6885221-1979_24_11.jpg
Digital In Arbeit

Biermann verwurstet

Werbung
Werbung
Werbung

Im traurigen Monat November (präzis: am 16.11.1976) war's, da entzogen die DDR-Behörden (auf daß die Schrift - Heinrich Heines - erfüllt würde) dem Autor Wolf Biermann das Recht auf weiteren Aufenthalt in der Deutschen Demokratischen Republik; und am 17.11.1976, also tags darauf, protestierten einige DDR-Autoren (unter ihnen Rolf Schneider) gegen diese Ausbürgerung ihres Kollegen.

„Wenn er später daran zurückdachte, mußte er sich sagen, daß wohl alles mit dem Unfall begonnen habe ...“ - Wüßte man nicht, was für ein Buch man da in der Hand hält, würde man unbefan-, gen lesend wohl auf einen perfekt geschneiderten Trivialroman tippen; weiß man jedoch, daß es sich um Rolf Schneiders „November“ handelt, wundert man sich am Ende nur noch darüber, daß man sich nicht geirrt hat. Denn rundheraus, mit Literatur hat dieses Buch weniger zu tun als mit dem politischen Drumherum von Literatur.

Eineinhalb Jahre lang hat, nach eigenen Angaben, der in der DDR privilegiert lebende Autor Rolf Schneider über die Ausbürgerung Biermanns bzw. über seine eigene Reaktion darauf (zunächst Fassungslosigkeit, dann Betroffenheit, dann Sprachlosigkeit und schließlich Mitunterzeichnung eines Protests gegen die Ausbürgerung) einen Roman geschrieben, von dem sich der Autor beeilt zu versichern, es handle sich um keinen Schlüsselroman, sondern um „eine erfundene Geschichte mit erfundenen Figuren.“

Die „erfundenen Figuren“ heißen Natascha Roth als Protestunterzeichnerin und Arnold Boda-kov als Ausgebürgerter, und was die „erfundene Geschichte“ betrifft, so erwähnt Wolf Biermann in einem offenen Brief an Robert Havemann im Frühjahr dieses Jahres, Rolf Schneider habe ihn „nun verwurstet in einem Roman.“

Die unglaubliche Fiktion dieses sich fiktiv geben wollenden Romans lautet: „Es wurde alles versucht, Ähnüchkeiten mit lebenden Personen zu vermeiden.“

Sollte das ein Witz sein, so ist es der bekannten Definition zufolge (Witze sind nur dann gut, wenn sie der Zensor nicht kapiert!) ein schlechter. Denn das Buch durfte in der DDR nicht erscheinen.son-dern erschien nun im Westen zusammen mit einer dem Buch beigelegten, 32 Seiten starken, „Pfützen voll schwarzer Unvernunft“ benannten Dokumentation zu Novemberfakten und Novemberfiktion - und versucht einen Eindruck von besonderer politischer Brisanz zu erwecken.

Hätte es zumindest literarische, ließe sich immerhin über - z. B. -, Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln diskutieren. So aber überläßt es der Rezensent gerne dem Betroffenen, Wolf Biermann also, kompetent zu kommentieren: „Was Schneider da zusammengeschustert hat“ - heißt es im bereits erwähnten offenen Brief Biermanns - „ist eine phantasiearme Romanifizierung von Tagespolitik, es gibt offenbar auch so etwas wie Opposition aus Opportunismus. Laß mich lieber über Heym reden.“

NOVEMBER, Roman. Von Rolf Schneider. Albrecht Knaus Verlag,Hamburg 1979.264 Seiten,öS. 205-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung