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Nachrichten von „drüben“

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DIE AULA. Roman von Hermann Kant. 406 Seiten, Leinen DM 22.-.

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DIE AULA. Roman von Hermann Kant. 406 Seiten, Leinen DM 22.-.

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Allmählich beginnt sich, bei aller politischen Feindschaft, der Kulturaustausch zwischen den beiden deutschen Staaten zu verbreitern. Und damit sieht sich der interessierte Zeitgenosse in die Lage versetzt, die unzulänglichen und meist gefärbten Nachrichten von der „anderen Seite“ — das gilt für hüben und drüben — durch eigene Anschauung zu überprüfen und sich sein persönliches Urteil zu bilden. Westdeutsche Lizenzausgaben von Werken ostdeutscher Autoren, von denen es inzwischen eine ganze Reihe gibt, können dabei eine hilfreiche Rolle spielen. Nun ist hier freilich zunächst ein gewisses Durcheinander zu bedenken. Denn DDR-Autoren, wie zum Beispiel Gerhard Zwerenz und Christa Reinig, die „republikflüchtig“ geworden Sind, schreiben von einem anderen Standort aus als etwa Peter Hacks, der 1955 von München nach Ost-Berlin umsiedelte. Daß er in beiden Teilen Deutschland® Anerkennung für seine Bühnenwerke gefunden hat, spricht für seine Begabung.

Interessanter für das von uns an- gedeutete Problem sind sicher die von jeher und auch heute in der DDR lebenden jüngeren Autoren, deren Werke Inzwischen auch in Westdeutschland veröffentlicht wurden. Aber auch sie lassen sich nicht über einen Kamm scheren. Völlig eigenständig und unkonformistisch scheint uns das Schaffen des 1965 verstorbenen Johannes Bobrowski, das im Westen ungeteilte Zustimmung erfuhr, wa$ ihm erst rückwirkend in der DDR zu einem gewissen Ansehen verhalt. Eine durchaus lesebeflissene Osfberiiner Freundin schrieb mir, daß sie erst durch mein Lob auf Bobrowski aufmerksam geworden sei! „Wir finden in unseren Buchhandlungen andere Autoren“, meinte sie: „Strittmacher zum Beispiel oder Rolf Schneider und Christa Wolf.“ (Alle inzwischen auch in westdeutschen Lizenzausgaben zugänglich.) Als Ergänzung ihres Briefes schickte sie mir Hermann Kants Roman „Die Aula". „Damit Du Dir vorstellen kannst, was uns hier so arngeboten wird, nicht besonders gut geschrieben, aber doch auch nicht schlecht. Und vor allem zeigt Dir das Buch, welche Probleme hier bei uns diskutiert werden.“

Es sind zwar etwas fremde Probleme für uns, aber sie scheinen der Auseinandersetzung wert. Deshalb begrüßen wir die nun vorliegende Münchner Ausgabe. Kant, Jahrgang 1926, ein ehemaliger Elektriker, später Soldat und Mitbegründer des Antifa-Komitees im Warschauer Arbeitslager, war einer der ersten Arbeiter- und Bauernstudenten der DDR, die sich seit 1949 in einem dreijährigen Lehrgang zur Matura vorbereiten konnten. Von diesen Erfahrungen erzählt der Autor, der inzwischen ein Germanistikstudium hinter sich hat und jetzt freischaffender Journalist ist, in seinem Roman „Die Aula“. Sein Held Robert Iswall, der viele autobiographische Züge aufweist, wird 1962 aufgefordert, eine Rede anläßlich der feierlichen Schließung seiner ABF (Arbeiter- und Bauernfakultät) zu halten, die durch die Entwicklung des Bildungswesens in der DDR nun überflüssig geworden ist. Von der veränderten Gegenwart aus überdenkt Iswall die Vergangenheit. Wie

Rütten-A-Loenlnf-Verlag, München 1966.

da in der ABF ein Haufen von unwissenden „Waisenknaben“ zusammen trifft: ehemalige Land- und Forstarbeiter, Elektriker, Klempner, Schneiderinnen, die sich alle mit Feuereifer aber auch vielen Ängsten in das Abenteuer des Lernens und Denkens stürzen. Diese Eroberung einer neuen Welt, die Wissen heißt, wird interessant geschildert. Der Autor scheut sich auch nicht, allerlei Schwierigkeiten und auch Mißstände ins Blickfeld zu rücken: die politische und menschliche Engstirnigkeit eines Professors, bürokratische Auswüchse und geistige Kinderkrankheiten einiger Studenten. Es geht da keineswegs alles auf wie ein Rechenexempel. Zum Beispiel das Entschwinden des sympathischen Karl-Heinz Riek nach Hamburg, über das Iswall immer wieder sinniert und dessen Gründe unklar bleiben. Nicht aber unklar bleibt, daß dieser Riek, genannt Quasi, während des Studiums ein großartiger „Kumpel“ war, der sich für seine Kameraden und die gemeinsame Arbeit engagierte. Überhaupt spielen die menschlichen Bindungen in diesem ABF-Experiment eine bedeutende Rolle — das, nicht zuletzt, fasziniert bei der Lektüre des Buches. Es gibt da Iswalls Verrat an seinem speziellen Freund Trulle- sand, weil er in ihm einen Rivalen in seinen Bemühungen um die Studentin Vera vermutet. Und so sghlägt er ihn kurzerhand und gar nicht freundschaftlich für ein siebenjähriges Studium der Sinologie in China vor.

Es sind letzten Endes sehr menschliche Gedanken und Gefühle, die sich uns hier, allerdings in einem reichlich fremden Gewand, präsentieren — Kants Terminologie erweckt, das sei nicht verschwiegen, manchmal doch leichtes Gruseln, was sich eher noch vertieft, wenn man beschwichtigend überlegt, daß dies die Ausdrucksweise seiner Umwelt sein mag. Aber über ein Gegengewicht verfügt er: er hat Humor! Und was noch wichtiger ist, er schildert ein Stück deutscher Wirklichkeit, von der Kenntnis zu nehmen an der Zeit ist, ob sie uns nun gefällt oder nicht.

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