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Literatur: Kritik und Darstellung

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DEUTSCHE LITERATUR IN WEST UND OST. Prosa seit 1945. Von Marcel Reich-Ktnlckl. R.-Ptper-&-Co.-Verlag, Mttnche n, 1963. 450 Seiten. Preis 31.80 DM. Kartonierte Studienausgabe 15.80 DM. — BRECHT — HORVATH — DDRRENMATT. Wege und Abwege des modernen Dramas. Von Josef S t r e 1 k a. Forum-Verlag, Wien, Hannover, Bern, 196%. 176 Selten. Preis 52 S. — ARTHUR KOESTLER. Das literarische Werk. Von Peter Alfred H u b e r. Fretz-i-VV'asm uth-Verlag AG, Zürich, 1962. 170 Seiten, “reis 13.80 sFr. — BYRON. In seinen Briefen und Tagebüchern dargestellt von Cordula C i g o n. Artemis-Verlag, Zürich und Stut tgart, 1963. 712 Selten. Preis 43.50 DM.

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DEUTSCHE LITERATUR IN WEST UND OST. Prosa seit 1945. Von Marcel Reich-Ktnlckl. R.-Ptper-&-Co.-Verlag, Mttnche n, 1963. 450 Seiten. Preis 31.80 DM. Kartonierte Studienausgabe 15.80 DM. — BRECHT — HORVATH — DDRRENMATT. Wege und Abwege des modernen Dramas. Von Josef S t r e 1 k a. Forum-Verlag, Wien, Hannover, Bern, 196%. 176 Selten. Preis 52 S. — ARTHUR KOESTLER. Das literarische Werk. Von Peter Alfred H u b e r. Fretz-i-VV'asm uth-Verlag AG, Zürich, 1962. 170 Seiten, “reis 13.80 sFr. — BYRON. In seinen Briefen und Tagebüchern dargestellt von Cordula C i g o n. Artemis-Verlag, Zürich und Stut tgart, 1963. 712 Selten. Preis 43.50 DM.

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Bestrebungen, eine Bestandsaufnahme der gegenwärtigen deutschsprachigen Literatur zu geben, wurden in letzter Zeit mehrmals unternommen (Ahl, Nonnemann, Hohoff, Meyer); doch waren sie selten so konsequent und einheitlich um echte kritische Maßstäbe bemüht, Wie sie Marcel Reich-Ranicki in seinem Band „Deutsche Literatur in West und Ost“ anwendet und durchhält. Keine Tageskritik, nur zu oft flüchtig hingeschrieben, mit zu wenig Materialien in der Hand, sondern essayistische Untersuchungen legt der bekannte Kritiker hier vor, die nicht nur das Einzel-, sondern jeweils das gesamte vorliegende Werk eines Dichters oder Schriftstellers berücksichtigen. Aber auch das wird nicht isoliert gesehen, sondern in der Zuordnung zu Leben und Persönlichkeit seines Schöpfers (soweit es für das Werk von Bedeutung ist); keine psycholo-gisierenden Spitzfindigkeiten also sind in diesen Werk- und Autorenanalysen zu finden, sondern Interpretationen, welche die Gültigkeit des Werkes nur im Zusammenhang mit der Integrität des Schreibers gewährleistet sehen. Und Reich-Ranicki versteht es, den Leser für diese seine Art der Interpretation zu gewinnen.

Dichtung und Schriftstellerei sind für diesen Literaturkritiker keine ausschließlich ästhetische Angelegenheit, sondern Standpunktbeziehung und Engagement. Es wäre aber falsch, anzunehmen, hier werde politisches Gericht gehalten. Dies geschieht nur sekundär! Denn Reich-Ranicki geht von der Sprache aus und der thematischen Werkinterpretation. Und die Sprache wird zum entlarvenden Element. Bei den Untersuchungen der Literatur Ostdeutschlands wird das besonders deutlich. Sie, die von der westdeutschen Kritik kaum zur Kenntnis genommen wird, es sei denn zu propagandistischen Zwecken, wird genauso exakt und eingehend* untersucht wie die Literatur' des Westens. Das Ergebnis ist die Erkenntnis, daß die Parteidisziplin, der sich der Autor der kommunistischen Welt unterwirft, nicht nur seine Themen uniformiert, sondern auch seine Sprachmöglichkeiten verkümmern läßt. Und dies wiederum zeugt für die Entpersönlichung des Schriftstellers und seine Selbstaufgabe. Dafür stehen Namen wie Renn, Seghers, Bredel von den Älteren, Hermlin oder Fühmann von den Jüngeren.

Die Literatur des Westens ist durch bundesdeutsche, Schweizer und österreichische Autoren vertreten: Nossack, Koeppen, Gaiser, Frisch, Andersch, Boll, Schnurre, Cramer, Lenz, Bachmann, Walser, Grass und Johnson sind eigene Essays gewidmet. Diese Autoren vertreten die Literatur seit 1945, soweit sie berechtigt im Gespräch ist. Auffallend ist die Ausklammerung des dramatischen Werkes. Reich-Ranicki ist vor allem Interpret der Prosa, will aber auch hier Randgebiete, etwa die Reiseberichte Koeppens und Bolls, nicht als vollwertig gelten lassen, was ein wenig unverständlich ist. Auch der Lyrik gegenüber verhält er sich etwas distanziert, was man eher begreift, zeigt sie doch gegenwärtig immer stärker Tendenzen, die sie einer Kritik nach literarischen Maßstäben überhaupt zu entziehen scheinen.

Reich-Ranicki ist ein ebenso behutsamer wie brillanter Stilist. Er setzt Definitionen, nähert sich ihnen aber nur allmählich oder erklärt sie im folgenden ausführlich, sicher sie immer durch Beispiel unc Analyse ab. Das macht die Lektüre fesselnd, auch wenn man das eint oder andere besprochene Werk nich' kennt. Es sind exemplarische Untersuchungen, die hier vorgelegt werden; dazu angetan, Distanz zi schaffen gegen Mode und Überschätzung nach dem Formalen hir genauso wie nach dem Inhaltlichen Literatur und Dichtung werder hier sorgsam getrennt, Banalität wird als solche aufgedeckt (die Prosa der Ingeborg Bachmann) schriftstellerische Leistung anerkannt, auch wenn sie sich den Journalismus nähert (Hermanr Kesten) und politische Überzeuguni weder als Freibrief noch als Verdammungsurteil gewertet (Weisenborn). Verpflichtenderweise beruf sich der Autor wiederholt aul Friedrich Schlegel.

Den Opportunisten der Provokation Brecht, den Dichter Horvatt und den burlesken Denkspieler dei Relativität Dürrenmatt in einer literaturgeschichtlichen Untersuchung nebeneinandergestellt zu sehen, berührt etwas seltsam. Strelka nenn* als Verbindendes ihre „Ungemüt-lichkeit“ als Autoren. Ist es denr möglich, Schriftsteller zu sein unc zugleich gemütlich? Strelka untersucht das Werk der drei ausschließlich literarhistorisch. Das mag vielleicht bei einem Dichter möglicl sein, nicht aber bei zwei Experimentatoren des Theaters: das Werl Brechts und Dürrenmatts ist entscheidend durch die Möglichkeiter des Theaters geprägt. Ansonster geben die Essays einen guten, informativen Überblick über den gegenwärtigen Stand der Forschung zurr Thema. Der Autor ist ein gewissenhafter Arbeiter, der klar formulier und übersichtlich zusammenzufasser weiß; Entdeckungen sind nicht zi machen. Gewisse Einschränkunger sind nur gegen die Brecht-Interpretation vorzubringen.. Ein Attribu' wie „edelkommürristisch“ schein' heute auf ihn nicht mehr anwendbar; wenn es einer verstanden hat mit Realitäten zu rechnen (von dei Ideologie über die Politik bis zui Geldgebarung!), dann war es Brecht Außerdem sollte man nicht vergessen, daß die „Verfremdung“ schor bei seiner eigenen Arbeitsweise beginnt: keinem anderen Schriftsteller ist es gelungen, der Kritik die eigenen Schwächen so überzeugend als Stärke einzureden wie ihm. Und warum glaubt man ihm den „Dichter wider Willen“ und nicht den Dichter, der sich als Propagandist verdingte?

Suchte Brecht kommunistisches Gedankengut so zu verkleiden, daß es möglich war und ist, es einem nicht sehr kritischen Publikum in seiner Ungeheuerlichkeit schmackhaft zu machen, geht Arthur Koestler in seinem Werk den umgekehrten Weg. Er ist der bisher wohl sachlichste und scharfsinnigste Analysator des Kommunismus und des kommunistischen Parteiapparates. Hubers Monographie über Koestler ist vorbildlich und sucht dem überwiegend politisch abgestempelten Autor literarisch gerecht zu werden. (Warum ist man bei ihm so schnell mit dieser Etikettierung bei der Hand und bei Brecht so gutgläubig gewillt, das Gegenteil anzunehmen?) Zu diesem Zweck gibt er nach der Aufschlüsselung von Koestlers sachlicher Aussage eine Stilkritik, in der die Mittel untersucht werden, die von Koestler in den Dienst seiner Aussage gestellt werden. Huber kommt dabei zu dem Ergebnis, „daß Koestler nicht aus künstlerischem Mangel zur Form des politischen Romans gegriffen hat“.

Der deutschsprachige Leser kann sich über Byron nur schwer informieren: Das Werk ist unzureichend und veraltet übersetzt, das Bild dieses legendären Dichters durch einseitige, vor allem skandalsüchtige Publikationen entstellt. Cordula Gigon hat sich der großen Mühe unterzogen, Byron über sein Leben persönlich aussagen zu lassen. Aus Briefen und Tagebüchern hat sie, durch verbindende Zwischentexte verdichtet, eine lückenlose und von großer Authentizität getragene Biographie zusammengestellt. Neueste Forschungsergebnisse (so die große Biographie Marchands vom Jahre 1957, der sich die Verfasserin aber durchaus nicht sklavisch unterwirft) und einwandfrei übersetztes Material, das zum Teil erst in den letzten Jahrzehnten zugänglich wurde, sind .die Gewähr für ein ganz neues Byron-Bild. Das Buch darf als das Musterbeispiel einer wissenschaftlichen Publikation angesprochen werden, die auch dem interessierten Laien ein faszinierendes Menschen- und Zeitbild vermittelt.

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