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„…wächst auch das Rettende!“
Als wir im Jahre 1950 den inzwischen dokumentarisch gewordenen Standardbrief des ostdeutschen Volksbildungsministeriums erhielten, in dem uns die Fähigkeit zu jedwedem Literatur- und Geschichtsunterricht abgesprochen wurde, .weil wir nicht die Gewähr eines wissenschaftlichen Unterrichts bieten“, stand der Kampf um die Reste der freien Schule in Sowjetdeutschland, wie es schien, in seiner letzten verzweifelten Phase. Am tapfersten fochten, Schulter an Schulter und in geradezu urchristlicher Solidarität, die Häupter der beiden christlichen Kirchen, Kardinal Graf Preysing und Bischof Dibelius, mit dem immer weiter greifenden Polypen des totalitären Bolschewismus. Sie argumentierten, der glorreichen Methode des Thomas Morus im Kampf mit Heinrich VIII. folgend, nicht für „das Konfessionelle“, sondern für die Gewissens- und Gesinnungsfreiheit. Die mutigen Hirtenbriefe aus ihrem Munde waren das Letzte, das auf grundsätzlichem Gebiet zu vernehmen war. Der Kampf blieb, wie bei der machtpolitischen Lage nicht anders zu erwarten, ohne vorläufiges sichtbares Ergebnis. Mit der ziemlich en bloc erfolgenden Entlassung der Altlehrer — Pädagogen, die zuweilen nach dem Ende des Hitlerismus gerade wegen ihrer aufrechten demokratischen Gesinnung wieder in Ehren eingestellt worden waren — wurde die Bahn frei für die ersten Jahrgänge der neuen Ära. Die gesetzliche Regelung, auf Grund derer die FDJ, die kommunistische Staatsjugend, schrankenloses Kontroll-, Aufsichts- und Interventionsrecht in allen Fragen des Unterrichts in und außer der Schule erhält, übertraf alle ähnlichen Entwicklungen im Dritten Reich um ein Vielfaches. Man konnte 1951 ohne Übertreibung sagen: Der totalitäre Stalinismus hatte sämtliche Schlüsselstellungen vom Kindergarten bis zur Universität restlos und fest in den Händen.
Zu diesem Zeitpunkt hätte man, ehrlich gesagt, nichts anderes als eine verzweifelte Situationsschilderung geben können. Daß aber gerade diese Situation, in der der legale Kampf um die Gesinnungsfreiheit der jungen Deutschen aussichtslos geworden war, zugleich die Geburtsstunde einer neuen, verheißungsvollen Entwicklung geworden ist, davon hat uns eine kleine Broschüre überzeugt, deren sachlich zusammengestelltes Tatsachenmaterial vom „Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen“ in Bonn herausgegeben ist. Das kleine Bändchen, dessen Studium allen Lehrern der freien Welt zur obligaten Aufgabe gemacht werden müßte (auch ohne totalitäre Verordnung), ist keine „Emigrantenbroschüre“, die am grünen Tisch ersonnen wurde, man merkt, wenn man die Dinge kennt, jeder Zeile die unmittelbare Erlebnisnähe an. Es heißt etwas grell „Deutsche Kinder in Stalins Han d . In einzelnen, durchaus nicht „gestellt“ wirkenden Dialogen junger Lehrer untereinander und eines Lehrers mit einer Mutter wird folgende Situation deutlich gemacht: Jeder Lehrer steht heute unentrinnbar unter der Kontrolle der Vorgesetzten Schulbehörde und des örtlichen Spitzels der FDJ. Von ihm wird nicht etwa bloß Loyalität, schweigende Pflichterfüllung und ein unvermeidlicher Kotau verlangt, wie das ja zu Zeiten anderer Zwangsherrschaft auch üblich war, sondern er ist gezwungen, aktiv und selbst außerhalb der Schule vorbildlich und begeistert den Stalinismus in Deutschland als ein Apostel zu vertreten. Es ist nach den neuen Lehrplan-, Prü- fungs- und Kontrollmethoden möglich, an den Prüfungsleistungen der Schüler einer beliebigen Stufe abzulesen, was ihnen der Lehrer an Gesinnung, nicht nur an Wissen, vermittelt hat. Dieses Ergebnis ist ausschlaggebender Maßstab für seine eigene Beschäftigung im Lehrdienst, die ohne Kündigungsschutz von heute auf morgen unter entehrenden Bedingungen aufgehoben werden kann. Die einzelnen Maßnahmen, bei denen die kommunistischen Vertrauensmänner der Unterrichtsministerien mit den kommunistischen Oberleitem der FDJ lückenlos zusammengearbeitet haben, machen es beispielsweise möglich, eine junge, an sich durchaus loyal eingestellte Lehrerin mit Entlassung zu bedrohen, weil sie in einer Unterrichtsstunde bei der Behandlung des Themas „Imperialismus“ die durch einen Jungen gegebene Antwort „Imperialisten sind die Regierenden in Westdeutschland einer historisch-philologischen Ergänzung (!), nicht etwa Widerlegung oder auch nur Abschwächung, für bedürftig erachtete. Schon darin liegt der Teufel, den man „Objektivismus“ nennt, eine „Aneinanderreihung von wissens- mäßigen Tatsachen“, die das eigene „Stellungnehmen“ erschwert und verwirrt. Dieses Bild also ist in seiner Perfektion hoffnungslos. Das sei zugegeben.
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