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Gunter Holzweißigs Mediengeschichte der DDR weckt Erinnerungen an eine medial inferiore Zeit - und ordnet sie in den Kontext des SED-Systems.

Unsere Presse - Die schärfste Waffe der Partei." Dieses von Lenin und Stalin übernommene Motto war auch im sozialistischen Jargon der DDR eine stehende Wendung. In Wirklichkeit waren die Medien im ersten deutschen Arbeiter- und Bauernstaat weniger Waffe als Herrschaftsinstrument sowie Knebelungsobjekt des Systems.

Die Auswüchse, die dabei möglich waren, erscheinen heute vielfach skurril bis absurd - für die Betroffenen dennoch existenziell gefährlich: 1953, so eines der schlimmsten Beispiele, sollte in der Gewerkschaftszeitung Die Tribüne ein vom Zentralkomitee der SED verfasster Nachruf auf den eben verstorbenen Josef Stalin erscheinen. Der Text kam erst nach 22 Uhr in die Druckerei, der Setzer entdeckte darin ein falsch gesetztes Komma. Bei der Korrektur entstand ein neuer Fehler, sodass durch das neue Komma aus Stalin, dem Kämpfer für den Frieden, das Gegenteil davon wurde. Dieser "empörende" Fehler führte zur Verhaftung von Hugo Polkehn, dem Chef vom Dienst der Tribüne, obwohl dieser mit dem Korrekturvorgang gar nicht befasst gewesen war. Polkehn erhielt fünf Jahre Freiheitsstrafe wegen "Boykotthetze" und "Agententätigkeit" - nach einem von der Stasi durch Misshandlungen erpressten "Geständnis", er habe, durch "Sozialdemokratismus" beeinflusst, den Druckfehler wissentlich verursacht ...

Obiges Beispiel ist nur eine der drastischsten Illustrationen der Mediensituation in der DDR, die der Medienhistoriker Gunter Holzweißig in seiner Monographie "Die schärfste Waffe der Partei. Eine Mediengeschichte der DDR" analysiert. Holzweißig gelingt in dieser - zwölf Jahre nach der deutschen Vereinigung schon in nötiger historischer Distanz geschriebenen - Analyse, ein ebenso konsistentes wie bedrückendes Bild des Medienalltags im SED-Staat. Der Autor belegt dabei mit zahlreichen Fakten seine zu Beginn des Buches formulierte Conclusio, dass es in der DDR für Medien und Medienschaffende keineswegs einen Freiraum gegeben hat. Holzweißig wagt sich bis zur These vor, dass die Medienlenkung in der DDR die logische Fortsetzung der Pressepolitik des NS-Regimes war: "Lässt man den unterschiedlichen ideologischen und historischen Kontext unberücksichtigt, so gleichen sich die Sprachregelungen der SED und der NSDAP auf frappante Weise."

Die Beispiele, die der Autor zitiert, untermauern dies durchaus und geben ihm in seiner Kritik an allzu schönfärberischen Zugängen von westlichen Medienforschern recht. Beide - NS wie SED -Diktaturen gaben den Medien genau vor, was sie berichten durften, was nicht. Und sie verließen sich auf den vorauseilenden Gehorsam der Journalisten (und konnten sich darauf verlassen).

Bis in die Details griff die SED-Agitationsbürokratie in die Berichterstattung ein: So musste im Krieg zwischen dem Irak und dem Iran (1980 bis 1988), wo die DDR-Führung sich es mit keinem verscherzen wollte, über jede der Kriegsparteien in exakt der gleichen Zeilenanzahl berichtet werden. Die Vorgaben, die Holzweißig penibel auflistet, zeigen, wie wenig Spielraum tatsächlich da war: Einmal durfte nichts über Erdöl berichtet werden, dann wieder keine Artikel über die Pkw- und Lkw-Produktion erscheinen, oder - wenn offenbar das Fleischangebot knapp war - kam die Order, nichts über Bratwurststände zu berichten.

Das Buch zeichnet aber nicht nur viele Beispiele auf, sondern geht den Eingriffs- und Entscheidungsmechanismen nach - von der Ära Ulbricht bis zu Honecker (der oft genug selbst zur Feder griff, etwa im SED-Zentralorgan Neues Deutschland) und den letzten Monaten vor der Wende 1989. Wer sich an die sprachlich und inhaltlich inferioren DDR-Zeitungen (Analoges gilt für Radio und TV der DDR) erinnern kann, findet in Holzweißigs Buch nicht nur Reminiszenzen an eine medial inferiore Zeit, sondern kann die Erinnerungen in den Kontext des Systems einordnen.

Trotz der flächendeckenden Knebelung der Medien jedoch mussten das SED-Regime und ihre Sprachrohre sich der Konkurrenz des Westfernsehens stellen, das, vom Südosten der DDR abgesehen, überall empfangen werden konnte: Auch hier ist Holzweißigs Darstellung packend zu lesen; er zeigt auf, wie wenig die Bürokraten willens und fähig waren, von der Konkurrenz zu lernen: Eine TV-Sendung etwa wie Karl-Eduard von Schnitzlers "Schwarzer Kanal", in denen er Sendungen des Westfernsehens im Sinne der Parteilinie "kommentierte", also: niedermachte, waren das sichtbare Zeichen des schlechten Geschmacks der Partei. Rekordverdächtig dabei nur, dass der von Hamburg in die DDR emigrierte Schnitzler von 1960 bis 1989 insgesamt 1.519 Mal on air war.

DIE SCHÄRFSTE WAFFE DER PARTEI.

Eine Mediengeschichte der DDR.

Von Gunter Holzweißig. Böhlau Verlag, Köln 2002. 296 Seiten, brosch., e 25,20

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