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Die große Frage - wer war wer in der DDR

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Warum beißt sich die Erregung nur immer wieder am Thema des IM (Inoffiziellen Mitarbeiters der Staatssicherheit) fest? Steckt auch ein Erlebnisneid dahinter, den die fundamentalen Kritiker jener konspirativen Gesprächszusammenhänge, zu denen ich zähle, verstecken wollen? Was haben wir versäumt, die wir nicht mit ihnen (dem Ministerium für Staatssicherheit, MfS) geredet haben? Wenn es die klügeren Staatsdiener gewesen sein sollen, so sinngemäß Heiner Müller, warum haben wir uns immer mit den Dummköpfen abgegeben?

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Warum beißt sich die Erregung nur immer wieder am Thema des IM (Inoffiziellen Mitarbeiters der Staatssicherheit) fest? Steckt auch ein Erlebnisneid dahinter, den die fundamentalen Kritiker jener konspirativen Gesprächszusammenhänge, zu denen ich zähle, verstecken wollen? Was haben wir versäumt, die wir nicht mit ihnen (dem Ministerium für Staatssicherheit, MfS) geredet haben? Wenn es die klügeren Staatsdiener gewesen sein sollen, so sinngemäß Heiner Müller, warum haben wir uns immer mit den Dummköpfen abgegeben?

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Bei dem Thema Staatssicherheit und Literatur der DDR wird viel geschrieben und geredet. Gleichzeitig gelang es in drei Jahren Debatte noch nicht, den Gesprächsgegenstand genau zu fassen. Es geht um Christa Wolf. Sie hat sich vor langer Zeit mit Offizieren des MfS getroffen. Sie bekam einen Decknamen, lieferte aber wenig Belastendes über andere Menschen. Das MfS stellte die Zusammenarbeit ein. Was auch zeigt, daß man nur die Gesprächssituation aufrecht erhielt, wenn das MfS vom jeweiligen Partner brauchbare Informationen bekam.

Christa Wolf - und ihr schriftstel-lernder Mann - wurden dann selbst zunehmend brutal überwacht und als Feinde behandelt. Anfang der achtziger Jahre bricht die Akte ab, wahrscheinlich wanderte einiges in den Reißwolf. Insofern bleibt die interessante Frage vorerst unbeantwortet, ob sich die Haltung des MfS zur Familie Wolf in den achtziger Jahren verändert hat. Für die Leser innerhalb und außerhalb der DDR bleiben zunächst die Bücher. Und Christa Wolf hatte jetzt die Möglichkeit, eine exemplarische Biographie vorzulegen, auch eine neue Qualität des Umgangs mit Stasi-Akten als Erinnerungshilfe vorzuführen. 40 Bände „Opfer” wiegen den schmalen IM-Band als „Mit-Täter” allemal auf. Was irritiert ist die Schwierigkeit heute, mit diesem Thema umzugehen. Christa Wolf schrieb am 23. Mai 1992 an Efim Etkind: „Ich bin auch einigermaßen erschüttert darüber, was ich zuverlässig verdrängt habe.” Es betraf ihre Gespräche mit dem MfS. Das allerdings berichtet sie auch in diesem Brief noch nicht.

Niveauverlust bei Argumenten

Gänzlich anders liegt der Fall bei Heiner Müller. Da gibt es den unbekannten Dichter Dieter Schulze, der seit einem halben Jahr verschiedene Redaktionen mit Rundschreiben nicht nur gegen Heiner Müller beliefert.

Heiner Müller mehr als eine aufgetauchte Karteikarte mit seinem Decknamen und einige „kaum lesbare” Notizen seines Führungs-Offiziers.

Die Ex-DDR-Presse fand sich im wesentlichen in einer einheitlichen Abwehrfront zum bundesdeutschen Feuilleton wieder. Mindestens zwei sehr kritische Kommentare zu Müller durften in der ersten Woche nach seinem Eingeständnis in Ostberliner Zeitungen

Das alles wäre wohl noch eine Weile fast unbemerkt weitergegangen, hätte sich Müller nicht selbst im Fernsehen offenbart. Er verteidigte seine Kontakte zur Staatssicherheit seit 1978-bis zum Ende der DDR. Und redete wie der durchschnittliche Informant, der nicht zugeben will, was er gemacht hat. Dieser Niveauverlust seiner Argumentation beschädigt bis heute das Ansehen von nicht erscheinen. Wobei es hier nicht nur um die Verteidigung sogenannter DDR-Geschichte geht. Müller stellt auch das rundum kritische, allseits staatsunabhängige anarchistisch angehauchte Selbstverständnis von Westlinken dar. Er hat zu der Zeit, als eine sich entwickelnde Opposition in der DDR den Konsens mit dem Staat aufkündigte, diesen Konsens durch erläuternde Gespräche weiter gefestigt. Während die einen jede Reform in der DDR mit einem Abbau des neurotischen Sicherheitsapparates beginnen wollten, glaubten andere genau durch das Mitwirken mit jenen Herren in der DDR Reformen vorzubereiten. Eine Differenz, die keinem so bewußt war. Offene Systemkritiker einerseits und versteckte innerhalb des

Apparates andererseits waren nicht potentielle Verbündete, sondern Feinde. So stellt es sich im nachhinein dar.

Konspirativer Rahmen

IM's gingen eben nicht im Herbst '89 auf die Straße, höchstens im Auftrag ihres Führungsoffiziers. Natürlich war nicht jeder, der regelmäßig mit dem MfS sprach, ein Spitzel im traditionellen Sinne. Doch er wurde zum Mitarbeiter, sobald er sich auf den konspirativen Rahmen der Gespräche einließ. Ob er noch als IM geführt worden ist, bleibt da eine zweitrangige Frage. Genau wie das Schreiben von Berichten, das überließ MfS jenen IM's, die das zur Selbstbestätigung brauchten. Auf Band redete es sich viel hemmungsloser -und die Herren brauchten bloß das für sie wichtigste zu vervielfältigen.

Hintergrund künftiger Diskussionen wird immer der Streit um den Stellenwert des MfS im Herrschaftssystem der DDR sein. Aus meiner Sicht degenerierte die DDR allmählich zum MfS-Staat, die Partei übte zwar formal noch die Entscheidungsgewalt aus, aber alle Anregungen, entscheidungsvorbereitende Informationen kamen vom MfS. Während sich große Teile der Bevölkerung aus instinktiver Angst von dem Geheimdienst fernhielten, suchten einige Intellektuelle die Nähe zur Macht. Das beschädigt nicht automatisch ihr Werk, beeinflußt aber alle in die Texte hineingelegten Erwartungen. Das gilt auch für jüngere Autoren, über die nicht in der Öffentlichkeit diskutiert wird, die aber auch mit schlechtem DDR-Gewissen für eine Diskussion blockiert sind.

Schreiben Sie uns unter dem Kennwort „Stasi-Ihre Meinung zu diesem Thema. Die ersten 25 Einsendungen erhalten je ein handsigniertes Exemplar des von Lutz Rathenow verfaßten Büchleins „Der Wolf und die widerspenstigen Geißlein-.

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