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Neue katholische Literatur in Schweden

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Konnte noch vor drei Jahren ein Feuilletonist in „Svenska Dagbladet“ bedauernd feststellen, daß die wichtigsten modernen Werke der katholischen Weltliteratur in Schweden unüibersetzt geblieben sind, so verhält sich dies heute durchaus anders. Mau- riac, Maritain, Bernanos, Chesterton, Green, Gertrud von le Fort und andere liegen in schwedischer Sprache vor und Übersetzungen theologisch-philosophischer Werke wie „Das Leben der Seele“ von Dom Marmion werden vorbereitet. Man kauft gern katholische Bücher, und die Kritik ist keineswegs einseitig ablehnend, sondern oft mehr zustimmend, als man erwarten würde. Der größte Teil des Verdienstes an dem neuesten Übersetzungswerk, das mit erstaunlicher Schnelligkeit vor sich geht, fällt Sven Stolpe und seiner Frau Karin zu, die beide mit kluger Auswahl und den sprachlichen Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, auch imstande sind, eine solche Umpflanzung mit Erfolg vorzunehmen.

Aber auch auf schwedischem Boden selbst entwickelt sich eine Fruchtbarkeit von katholischer Literatur, die man bis jetzt hier nicht erlebt hat. Da ist ein posthum erschienenes Werk, das trotz seiner Anspruchslosigkeit auf eine Persönlichkeit von ungewöhnlichem Format hinweist. Das Buch heißt „Helgon. Korta biografier", Upsala 1948 — „Heilige. Kurze Biographien“ —, und der Verfasser ist N i k 1 a s B e r g i u s, der, über 70 Jahre alt, 1947 gestorben ist.

Niklas Bergius gehörte zu den Studenten der Universität Upsala, die um die Jahrhundertwende konvertierten. Er dachte daran, sich dem Priesterberuf zu widmen, war auch vier Jahre lang Novize in Val- kenburg, fand sich aber durch die Enzyklika yon Papst Pius X., die gegen den

Modernismus gerichtet war, zum Austritt veranlaßt. Das war 1908. 1910 wurde er durch inen der berühmtesten Bildungsvertreter Schwedens, Erik Forsslund, auf dis Volkshochschule Brunnsvik berufen. Bis zum Herbst 1918 hielt seine Skepsis gegen die Kirche an. Damals — nach dem Ende des ersten Weltkrieges — fand er jedoch während eines Aufenthaltes in Dänemark wieder zu ihr zurück, und eine inzwischen bürgerlich eingegangene Ehe mit Dr. Eva von B’a’hr wurde nachher katholisch ge schlossen. Freilich war Niklas Bergius eine Natur, wo der Anspruch auf geistige Freiheit immer wieder neue Glaubenserschütterungen hervorrief. Aber — die Zugehörigkeit zur Kirche geht doch wie ein roter Faden durch sein Leben und hat gewiß wesentlich dazu beigetragen, daß seine Umgebung in Brunnsvik, wo er fast zwanzig Jahre lang als Lehrer wirkte, durch ihn Aufklärungen über die Kirche erhielt, die sie wohl niemals sonst bekommen hätte. Man empfand ihn dort auch immer als Katholiken. Anläßlich seines Todes haben nun ehemalige Schüler und Kollegen eine Erinnerungsschrift „Niklas Bergius", Brunnsvik 1948, verfaßt. Ich führe einige Zitate an, um zu zeigen, welche Wirkung von diesem Mann ausgegangen ist.

„Einer der Schüler“, schreibt einer, „war so kühn und unvorsichtig genug, auf den Katholizismus zu kommen, und zwar in politischem Sinn. Niklas Bergius sah ein wenig belustigt aus und begann dann zu antworten. Wir waren von den Vorlesungen her seine stringente Darstellungskunst gewöhnt, aber jetzt lernten wir einmal den Dialektiker kennen Ich kann mich noch heute erinnern, mit welcher unendlichen Überlegenheit Niklas Bergius das Auftreten der Katholiken in gegebenen Situationen verteidigte. Da gab es keine Spur von Propaganda, ebensowenig wie bei seinen Vorlesungen. Wenige sind einer solchen Unterweisung mächtig. Als der Bann der Stunde gebrochen war, hatte sich der Respekt vor dem kleinen (Niklas Bergius war klein von Gestalt), großen Lehrer ein wenig mit Schreck zu vermischen begonnen: wegen seiner so durchdringenden Intelligenz ..

Die Schrift ist voll der erstaunlichsten Erinnerungen. Der berühmte Dichter Dan Andersson, der auch sein Schüler war, schreibt: „Er ist der Mann, zu dem man geht, wenn man fühlt, daß man nicht mehr leben kann, wenn man nicht über Sünde und Gnade, über Kreuz und Wunder sprechen kann, wenn die ganze Seele wie in Fetzen zerschlissen ist, und alles, was man getan, einem wie Schmutz erscheint. Er hat die große Überschau, wo man der Vergänglichkeit aller Dinge inne wird. Er hat die Prophetenstimme “

Es würde zu weit führen, über die vielen Aussprüche, die Niklas Bergius betreffen, weiter referieren zu wollen: ein ziemlich großer Essay müßte allein darüber geschrieben werden, der zugleich eine Studie über die Eigenart des modernen schwedischen Katholizismus wäre. Hier soll er nur als der Verfasser von Aufsätzen erwähnt 6ein, die gewiß zum Besten gehören, was über nordische Heilige geschrieben worden ist: etwa seine Essays über die heilige Brigitta.

Gerade ein Jahr nach dem Erscheinen des ersten katholischen Romans hat Sven Stolpe seinen zweiten erscheinen lassen. Er heißt „Sakrament" und im Untertitel „Ein Roman von der Liebe“ (Bonniers 1949) und ist — dies sei gleich vorweggenommen — nicht minder fesselnd als der frühere. War dieser ein Bekenntnis und Suchen nach der Kirche, so handelt es sich nun wieder um einen Suchenden. Aber diesmal ist er Konvertit, der die Krise der religiösen Leere und Trockenheit erlebt.

Der Held, ein Stockholmer Schauspieler, ringt als Glaubender und als Künstler. Er scheint weder die Bedingungen des einen noch die des andereen leisten zu können und befindet sich deshalb oft in dem verzweifelten Zustand, zu dem ein Konkurie- ren von Kunst und Heiligung führen kann.

Die augenblickliche Abneigung des Helden gegen das literarische Treiben Stockholms verschärft die Krise, und so sucht er sich durch eine Beichte Klarheit zu verschaffen. Er stellt dem unbekannten Priester seine inner Situation dar, wird aber, wie er glaubt, nicht richtig verstanden und erlebt dadurch eine verunglückte Beichte. Die Krise wird also nur schlimmer, und so sieht er sich genötigt, als letzten Ausweg eine Flucht nach Frankreich zu wählen, wo er, der Schwede, schon früher durch sein „Chartreserlebnis“ eine entscheidende Glaubensgewißheil erlangt hat. Er wendet sich diesmal freilich nicht nach Chartres, sondern zu dem „weißen Tal“, der alten romanischen Kirche von Morienval, wo sein Bruder Göran und dessen Frau Monique ein Leben der Stille und der geistlichen Zurückgezogenheit führen, und findet langsam zu sich selbst zurück. Ein Benediktinermönch hilft ihm dabei. Aber bald stellen sich neue Konflikte ein, die durch den angenommenen Sohn der beiden hervorgerufen werden. Während der sich abspielenden Ereignisse, die zum Tod des Bruders und der Auflösung des idyllischen Haushalts führen, bewahrt die junge Monique das Licht des Glaubens. Ihr Vorbild gibt ihm das erschütterte Gleichgewicht wieder, was freilich keine dauernde Verbindung zwischen den beiden, einander Liebenden bedeutet, sondern Trennung und Abschied. Monique tritt nach innerem Kampf in ein Kloster der Schweizer, Alpen ein, während der Schauspieler nach Stockholm zurückkehrt, um dort mit seiner Kunst neu zu beginnen.

Sven-Stolpe war während der dreißiger Jahre ein ziemlich bedeutender Repräsentant der Oxfordbewegung im Norden. Er hat damals mehrere Bücher über dieses Thema geschrieben und sich warm dafür eingesetzt. Es ist nun interessant, daraufhin seinen neuesten Essayband „Den glömda vagen“ — „Der vergessene Weg“ — (Stockholm 1949) zu lesen, wo er zum erstenmal als Katholik zur Oxfordbewegung Stellung nimmt.

Ohne das Thema auf die Spitze der persönlichen Polemik zu treiben, untersucht Sven Stolpe den geistigen Gehalt der Bewegung und kommt zu dem Ergebnis, daß dieser nicht ausreicht, um sie als eine den Augenblick überdauernd zu garantieren. Der Autor wiederholt auch hier wieder, was er in seinen Oxfordbüchern hervorgehoben hat: die großen Verdienste der Bewegung um die Erneuerung christlichen Lebens. Doch muß er feststellen, daß die Gruppe bei dem Anfangsenthusiasmus stehengeblieben ist: sie hat die Begeisterung für sich, die den augenblicklichen Erfolg schafft, verfügt aber nicht über die Tragkraft, um die Basis für einen Bau von Jahrhunderten abzugeben.

Dieses Buch ist wieder ein außerordentlicher Beweis von Sven Stolpes Essaykunst und im übrigen so spannend, daß man es wie einen Roman liest.

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