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Winken für die Funktionäre

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Die 12. Weltjugendfestspiele waren aus Moskauer Sicht ein voller Erfolg. Einen wesentlichen Anteil dazu leistete die staatliche Jugendorganisation Komsomol. Wie auch die Freie Deutsche Jugend der DDR gilt sie als besonders linientreu.

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Die 12. Weltjugendfestspiele waren aus Moskauer Sicht ein voller Erfolg. Einen wesentlichen Anteil dazu leistete die staatliche Jugendorganisation Komsomol. Wie auch die Freie Deutsche Jugend der DDR gilt sie als besonders linientreu.

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Als 1973 die Weltjugendfestspiele in Ost-Berlin zu Ende gegangen waren, beeindruckte den damaligen sowjetischen Delegationsleiter die perfekte Organisation und Disziplin. Sein Fazit: „Eine erstklassige Schule für die Jugend.”

Das sozialistische Bruderlob galt vor allem den Aktivisten der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die durch monatelange Vorbereitung in rund 100 nationalen Kom-mitees zur bis dato prunkvollsten Inszenierung beigetragen hatten.

Auch für das diesjährige Festival in Moskau wurden seit April

1984 der spontane Jubel eingeübt, Solidaritätsbekundungen geprobt und ein Wettbewerb für das eindrucksvollste Antikriegspla-kat ausgeschrieben. Die politische Lenkung des Nachwuchses übernahm hierbei der Leninsche Kommunistische Jugendverband der Sowjetunion, kurz Komsomol genannt.

Die beiden staatlichen Jugendorganisationen haben viel gemeinsam, vor allem aber gelten sie im Ostblock als die willfährigsten Vollstrecker ihrer Mutterparteien SED und KPdSU.

Das hat auch historische Gründe. Denn im Gegensatz zu den übrigen osteuropäischen Ländern handelten die Mächtigen hier sehr schnell: Der russische Jugendverband wurde bereits 1918 im Anschluß an die Oktoberrevolution gegründet; die DDR bediente sich als erster Verbündeter des sowjetischen Vorbilds und rief 1946 die FDJ ins Leben.

Damals sprach man in der SED-Propaganda noch von der „Beachtung der differenzierten ideologischen Voraussetzungen der Mitglieder”. Doch gerade in der DDR wurde aus der angeblich pluralistischen Interessenorganisation in kürzester Zeit ein gleichgeschaltetes SED-Instrument zur ideologischen Erziehung.

Mehr noch: Denn die Arbeit als Jugendvertretung einerj.en,s und Spitzel- und Miliztätigkeit andererseits sind fließend geworden. Und je nach politischer Großwetterlage werden die entsprechenden Wünsche der Partei befolgt. So wurden bereits zu Walter Ulbrichts Zeiten FDJ-Trupps ausgesandt, um die nach Westen gedrehten TV-Antennen allzu neugieriger Bürger wieder auf Ostkurs zu stellen.

Im staatlichen Kontrollapparat haben die Jugendverbände wichtige Funktionen. FDJler agieren als „Arbeiter- und Bauerninspekteure”, um „Disziplinverletzer” aufzuspüren. Fünf Millionen junge Sowjets haben als „Komsomolscheinwerfer” die gleiche Aufgabe.

Die Mitgliedszahlen sind beeindruckend: über zwei Millionen zählt die FDJ, im sowjetischen Verband sind 42 Millionen junge Leute organisiert, seit der Gründung war es für 155 Millionen Komsomolzen der nützliche und notwendige Schritt in die Arbeitswelt Denn die Mitghedszah-len täuschen, und eine ideologische Uberzeugung läßt sich „vorspielen”, insbesondere dann, wenn sie der Staat offiziell erwartet und der Erfolg in Schule und Beruf damit verknüpft wird.

Zudem reicht für viele Studiums- und Anstellungswünsche, vor allem im sogenannten „Intelligenzbereich”, das Mitgliedsbuch der Jugendorganisation allein nicht mehr aus. Gefordert wird der rhetorisch geschulte Propagandist, der aktive Arbeiter.

Das heißt zum Beispiel, auf Massenveranstaltungen im Namen der „gesamten Jugend” die Treue zur Partei zu bekunden oder beim gleichen Anlaß sich als Organisator von „Winkeinheiten” (sie bestehen aus Mitgliedern, die den Parteifunktionären zuwinken sollen) zu profilieren. Für Komsomolzen kann es auch bedeuten, sich besonders oft „freiwillig” zu härteren Arbeitseinsätzen zu melden, etwa zum Bau der neuen Transsibirischen Eisenbahn.

Die Kinder- und Jugendverbände beider Länder haben aber auch aus anderen Gründen eine gewisse Anziehungskraft. Sie bieten ein vielfältiges Freizeitangebot und einen, wenn auch bescheidenen Rahmen für Kreativität und politische Diskussionen — eine bewußte Strategie der Einheitsparteien, wohl wissend um den schmalen Grund, der zwischen allzu großer Bevormundung und jugendlichem Aufbegehren liegt. Nicht umsonst zählen „Frösi” („Fröhlich sein und singen”) und „Junge Welt”, die Tageszeitung der FDJ, zu den populärsten Presseorganen der DDR.

Auf der anderen Seite sind die Jugendzeitungen die erste Adresse der Parteispitze, Warnungen an den Nachwuchs weiterzugeben. Der Hinweis darauf, welche Gefahren die „grüne Schlange” (Alltagsbegriff für Wodka) auf die Arbeitsmoral hat, ist im Verbandsorgan „Komsomolskaja Prawda” schon obligatorisch. Rechtzeitig zu den 12. Weltjugendfestspielen fehlte auch ein mahnender Artikel nicht, daß „Festivals auch eine große Liebesschule sind”.

Für die staatlichen Jugendverbände bedeuten die Weltfestspiele, Flexibilität zu demonstrieren. So auch in Moskau, wo die erfahreneren Komsomolzen die Aufgabe hatten, unliebsame Zwischenfälle, so gut es geht,zu kaschieren, andere riegelten zusammen mit der Miliz je nach neuem Einsatzplan Straßen und Plätze ab.

Die ostdeutsche Presse ließ auf ihren Festival-Sonderseiten FDJler und Komsomolzen ausgiebig zu Wort kommen. Neben den gewohnten „Imperialismus”-Statements über westliche Politik druckte das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland” jeweils Aussagen, die allzu oberflächliches Feiern verhindern sollten.

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