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Schwedische Diagnose der Oxfordbewegung

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Ein kleines, vornehm ausgestattetes Büchlein, betitelt „Den glömda vagen“ („Der vergessene Weg“) im Verlage Norlin in Stockholm erschienen und den Patres der Abtei Saint-Marie in Paris samt den Kameraden in Caux gewidmet, enthält zehn Aufsätze über katholische Frömmigkeit mit denj Vergleich zur Oxfordmentalität. Aus dieser Auseinandersetzung geht hervor, auf welchem Wege der Verfasser Sven Stolpe zur katholischen Kirche gelangte. In seiner Bescheidenheit stellt dieses Büchlein etwas Epochemachendes dar, denn Sven Stolpe ist der erste bedeutende Literat Schwedens, der sich zum katholischen Glauben durchzuringen vermochte.

Im großen und ganzen hat Schweden in religiöser Hinsicht das gleiche Schicksal gehabt wie seine skandinavischen Nachbarländer Dänemark und Norwegen. Aber als — in der Mitte des 19. Jahrhunderts — die Religionsfreiheit in die Verfassung der skandinavischen Länder aufgenommen wurde, war das kontinentale Dänemark das erste Land, das mit dem katholischen Ausland die Fühlung wieder aufnahm.

Hier machte es sich der junge Dichter Johannes Joergensen zur Lebensaufgabe, seinen Landsleuten die religiösen Werte des katholischen Deutschland, Frankreich und schließlich auch Italien zu erschließen. Wie kaum ein zweiter war dieser Ästhetiker und Philosoph aus der radikalen Schule eines Georg Brandes, dieser Dichter, dessen kristallene, Sprache die gebildeten Schichten Dänemarks immer entzückte, für diese Aufgabe gerüstet. Es konnte daher nicht ausbleiben, daß dieser Schriftsteller durch seine Schriften manchen Dänen dazu anregte, sich aus dem Schutt der alten Vorurteile herauszugraben. Seitdem haben dann auch verhältnismäßig viele dänische Schriftsteller und Journalisten den Weg nach Rom gefunden.

Norwegen hatte am Ende des vorigen Jahrhunderts einen ganz hervorragenden Konvertiten: den Professor in der Theologie an der Universität in Oslo (damals noch Christiania): Krogh-Tonning. In einer günstigeren Umwelt hätte dieser Gelehrte die Rolle eines Newman spielen können, seines Lehrstuhls beraubt, wurde er ein einsamer Mann und seine Konversion blieb ohne Einfluß auf seine Landsleute. Erst später konnte hier eine Brücke zwischen Katholisch und Evangelisch geschlagen werden, und zwar gelang dies der Nobelpreisträgerin Sigrid Und-s e t. Von einem ganz anderen, man möchte sagen, einem männlicheren Guß als der dänische Publizist, reiste Sigrid Undset nicht ins Ausland, sondern sie zog sich in die Einsamkeit eines Landhauses in Lillehammer zurück und vertiefte sich in die katholische Vergangenheit ihres Landes. Die Gestalten ihrer Dichtwerke sollten den blasierten und skeptischen modernen Menschen zeigen, wie ihre mittelalterlichen Vorväter trotz der Gott- und Kirchengebundenheit ihres Lebens in dem Besitz einer ungemeinen Vitalität waren, und wenn sie unter der Wucht der Leidenschaften die göttlichen Schranken durchbrachen, stand ihnen durch Buße und Gebet und dank der sakramentalen Gewalt der Kirche der Weg zur Rückkehr offen, während der Mensch von heute in seiner Emanzipation vom Ewigen sich in seiner eigenen Problematik verstrickt.

Unterdessen blieb Schweden nach wie vor ein reservierter Zuschauer. Es mochte dem zurückflutenden Katholizismus gelungen sein, den Kieler Kanal und das Kattegat zu überqueren, der schmale Sund dagegen schien ein Wallgraben, dahinter das stolze Schweden unnahbar lag — bis Sven Stolpe kam.

Der Ubertritt Sven Stolpes zur katholischen Kirche war kein Damaskusereignis und wird daher für seine Landsleute kaum eine Überraschung gewesen sein. Schon als er in den dreißiger Jahren die französischen katholischen Schriftsteller aus der Schule Peguys und Leon Bloys mit einer ganzen Bücherreihe unter dem gemeinschaftlichen Titel: „Die christliche Falange“ in Schweden einführte, trat seine eigene Gesinnung unzweij deutig zutage. An seinem Büchlein läßt sich der ganze Abstand eines Menschenalters — zwischen der Konversion eines Stolpe und der eines Joergensen — ermessen. Wo der letztere einen stattlichen Stoß Bücher („Meine Lebenslegende“) brauchte und sein ganzes privates und intimes Leben zur Schau stellte, tritt die Person des Schweden gänzlich hinter die theologische Erörterung zurück. Auch ist hier der polemische Degen in die Scheide der Irenik gehüllt. Es ist eine Auseinandersetzung zwischen Freunden, die wünschen, Freund zu bleiben. Die positiven Werte innerhalb der/Oxfordbewegung und des hochkirchlichen Flügels der Staatskirche, in welchen der Verfasser bisher beheimatet war, finden nach wie vor eine gebührende Würdigung, wenn sie auch als unzulänglich befunden werden.

Das erste, was Stolpe an der Oxfordgruppe auszusetzen hat, ist die dilettantische Lösung der Leidensfrage, dieser heute wieder so aktuellen Frage, die kurz und gut mit einem Hinweis auf die Sünde — die persönliche Sünde — des Leidträgers abgetan wird. Dieser einseitige Maßstab, gegen den der Verfasser des biblischen Buches „Job“ seinerzeit schon so leidenschaftlich reagierte, mußte wohl bei einem empfindsamen Denker wie Stolpe an der bitteren Erfahrung des Krieges und der Nachkriegszeit zerbrechen. Die Heiligen, insbesondere die heilige Theresia vom Kinde Jesu, wußten da besser Bescheid; sie kannten aus eigener Erfahrung die erzieherische und stellvertretende Rolle des Leidens. In der Gesellschaft eben dieser Heiligen wurde Sven Stolpe sich auch über die Unhaltbarkeit eines zweiten, in der Gruppe grundlegenden Slogans klar, jenem nämlich, der besagt, daß Gott dann spreche, wenn der Mensch horche. Hatten doch große Mystiker von dem Schlage eines Johannes vom Kreuz und der heiligen Theresia von Avila ganz im Gegenteil eine ganz lange „Nacht der Seele“ durchgemacht. „Plus on est eher ä Dieu, plus on souffre dans ce monde!“ („Je mehr man Gott liebt, desto mehr hat man in dieser. Welt zu leiden!“): so las er bei Dom Mar-mion, und das entsprach seiner eigenen Erfahrung besser als die in Oxfordkreisen übliche Auffassung.

übrigens meint Sven Stolpe, die bezaubernde Jugendfrische der Oxfordmentalität sowie auch die beneidenswerte Zuversicht, mit der hier die moralische Aufrüstung betrieben wird, größtenteils mit diesem Mangel an Mystik in der Behandlung der Leidensfrage erklären zu können. Das Ganze kommt ihm wie ein christlicher Kindergarten vor, der als erste Stufe für außerhalb der Kirche stehende Christen von Bedeutung sein kann, der aber für Fortgeschrittene ebenso zum Verhängnis werden muß. „Die

Oxfordgruppe“, so urteilt Stolpe, „ist großartig. Ein solches Aufgebot von Opferwillen und Initiative hat die Welt in unseren Tagen noch kaum erlebt. Aber Christentum ist das nicht, und noch weniger Kirche. Es ist vielmehr eine moralische Roßkur mit christlichem Einschlag, die die Leute bis zur Grenze führt, dorthin, wo das christliche Leben seinen Anfang nimmt — zur Kirchentür.“

Inzwischen ist die Oxfordbewegung nach der Auffassung Stolpes von ihrer ursprünglichen Linie abgewichen; von einer christlichen Unterstufe sei sie zu einer humanistischen Ebene — wo Christen und Mohammedaner sich begegnen — abgestiegen, während gleichzeitig ihre Ambition sich dahin verstiegen habe, die Kirche zu ersetzen. Darin sieht dieser ehemalige Oxfordanhänger eine große Gefahr, zumal der Gründer und Führer der Bewegung, Frank Buchman, durchaus nicht gesonnen scheine, diese Grenze zu respektieren. „Die Oxfordgruppe“, so lautet Stolpes Verdikt, „genügt sich selbst. Sie ist äußerst diplomatisch, äußerst umgänglich; sie versäumt keinen Kontakt, keine Möglichkeit. Aber geistlich-realistisch betrachtet ist ihr Verhalten zur Kirche durch freundliche Achtung geprägt. Das Sakramentale spielt keine Rolle. Es gibt keinen Platz für die Stille innerhalb Christus selber — nur Gedanken an kommende Aktionen und Unternehmungen. Das heißt: diese bewundernswerten Leute stehen in der Vorschule und bilden sich ein, daß sie mit diesen Erfahrungen eine Welt, die durch das ganze Aufgebot der Dämonen aufgerüttelt wird, zu retten vermögen,“

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