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DDR-Literatur: Flucht nach innen

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Es hat sich in der DDR-Literatur einiges verändert, seit Fritz J. Rad-datz sein Buch über sie geschrieben hat. Mittlerweile geriet er durch eine kritische Marx-Biographie in den linken Bierverschiß. Das Werk ■über die DDR-Literatur aber gibt es nun als billige Taschenbuchausgabe: „Traditionen und Tendenzen — Materialien zur Literatur in der DDR“, Suhrkamp-Taschenbuch 269, zwei Bände, 826 Seiten, S 139.—.

Ein umfassenderes und übersichtlicheres, aktuelles und bei aller Subjektivität der Urteile selbst dort, wo der Verfasser danebenhaut, stärker um Objektivität bemühtes Werk zu diesem Thema steht vorerst noch aus. Der Apparat wurde auf den neuesten Stand gebracht. Ein neues, 83 Seiten starkes Nachwort registriert die Werke und Tendenzen der letzten Jahre, in denen „eine so rapide wie intensive Entwicklung die literarische Landschaft der DDR verändert“ hat.

Natürlich sind neue Autoren aufgetreten, haben alte Autoren in diesen knapp vier Jahren neue Werke geschrieben, und nach wie vor löst Literatur in der DDR unmittelbar politische Reaktionen aus, wird etwa Ulrich Plenzdorf wegen seines Buches „Die neuen Leiden des jungen W.“ von Rechtsanwalt Kaul attak-kiert und von Stephan Hermlin in Schutz genommen, nehmen Jugendliche „leidenschaftlich Partei für den Autor und seinen Helden, dem sie in zwei parallel laufenden Theateraufführungen des gleichnamigen Stückes Abend für Abend applaudierten“.

Nach wie vor wird in der DDR-Literatur mehr oder weniger plump oder subtil gelogen, oder einfach durch Verschweigen der Wahrheit — wenn etwa in Rolf Schneiders Anti-Plenzdorf („Die Reise nach Jaros-law“) ein Teilnehmer am Warschauer Aufstand einfach „irgendwo durch das eiskalte Weichselwasser“ schwimmt und zur Roten Afmee geht. Aber kein Wort davon, daß die Rote Armee zugesehen hat, wie die Warschauer Aufständischen zusammengeschossen wurden. Verschweigen wird in diesem „Computer-Stalinismus, in dem man das Loch nicht mehr ins Genick kriegt, sondern in die Lochkarte“ (Biermann) zur effizientesten Form der Lüge.

All das, die guten und die schlechten Bücher seit Erscheinen der Originalausgabe, der Bankrott der Anna Seghers, die einst eine Dichterin war, und das Ausrinnen der Thea-terstoffe, das seichte Stranden von Peter Hacks und die antik drapierten Fluchtsackgassen von Heiner Müller, der ehrenvoller scheitert und darum auch von Wolfgang Harich begeifert wird, das ist jedoch nicht das Wesentliche an diesem Nachwort.

Raddatz zeichnet vor allem, und gibt damit wichtige fehlende Informationen, die Entwicklung der DDR-Lyrik in den letzten Jahren nach. Lyrik wird in der DDR ungleich stärker gepflegt und ernster genommen als in irgendeinem deutschsprechenden Land. Und in der Lyrik zeichnet sich der Rückzug aus der gesellschaftlichen Wirklichkeit in -eine neue Innerlichkeit am deutlichsten ab. Erich Arendt, der einst die Zeilen

Wie Wasser

und Sand ist

die Zukunft schrieb, hat bei den jungen DDR-Autoren bereits größeren Einfluß als Brecht. Ihnen ist, um mit Hüchel zu sprechen, das Rad der Geschichte eines, auf das sie geflochten werden — ihre „Verkrochenheit“, ihr zunehmendes Mißtrauen gegen jeden Geschichtsoptimismus, hat eine bedeutende politische Dimension: Man kann Dichtung nicht erzwingen. Schon gar nicht politisch erwünschte.

Auch Wolf Biermann sinkt die rote Fahne des gegen seine Verweser rebellisch verteidigten wahren Sozialismus langsam aus der Hand. Er ist total isoliert, darf in der DDR kein Wort publizieren, findet keine Solidarität auch bei den Kollegen, und verfällt vom aufrührerischen in einen leisen, resignierten Ton.

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