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Die Sprache im Griff der Diktaturen

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Der politischen Sprache der brutalen Nazi-Gewaltherrschaft wird man mit dem Begriff der Propaganda nicht gerecht. Denn die Feststellung von Propaganda setzt die Fähigkeit voraus, eine propagandistische Behauptung von der Wirklichkeit unterscheiden zu können. Und genau diese Fähigkeit wurde von den sprachlichen Machthäbern des Dritten Reiches „ausgemerzt“. Die totale Beherrschung der Massenmedien, die lückenlose Erfassung durch Massenorganisationen, der offene Terror, die verdeckte Erpressung haben die für die Zwecke der Machtausübung manipulierte Sprache der Herrschenden auch zur Sprache der Beherrschten gemacht.

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Der politischen Sprache der brutalen Nazi-Gewaltherrschaft wird man mit dem Begriff der Propaganda nicht gerecht. Denn die Feststellung von Propaganda setzt die Fähigkeit voraus, eine propagandistische Behauptung von der Wirklichkeit unterscheiden zu können. Und genau diese Fähigkeit wurde von den sprachlichen Machthäbern des Dritten Reiches „ausgemerzt“. Die totale Beherrschung der Massenmedien, die lückenlose Erfassung durch Massenorganisationen, der offene Terror, die verdeckte Erpressung haben die für die Zwecke der Machtausübung manipulierte Sprache der Herrschenden auch zur Sprache der Beherrschten gemacht.

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Anders als die nationalsozialistische Sprachlenkung, die - ohne Einbettung in theoretische Überlegungen über die Funktion und Bedeutung der Sprache - aus der Praxis heraus entwickelt wurde, basiert die kommunistische Sprachlenkung auf der marxistischen Ideologie und ihrer Schlußfolgerungen für die Sprache, wie sie Karl Marx in der Deutschen Ideologie festgehalten hat: „Die Sprache ist die unmittelbare Wirklichkeit des Gedankens.“

Es ist sicherlich kein Zufall, daß Stalin auf der Höhe seiner Macht sich in mehreren, in ihre|j Bedeutung noch heute für die sowjetischen Wissenschaftler gültigen Aufsätze mit der Rolle der Sprache beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft befaßt hat. Der sowjetische Diktator hat den politisch nur scheinbar harmlosen Gegenstand der Sprache benutzt, um den für den Marxismus völlig neuen Begriff der „Revolution von oben“ auch durch sprachliche Mittel einzuführen. Er wollte mit diesen Aufsätzen klarmachen, daß die faktische Herrschaft der Sowjets nun auch sprachlich zementiert werden müsse.

Das Instrumentarium sozialistischer Sprachlenkung in der DDR ist differenzierter als im Dritten Reich. Administrative Mittel wie Verbot und Vorschrift von Vokabeln sind selten, administrativ geregelt wird der Informationsfluß insgesamt. Georg Klaus - führender Kybernetiker in der DDR - begründet dies so: „Der politisch aufgeklärte Mensch... weist Informationen, die (ihm) schädlich sind, ab und gestattet ihnen nicht, auf das Bewußtsein, d. h. den Informationsspeicher mit einem schon vorhandenen Inhalt, einzuwirken ... Feindliche Informationen (sollen) als das erkannt werden, was sie sind, nämlich Stör- und Täuschungsmanöver, die, wenn sie kritiklos hingenommen werden, den betreffenden .kybernetischen Organismen' (Individuen, Klassengruppen usw.) schaden.“

Das wichtigste Instrument der Sprachlenkung in der DDR sind nicht wie im Dritten Reich die Tagesbefehle des Propagandaministeriums, sondern Sprachregelungen der politischen Autoritäten und des SED-Zentralorgans .Neues Deutschland' sowie der Nachrichtenagentur ADN. Je größer die politische Autorität des Sprechers, desto detaillierter wird die von ihm vorgeprägte Sprachregelung von anderen Massenmedien und den berufsmäßigen Agitatoren übernommen. Dies gut nicht nur für kommentierende Stellungnahmen, sondern auch für Begriffe und Bedeutungen.

Die politische Sprache des Sozialismus enthält eine Reihe von Elementen, die wir schon aus der politischen Sprache des Dritten Reiches kennen. Sie ist emotional aufgeladen, pflegt superlativistische Wendungen, hat eine ausgeprägte Vorliebe für Begriffe aus dem militärischen Bereich, sie ist stark schematisiert und arbeitet häufig mit extremen Bewertungen.

Manfred Hellmann vom Institut für Deutsche Sprache zeichnet von der DDR-Sprache folgendes Bild: „Man findet Formeln und feste Wendungen häufiger und stereotyper, den Satzbau substantivischer und abstrakter als in vergleichbaren westdeutschen Texten; vor allem fällt, vom Inhaltlichen her gesehen, ein hohes Maß an massivem Eigenlob für den eigenen Bereich und massiver Polemik (In-vektiven) für den politischen Gegner, ein relativ hoher Anteil an sprachlich rhetorischen Elementen des Appellierens und Beeinflussens auf, wie er in westdeutschen Texten beispielsweise in Wahlkampfzeiten sowie - in anderer Form und ohne Polemik - in der kommerziellen Werbung zu beobachten ist.

Dieses gleichzeitige Hervortreten von Elementen der Verwaltungs-Sprache in der DDR, das in der Literatur und in der Umgangs-Sprache in der DDR oft kritisiert oder ironisiert wird, ist nicht auf Veränderungen in der Sprache, sondern in erster Linie auf die besondere Funktion der Massenmedien als Distributoren des Meinungs- und Formulierungsmonopols von Partei- und Staatsapparat zurückzuführen.“

Stärker hat die Politik Einfluß auf den Wortschatz genommen, da sich in ihm die politischen Veränderungen und in ihrer Folge die Veränderungen des individuellen Lebens und der Umwelt am deutlichsten spiegeln. Hans H. Reich hat (in „Sprache und Politik“, München 1968) ein präzis dokumentiertes und gut kommentiertes Glossarium von Begriffen zusammengetragen, die vor allem in der politischen Sprache der DDR neugebüdet, umgedeutet oder von der politischen Sprache der Weimarer Republik übernommen wurden.

Bei den politischen Vokabeln, die aus der deutschen Sprach-Tradition entwickelt wurden, unterscheidet Reich vier Gruppen: • ältere Begriffe, deren Gebrauch nicht parteispezifisch ist wie Frieden, Hetze, Aufbau, Demagogie, national;

• Begriffe, die in der Weimarer Republik in der Auseinandersetzung zwischen Kommunisten, Sozialdemokraten und Nationalsozialisten entstanden sind oder politisch relevant wurden, wie Agitation, Aktion, Antifaschismus und

• Begriffe, die der Terminologie des Marxismus entstammen, wie Mehrwert, Profit, Materialismus, Klasse, Proletariat, Bewußtsein, Kommunismus, Revolution;

• schließlich Begriffe, die als originelle Neubildungen ohne erkennbaren russischen Einfluß Eingang in das politische Deutsch der DDR fanden, so Aufsichter, beauflagen, Jugendweihe, Leistungslohn und Hennecke-Zusammensetzungen.

Als gesonderte Gruppe verdienen die Begriffe Aufmerksamkeit, die aus dem. Russischen entlehnt oder dem sowjetischen Sprachgebrauch nachgebildet wurden. Hierzu gehören etwa Politökonomie (statt Nationalökonomie), Exponat, Diversion, Perspektive, Oblomowerei, Funktionalplan, Kombinat, Kolchose, Traktorist, Arbeitseinheit, Kooperative, Propaganda, Bonapartismus, Personenkult, Selbstverpflichter und Leistungslöhner.

Anleihen an den sowjetischen Sprachgebrauch sind auch die verunstalteten Kürzel wie Agitprop (Agitation und Propaganda), Histo-mat (Historischer Materialismus), Stamokap (Staatsmonopolistischer Kapitalismus), die aus der politischen Sprache der DDR nicht mehr wegzudenken sind.

Aufgrund seiner Erhebungen schätzt Reich den Anteil der Begriffe, die als Neubildungen oder Umdeu-tungen aus der deutschen Sprachtradition heraus ihren Platz in der politischen Sprache der DDR fanden, auf insgesamt 30% ein, wobei er die originären Neuprägungen mit 13% als größte Gruppe veranschlagt. Der Anteil der Begriffe mit russischem Hintergrund wird deutlich geringer sein, er dürfte zwischen 15 und 20% liegen.

Die politische Sprache der DDR ist eine Sprache, die Parteinahme verlangt, sie ist auf Entweder-Oder schematisiert, andere Positionen als Pro und Kontra sollen möglichst ausgeschlossen werden. Was in dieses Schema nicht paßt, wird vergröbert, verzerrt, um darin eingeordnet werden zu können. Die SED vertritt die radikale Position, daß es „in Wirklichkeit keinen Mittelweg, keinen ,dritten' Weg zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen Reaktion und Demokratie“ gibt.

Die politische Sprache der DDR ist ideologisch fest angebunden, sie wird unter den Gesichtspunkten ideologischer Opportunität gelenkt, sie wurde in ihrem Ausdrucksreichtum eingeengt und erschwert Kommunikation als Aktion. Hannes Mae-der diagnostiziert als Symptome der Sprache totalitärer Herrschaft:

• eine Überschwemmung der Sprache mit wertenden Ausdrücken auf Kosten der neutralen,

• einen Abbau der Wertstufen zugunsten eines Schwarz-Weiß-Schemas,

• eine Schematisierung und Entfremdung der Sprache gegenüber dem individuellen Wertempfinden,

• eine zunehmende Gleichförmigkeit, bei der alle traditionellen sprachlichen Unterschiede geschichtlicher, regionaler, sozialer und ständischer Art vor der uniformierenden Gewalt der Parteiensprache zurücktreten.

Deshalb haben die Sprache des Dritten Reiches und das Deutsch der DDR mehr Gemeinsamkeiten, als die Machthaber in der DDR wahrhaben wollen. In beiden Systemen ist den Herrschenden der Wille gemeinsam, durch sprachliche Veränderungen und Umwertungen politische Wirkungen zu erzielen. In beiden Fällen wird die Sprache als politisches Kampfmittel benutzt, um die sprachliche Kraft systematisch in den Dienst der Ideologie zu stellen.

Auszug aus: POLITIK UND SPRACHE. Von Wolfgang Bergsdorf. Reihe „Geschichte und Staat“, Ol-zog-Verlag München-Wien, 1978. 186 Seiten, S 70,-

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