6630535-1956_34_13.jpg
Digital In Arbeit

Stefan George in schwedischer Sicht

Werbung
Werbung
Werbung

In dem jüngsten Essayband Sven Stolpes „Stefan George och andra studier“ (Stockholm, Bonniers 1956) sind dem deutschen Dichter und seinem Jünger Friedrich Gundolf ungefähr zwei Drittel des Buches eingeräumt, während der Rest Aufsätze über die Schweden Bertil Malmberg, Harry Martinson, Sven Lidman, ferner Claudels Dramatik und Charles du Bos' Tagebuch enthält. — Es handelt sich bei diesen „Studien“ keineswegs um neutrale, literarhistorische Untersuchungen, sondern um etwas Wichtigeres. Stolpe will hinter die groß aufgemachte Kulissenwelt dieser Erscheinung schauen, deren Faszination man in den ersten zwei Jahrzehnten des Jahrhundert oft erlegen ist. Zugleich aber scheint er sich für anklingende Phänomene in der Literatur zu interessieren, die auf den gemeinsamen Nenner „Anspruch des dichterischen Ich“ gebracht werden können, und es ist offenbar dieser Zusammenhang, • im negativen und positiven Sinn, der zwischen den deutschen, schwedischen, französischen Autoren dieses Buches besteht. Auf jeden Fall geschieht es zum erstenmal, daß man Stefan George in Schweden größere Beachtung schenkt.

Sven Stolpe unterzieht sich seiner Aufgabe mit dem ausgeprägten Sinn für Realität, der überhaupt seine Landsleute und im besonderen die moderne schwedische Kritik auszeichnet. Es besteht also keine Gefahr, daß er sich faszinieren läßt wie Georges Mitwelt, aber dem Stoff auch nicht mit eigenen Normen Gewalt antut. An Hand der berühmtesten Gedichtbände, der Biographien, der großen Literatur, die es darüber gibt, gelingt es ihm, etwas von der gewaltigen Dimension dieser Dichtung dem Leser Jes Nordens zu vermitteln, der im allgemeinen so wenig von dem schwer zugänglichen Werk Georges weiß, daß er seinen Namen gern französisch ausspricht, lieber dieses Verdienst hinaus überblickt und ordnet Stolpe sein Material mit vorbildlichem Weitblick, mit Klarheit und Präzision. Wir erleben Ereignisse, wie die Begegnung mit Hofmannsthal im Wiener Cafe Griensteidl, Georges einzige Liebe zu einer Frau, der späteren Gattin Dehmels, Ida Coblenz. die Beziehungen innerhalb des Jüngerkreises, das Verhältnis zum Nationalsozialismus in neuer Weise. Ein Bild des überragenden Dichters, aber auch des „schrecklichen George“ entsteht, das man nicht wieder vergißt.

Der Essay über Friedrich Gundolf bildet inen wichtigen Anhang zu diesem Problem, da der Heidelberger Literaturprofessor den Anspruch auf göttliche Sendung und Autorität, den George stellte, geradezu wissenschaftlich unterbaut hat. Trotzdem keine Spur eines Pauschalurteils von selten Stolpes. Im Gegenteil erweist er seinem einstigen Lehrer alle Ehre und bedauert es, daß es auf schwedischen Hochschulen nicht ein ähnliches geistiges Engagement gäbe, wie er es seinerzeit „unter Gundolfs Katheder“ kennengelernt hat. — Nun haben wir es aber nicht allein mit dem lebhaften Detektivblick Stolpes zu tun, der die Lektüre der Essays oft zu einerrr spannenden Roman macht, sondern mit dem Katholiken Stolpe. Man kann zwar nicht behaupten, daß der Verfasser, betreffend George, zu neuen literarischen Ergebnissen gekommen ist oder einen religiösen Aspekt eröffnet — das gültige katholische Wort über George ist 195 3 von Karl Muth ausgesprochen worden —, aber durch Stolpes Behandlung des Themas ergibt sich trotzdem ein Gewinn. Er sieht nämlich George nicht für sich gesondert, sondern sucht Zusammenhänge. Und das Gemeinsame ist immer wieder das Phänomen der ins Dämonische abgleitenden Dichtung.

Schon vor Jahren hat Stolpe den berühmten Dichter Schwedens, Bertil M a 1 m b e r g, in seiner temperamentvollen Art des ,,Satanismus“ bezichtigt, und die Polemik findet sich auch abgedruckt in diesem Buch. „Er sprengt hier nicht nur das Christentum, sondern auch den Humanismus, er bekennt sich so konsequent, so klar ausgesprochen, so tief- durchdacht zu einem Teufelsglauben, daß es nicht übertrieben ist, seine ganze spätere Dichtung als wirklichen Teufelskontrakt zu bezeichnen“, heißt es da. Der zweite Essay, eine Polemik gegen Harry Martinsons „Sonnen-Ethik“, variiert dieses Thema. — Zwischen George und Malmberg gibt es auch andere Berührungspunkte. Der schwedische Dichter erzählt in seiner Selbstbiographie, daß er zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg den George-Kreis in München erlebt hat. Malmbergs Lyrik stand damals unter seinem Zeichen: seine Verse sind georgesk. Er interessierte sich auch für den berüchtigten Alfred S c h u 1 e r, den Jünger Georges, der als Prophet des spätantiken Römertums und fanatischer Hasser der jüdisch-christlichen Welt auftrat.

Stolpe widmet Alfred Schuler ziemlich viel Beachtung und zeigt dadurch Georges Verbundenheit mit der nationalsozialistischen Ideologie auf: „Er war seinem Herzen nach Heide und sollte es immer mehr werden.“ Der Anspruch auf göttliche Autorität seines Führertums, die Idee, von einem esoterischen Zentrum aus die Welt zu erneuern, bilden Gemeinsamkeiten in den beiden Lagern des Georgekreises und Nationalsozialismus. Die Tatsache, daß Alfred Schuler der Mann war, der die Swastika als Emblem introduzierte und also als „Vater des Hakenkreuzes“ gilt, sagt freilich nichts über eine Teilnahme Georges selber aus, der auch jüdische Jünger, unter ihnen Gundolf und Wolfskehl, hatte. — Der Dichter hat sich am Ende seines Lebens in die Sehweiz zurückgezogen und Ist dort gestorben. Versuche des Dritten Reiches, ihn als nationalen Exponenten zu gewinnen, schlugen fehl. Nicht zuletzt kann die Tatsache, daß der Attentäter gegen Hitler, Graf Stauffenberg, ein Schüler Georges gewesen ist, den Dichter entlasten. Die Beziehungen sind kompliziert, und nichts wäre verfehlter, als übereilte Schlüsse zu ziehen. Was Stolpe hier sucht, ist weder politische Stellungnahme noch das Ausrichten der Fakten nach von vornherein gezogenen Richtlinien, sondern das Studium des Phänomens selber. Hier werden die Verzweigungsstellen sichtbar, wo hochmenschliche Dichtung ins Dämonische übergeht.

Man darf Stolpe, der dieses große Thema behandelt, dafür dankbar sein, daß er es mit so intensivem Engagement tut, dabei kein fertiges Rezept gibt und den Leser mit eigenen Theorien nicht überwältigt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung