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Böse Westantennen

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Die Kampagne der SED gegen westliche“ Rundfunk- und Fernsehsender wird in jüngster Zeit zunehmend auf die unteren Parteigliederungen in den Betrieben und auf die Betriebszeitungen ausgedehnt. Neben den in nahezu allen Massenmedien der DDR geführten Angriffen gegen bundesrepublikanische Rundfunk-und Fernsehanstalten, vor allem den Deutschlandfunk, und gegen amerikanische Sender in Europa, drucken die Betriebszeitungen bevorzugt persönliche Stellungnahmen von örtlichen SED- und FDJ-Funktionären ab, die sich nicht selten verpflichten, keinen westlichen Sender zu hören.

So kritisierte unlängst eine FDJ-Funktionärin in der Zeitung eines Großbetriebes im Bezirk Potsdam die „hin und wieder“ auftauchende Meinung, daß es, um die weltpolitischen Ereignisse richtig verstehen und werten zu können, unbedingt notwendig sei, sich durch „beide Seiten“ informieren zu lassen, weil erst dann ein „objektives“ Bild entstehe. Eine „sogenannte Objektivität“, so die Funktionärin, gebe es nicht, vielmehr müsse alles von einer bestimmten Position aus gesehen werden, entweder vom Standpunkt der Arbeiterklasse oder von der Position der imperialistischen Kräfte. Sie sei der Ansicht, daß ihr Standpunkt und jener der herrschenden Arbeiterklasse durch die Sendungen des DDR-Rundfunks und Fernsehens „voll vertreten“ und ihr Bedürfnis nach allseitiger Information „voll befriedigt“ seien.

Nun, im allgemeinen sieht der „werktätige Mensch“ in der DDR das wohl ein wenig anders. Bisher mußten sich die ostdeutschen Bürger mit dem Programm zufriedengeben, das der Ostberliner Fernsehfunk über die Mattscheiben flimmern ließ. Und das war oftmals nicht nach ihrem Geschmack. Sie schalteten dann ab oder wichen aus auf das Fernsehprogramm der Bundesrepublik, dem man „drüben“ die Prädikate „unterhaltsamer und informativer“ zuspricht. Sie konnten von dieser Ausweichmöglichkeit ungestraft Gebrauch machen, denn Erich Honecker hatte auf der 9. Tagung des ZK der SED erklärt, daß jeder in der DDR Rundfunk und Fernsehen der Bundesrepublik nach Belieben ein- öder ausschalten könne- “ ,'

Mit dieser vom SED-Chef Honekker proklamierten Freizügigkeit ist es aber schon wieder vorbei. Der Sender „Stimme der DDR“ hat zwar bestätigt, daß das Hören beziehungsweise Sehen westlicher Rundfunk-und Fernsehsendungen in der DDR erlaubt ist, den DDR-Bürgern aber zugleich nahegelegt, davon keinen Gebrauch zu machen.

In diesem Sinne ist in der DDR eine großangelegte Propaganda-Kampagne angelaufen. Unter dem Motto „DDR-Bürger verzichten freiwillig auf Westempfang“ versuchen SED und sogenannte Massenorganisationen, die ostdeutsche Bevölkerung am Empfang westdeutscher Rundfunk- und Fernsehsendungen zu hindern. Man ist dabei sehr einfallsreich und bedient sich der Methoden aus der wohlerprobten psychologischen Trickkiste.

So legte man beispielsweise den Beschäftigten des „VEB-Waggonbau Dessau“ Listen vor, in denen sie sich unterschriftlich verpflichten mußten, „im Interesse der Selbstachtung“ auf jeglichen Empfang westdeutscher Rundfunk- und Fernsehsender zu verzichten. Im Fotochemischen Kombinat „VEB-Filmfabrik Wolfen“ bemühen sich seit einiger Zeit FDJ-Funktionäre um die Entlarvung der Westfernseher. Unangemeldet kreuzen die Jugendlichen nach Feierabend in den Wohnungen auf und verstricken die Wohnungsinhaber in „Aufklärungsgespräche“. Hat ein solcher Besuch eine negative Wirkung, wird der „Sünder“ am nächsten Tag als Westfernseher in seinem Betrieb am „schwarzen Brett“ verächtlich gemacht. In der „VEB-Baumwollspin-nerei Flöha“ haben sich die Belegschaftsmitglieder auf einer Betriebsversammlung geschlossen verpflichtet, keine westdeutschen Sender zu hören. Nicht so einstimmig erreichte man das bei den Beschäftigten im „VEB-Halbmond-Teppiche Oelsnitz“. Hier ließ die SED-Betriebsleitung Handzettel, verteilen, auf denen sich die Betriebsangehörigen verpflichten sollten, das Westfernsehen nicht zu beachten. Von 500 verteilten Handzetteln erhielten die SED-Betriebsfunktionäre nur 31 unterschrieben zurück.

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