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Der Meister und sein Jünger

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Der soeben erschienene Briefwechsel Stefan Georges mit Friedrich Gundolf vermittelt eine wesentliche Erweiterung des George-Bildes. Wir müssen dem Erben Stefan Georges, Dr. Robert Boehringer, sehr dankbar sein, daß er uns diese aufschlußreiche Korrespondenz zugänglich machte, und zusammen mit Georg Peter Landmann in einem sorgfältig edierten und mit Bildern wie Schriftproben illustrierten Buch herausgab. Briefwechsel erscheinen für die neuere Forschung das beste Material zur Erkenntnis und Auswertung menschlicher Beziehungen. Für George lag bislang nur der interessante, aber oft recht negative Briefwechsel mit Hofmannsthal vor, der gleicherweise von Boehringer herausgegeben war, sowie eine kürzere Korrespondenz mit Andrian.

Der Herausgeber betont in seinem Vorwort, daß die Ausgabe alle aufgefundenen Briefe Georges enthält, einige scheinen, allerdings dem Inhalt des Bandes nach ZU urteilen, verloren oder vernichtet. Einiges von Gundolfs Hand ist fortgelassen, aber auch Briefe anderer Freunde, die inhaltlich zur Beziehung George-Gundolf wesentlich sind, wie die von und an Mor-witz, Wolfskehl, Fine und Kahler und andere sind beigefügt worden.

So gibt das Material, das hier auf fast 400 Seiten zusammengetragen ist und mit gedruckten wie ungedruckten Gedichten beider erweitert wurde, ein überaus vollständiges Bild ihrer menschlichen und künstlerischen Beziehungen. Die Freundschaft, die sich über 25 Jahre erstreckt, ist eine der längsten und intimsten Stefan Georges. Der Briefwechsel selbst reicht über 22 Jahre, bis er dann wegen persönlicher Differenzen abbrach.

George lernt den etwa 19jährigen Friedrich Gundelfingen den er sehr bald Gundolf nennt, durch den älteren Freund Karl Wolfskehl kennen, der im Hause der Eltern in Darmstadt verkehrte; der Vater war Mathematikprofessor. Kurz nach seinem Abitur kommt der junge Student nach München und wird hier von George freundlich empfangen. Es liegt im Wesen Stefan Georges, daß er immer nach jüngeren Freunden suchen sollte, die ihm Objekte seines erziehenden Eros wurden. Dieser Freundschaftsbegriff ist eindeutig auf platonisch-sokratische Ideen zurückzu führen. George ist nicht immer glücklicl in seiner Wahl gewesen, wie das Schei tern der Freundschaft mit Hofmannsthal beweist. Gundolf dagegen steht acht Jahre später dem Einfluß des zwölf Jahre älteren Dichters völlig offen. Die zunächst stark distanzierte Beziehung schlägt nach einem Jahr in seine enthusiastische Freundschaft um, auf deren Hintergrund vor allem bei George reiche Lyrik entsteht. Die ersten zwölf Gedichte der „Gezeiten“, des „Siebenten Ringes“ gehören hierher. Sie sind in der ersten Zeit der Freundschaft mit Gundolf geschrieben worden. Auch Gundolfs eigene Verse werden unter der Leitung Georges echter und härter.

Gundolf wird Georges erster „Jünger“, dem dann viele folgen sollten. Der Dichter selbst erscheint als der Meister, ein Titel, der dem Sprachgebrauch der französischen Symbolisten um Mallarme entlehnt wurde und den Georges Freunde zeitlebens für' 'ihn gebrauchten. Das gemeinsam Bindende dieser Freundschaft ist jedoch eine große Werkgemeinschaft, die für beinahe zehn Jahre unter dem Zeichen Shakespeares steht. Die Neuübersetzung Gundolfs in zehn Bänden, die freilich oft nur die alte

Schlegel-Tieck-Übersetzung ausbessert, ist in Wirklichkeit ein gemeinsames Werk der beiden, aber George zeichnet nur für seine Uindichtung der Shakespeare-Sonette verantwortlich. Aus dieser gemeinsamen Beschäftigung mit Shakespeare entsteht dann Gundolfs geniales Erstlingsbuch: „Shakespeare und der deutsche Geist“, an dem er selbst George eine geistige Vaterschaft zuerkennt. Gundolf erobert sich einen Platz im akademischen Leben, er habilitiert sich in Heidelberg und führt eine neue Generation von jungen begabten Studenten zu George. Er vernachlässigt jedoch im Dienste an dem gemeinsamen Werk oft Seine eigene Entwicklung, er ist weiter an der Herausgabe der „Blätter für die Kunst“ tätig sowie an dem seit 1910 erscheinenden „Jahrbuch für die geistige Bewegung“, der ersten kulturpolitischen Zeitschrift des sich nun bildenden George-Kreises. Der Krieg reißt ihn aus all diesen Tätigkeiten heraus, und noch 1916 wird der sensitive Gelehrte in eine Landsturmuniform gesteckt, bis man ihn endlich in eine Schreibstube retten kann. Nach dem

Krieg kehrt er als Extraordinarius nach Heidelberg zurück, schreibt an seinem großen Goethe-Buch und sucht nun zum erstenmal, sein Leben selbständig zu gestalten.

Dabei ergibt sich eine merkliche Entfremdung von George, der äußere Grund ist Gundolfs Wunsch, eine Frau zu heiraten, der er in Liebe zugetan ist, die aber nicht von George anerkannt wird. Es ist kein jäher Entschluß, wie der Briefwechsel zeigt, sondern Gundolf kämpft last fünf Jahre darum, bis er sich endlich von der Starrheit der George'schen Haltung befreit. Unglücklicherweise war sein Körper schon so stark geschwächt, daß ihm nur noch wenige Lebensjahre — und auch diese getrübt von Krankheit und schweren Operationen — verblieben. Er stirbt 1931 an Georges Geburtstag, etwa zwei Jahre vor diesem. Gundolfs eigene Verse zeugen von diesen Konflikten: Eins seiner letzten resignierenden Gedichte lautet:

Meine Jugend war gelenkt. Dumpf, dann willig von dem Meister, Bis ein Stärkerer mich entschränkt: Wahrer schreit ich als Verwaister, Ohne Stab, Geleis und Sttang, Wissend nur noch Gott und Liebe, Durch das schütternde Geschiebe, Den vom Tod gewiesnen Gang. Der sorgfältig herausgegebene Band verzeichnet nun die wichtigsten Briefe, Gedichte und anderen Dokumente dieser Freundschaft und läßt die Tragödie erkennen, die nach so vielen Jahren über beide hereinbrach. Vielleicht ist die heutige Literaturwissenschaft über das Bild, das Gundolf im Sinne Georges vom Dichter — als heldenhafte, mythenschaffende Persönlichkeit — entwarf (Shakespeare-Goethe), hinaus. Die Erscheinung Gundolfs selbst in der neueren akademischen Welt ist einmalig, und erst durch den wechselseitigen Einfluß der Freundschaft mit George kam sie zur vollen Entfaltung. Freilich hat er diesen Einfluß lange mit persönlicher Unfreiheit bezahlen müssen, und das endliche Zerbrechen dieser Beziehung ist eben ein Beweis, daß der platonisch anmutende Freundschaftsbegriff Georges im 20. Jahrhundert nicht realisierbar war. Wohl fand er andere Gefährten, die ihn eine Zeitlang auf seinem Wege begleiteten, aber er hat sich nie über den Verlust Gundolfs getröstet. Doch die starre Haltung seiner letzten Jahre ließ eine Versöhnung nicht zustande kommen. Das Buch gibt in seiner sorgfältigen Zusammenstellung wirklich objektive Biographie und wird damit zu einem Grundstein zukünftiger George-Forschung werden.

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