtenbüro“ (ADN) herausgegeben. ADN löste 1946 das „Sowjetische Nachrichtenbüro" (SNB) ab und untersteht dem Weisungsrecht des Ministerpräsidenten. Die einzige Nachrichtenquelle, die es in Mitteldeutschland gibt, ist eine staatliche Institution. Sie wird zudem aus dem Staatsbudget finanziert. Selbstverständlich wird sie auch von dort mit Material versorgt. Die totalitäre Propaganda greift in der Regel nicht direkt zur Lüge, sondern biegt Nachrichten zur Falschinformation um. Die Nachricht wird zum Mittel des Klassenkampfes. „Die Nachricht dient der Agitation, durch Tatsachen. Diese Form der Agitation ist vor allem deshalb besonders wirkungsvoll, weil sie sich unmittelbar an das Bedürfnis der Leser nach Information wendet“, schreibt die „Neue Deutsche Presse“, das Organ des Verbandes der DDR-Presse, und fügt hinzu: „Als Maxime kann nur gelten das zu veröffentlichen, was den Leser von der Richtigkeit der Politik unserer Regierung zu überzeugen vermag." Hermann Axen, Chefredakteur des „Neuen Deutschland“ ergänzt: „Die planmäßige, systematische Arbeit ist ein Kennzeichen der marxistisch-leninistischen Presse. Ihre Hauptaufgabe besteht darin, das sozialistische Bewußtsein in die Massen zu tragen.“

Die Methodik, mit der das „sozialistische Bewußtsein“ in die Massen getragen wird, ist vielfältig. Die totalitären Machthaber setzen die gesamte publizistische Technik ein. um die Menschen in Ostdeutschland zu beeinflussen. Die Presse soll zunächst einmal Stimme der Partei sein. Immer und überall sollen die sowjetzonalen Zeitungen den Menschen beschwatzen.

Dabei sind die Rollen geschickt verteilt. Genau wie Goebbels das publizistische Konzert im Dritten Reich meisterlich dirigierte, kann man in der DDR-Presse die verschiedenen Instrumente, auf denen die Propagandasongs heruntergeklimpert werden, sehr deutlich unterscheiden. Die SED-Zeitungen kämpfen in betont proletarischem Stil, wobei das „Neue Deutschland“, als repräsentatives Organ des Zonenregimes, eine Sonderstellung einnimmt. Die bürgerliche Presse spricht die ihr zugeotdneten Bevölkerungskreise an. Die sowjetzonale CDU- Presse verkündet den Sozialismus in christlichen Floskeln verbrämt. Die Zeitungen der Liberalen machen den Sozialismus durch liberale Umschreibungen schmackhaft. Die Zeitung der Bauernpartei preist die Vorteile der kollektivierten Landwirtschaft, und die Nationaldemokratische Partei führt einen Eiertanz auf, um nationale Ideen mit SED-sozialistischen Thesen zu verknüpfen.

Neben der ständischen Abstufung fällt die der Tonstärke auf. Während die SED-Presse Angriffsaktionen gegen westdeutsche oder ausländische Politiker mit massivsten Formulierungen startet, befleißigen sich die bürgerlichen Zeitungen eines vornehmeren Tones.

Das kämpferische Element steht in der DDR-Presse im Vordergrund. Täglich wird für oder gegen etwas gekämpft. Der „Kampf für den Frieden“ ist so in Mode, daß den SED- Schmocken die Doppelbödigkeit dieser Formu lierung gar nicht auffällt. Die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner wird dialektisch geführt, die gegnerische Meinung niemals. im Zusammenhang zitiert, sondern indirekt und zurechtgemacht angeführt. Die Argumentation wird sofort entkräftet und „positiv umgedreht“. Die SED erspart den Lesern eine eigene kritische Beurteilung. Keine Nachricht ohne Tendenz, das ist die stets gültige Sprachregelung des SED- Regimes. Die Methode der parteilichen Ausrichtung des veröffentlichten Nachrichten-: materials wird dem journalistischen Nachwuchs systematisch eingedrillt. Meinungsbildend muß eine Nachricht sein und nicht informativ.

Die Kunst der Verzerrung wird von der SED meisterhaft beherrscht. Man denke nur an die Planerfolge, die tagtäglich den Lesern der Zonenpresse entgegenleuchten. Da werden Vergleiche angestellt zwischen Westdeutschland und der Zone, und der unbefangene Leser staunt, wie nah die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetzone an die Westdeutschlands herangekommen ist, merkt er nicht rechtzeitig, daß die Zahlen einmal aus 1958 stammen, während es sich bei denjenigen aus Mitteldeutschland um Planzahlen von 1965 handelt. Fast noch besser als auf das Aufbauschen versteht sien die SED auf die Kunst des Verschweigens. Mißliche Ereignisse in der Zone werden nicht zur Veröffentlichung freigegeben. Noch nie stand in einer zonalen Zeitung eine Meldung über Streiks in Ostdeutschland, obwohl man ganz genau weiß, daß verschiedentlich gestreikt wurde.

Ein weiteres Mittel der SED-Pressesteuerung ist die Methode des publizistischen Feuerüberfalls. Plötzlich greifen schlagartig alle Zeitungen ein bestimmtes Thema auf und führen über mehrere Tage oder Wochen eine Pressekampagne, die wie ein Orkan über die Leser hinwegfegt. Man denke an die gerade jetzt laufende „Aktion Oberländer“. Ebenso liefen der „Fall Speidel“ und die Kampagne „Spionagezentrum West-Berlin“ ab.

In einem Lande, in dem die Presse frei ist und keine Anweisungen erhält, sind Aktionen dieser Art gar nicht durchzuführen. Solch konzentrierte Hammerschläge der Propaganda können nur dort geführt werden, wo die Presse fest an der Leine gehalten wird. Die zuständige Institution ist in Ostdeutschland die Abteilung Agitation und Propaganda beim Zentralkomitee der SED. Der Name sagt eigentlich schon alles.

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