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Christine von Schweden in neuer Beleuchtung

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Vor einiger Zeit verteidigte der bekannte schwedische Schriftsteller Sven Stolpe (ein Konvertit) auf der Universität Upsala eine Doktorabhandlung über Königin Christine von Schweden unter aufsehenerregenden Umständen. Schon die Tatsache, daß die Disputation, die sonst in einem Hörsaal vor 40 bis 50 Personen vor ifjh..geht„ in der. .Aula vor einem Auditorium von 2000 Personen stattfand, war unik im akademischen Leben des Landes! Aber das Ereignis hatte noch ein sensationelles Nachspiel: Die Approbierung der Dissertation, die Verleihung des Doktorgrades an Stolpe und schließlich die Rede, die er am Abend desselben Tages im Televisionsstudio hielt, entfesselten einen heftigen Zeitungsstreit, der wochenlang dauerte. Die Professoren der Literaturgeschichte, die sein Buch gutgeheißen hatten, mußten sich gegen ihre humanistischen Kollegen von der Geschichtswissenschaft verteidigen, die Stolpes Methode der Quellenforschung als unzureichend erklärten. Viele andere griffen ein. Nach zwei Monaten hat sich der Sturm gelegt, und was aus dem • aufgeregten Stimmengewirr zurückblieb, ist trotz allem die Rehabilitierung Sven Stolpes und seines Christinebildes. Daß es kein endgültiges sein kann, scheint gewiß. Aber ebenso klar leuchtet die Bedeutung des neuen Aspektes ein, den eine jahrhundertealte Forschung dadurch gewonnen hat.

Die Abhandlung erschien gleichzeitig als Buch von fast 400 Oktavseiten bei Bonniers, Stockholm 1959, und heißt „Frän stoicism tili mystik. Studier i drott-ning Kristinas maximer“ — „Vom Stoizismus zur Mystik. Studien über die Maximen der Königin Christine.“ Stolpe legt hier seine Methode dar, von literarhistorischer und psychologischer Seite aus dem Rätsel der Königin auf die Spur zu kommen, während man bis jetzt fast ausschließlich mit den Mitteln historischer Quellenforschung zu Werke ging.

Worin besteht nun das neue Ergebnis? Die Königin war eine sehr widerspruchsvolle Persönlichkeit und schon deswegen bei ihrer Umgebung wenig beliebt. Dazu kommt, daß sie, die Tochter Gustav Adolfs II., des Gründer der schwedischen Großmacht in Europa, nach ihrer Abdankung am 6. Juni 1654 zur katholischen Kirche übertrat — ein Schritt, der damals in Schweden mit dem Tode bestraft wurde. Man hat sie deshalb seit je mit Mißtrauen und Aversion betrachtet. Der durchschnittlich Gebildete, der seine historischen Kenntnisse aus den Schulbüchern bezieht, besitzt auch heute ein fertiges Bild von ihr, das keine sehr sympathischen Züge zeigt. Sie gilt zwar als begabte, ja geniale Frau — in diesem Sinn eine echte Vasa —, aber unweiblich, exaltiert, wenn nicht hysterisch, hochmütig, gefühlskalt, interesselos für die Aufgaben ihrer hohen Stellung und ohne Verantwottung für die Nation, deren erste Dame sie darstellte. Ihren Uebettritt zur katholischen Kirche In dem Augenblick, da Schweden als Großmacht aus dem Dreißigjährigen Krieg hervorgegangen war, hat man ihr niemals verziehen.

Auch in der schwedischen Geschichtsforschung spiegelt sich etwas von dieser Aversion wider. Vor allem bildet das Problem ihrer Abdankung ein Moment, wo verschiedene Auslegungen ihres Charakters zu Wort kommen und deshalb einen alten Zwist unter den Historikern darstellen. Es ergibt sich ja ein ganz anderes Charakterbild, wenn sich nachweisen läßt, daß sie schon vor ihrer religiösen Krise den Entschluß zur Abdankung erwogen hat, als wenn man diesen als Konsequenz ihrer Konversion ansieht. Gab sie den Thron preis, weil die Schwierigkeit, eine Ehe einzugehen und die Nachfolge zu sichern, für sie unüberwindlich war, erscheint ihre Abdikation wie eine Flucht vor der Wirklichkeit und deshalb wenig ehrenvoll für sie. Zu dem Zerrbild, das sich ihre Landsleute von ihr machen, paßt eine 6olche Version, sehr gut, und sie ist auch von einem berühmten schwedischen Historiker vertreten worden.

Es gibt aber auch eine andere Version. Professor Curt Weibull fand in den Folgen ihres Glaubenswechsels das entscheidende Motiv für ihre Abdankung. Christine wußte, daß sie als Katholikin nicht mehr Regentin eines Landes sein konnte, das die protestantische Großmacht Europas repräsentierte, und da die Konversion Lebensbedingung für sie geworden war, gab es keinen anderen Ausweg als dieses Opfer. Nach dieser Auffassung erscheint die Abdankung weltanschaulich motiviert und die Königin selbst als christliche Persönlichkeit.

Sven Stolpe, selbst Konvertit, hätte diese These als Grundlage für seine Studien anwenden und damit am besten den katholischen Interessen dienen können. Er blieb aber bewundernswert unparteiisch und kam dadurch zu ganz anderen Ergebnissen. Es waren weniger die historischen Akten, sondern das zum Teil unbekannte Material ihrer schriftstellerischen Hinterlassenschaft, die ihn interessierten: die beiden Entwürfe zu einer Selbstbiographie, Briefe, Randbemerkungen zu den Schriften, die sie las, und vor allem ihre etwa 1300 Maximen, die aus verschiedenen Lebensperioden stammen. Daraus ergab 6ich ein für ihn selbst erstaunlicher, die schwedische Oeffentlichkeit vollends verblüffender Schluß. Die Königin Christine ist nach dieser Deutung weder aus religiösen Gründen katholisch geworden noch hat sie deshalb abgedankt, sondern aus einer — unbändigen Sehnsucht nach Freiheit: „Christina“, schreibt Stolpe, „trat nicht so sehr deshalb zum Katholizismus über, weil sie ein religiöses Erlebnis von dessen Wahrheit überzeugte, als vielmehr deshalb, weil sie im Katholizismus mehr Bewegungsfreiheit für ihr Freidenkertum erwartete, als sie tatsächlich in dem strengen schwedischen Luthertum fand. Dem steht aber nicht entgegen, daß die Königin ihr Leben lang eine religiöse Natur war und ein starkes Bedürfnis nach Religion hatte... Christinas Konversion war also eher ein Ausfluß ihres Intellekts als da6 Ergebnis einer religiösen Bekehrung ...“ Zu diesem Resultat ist noch kaum ein Forscher gekommen.

Daraus ergibt sich eine weitere Komplettierung. Christine konnte sich 1654 nicht bewußt gewesen sein, welche geistigen Konsequenzen ihr Uebertritt forderte. Erst in Rom, wo sie sich niederließ, und auch dort allmählich, am stärksten im Alter, fand sie den Weg. Aber auch diese Wandlung, die sie doch nie zum Glauben an eine so zentrale Lehre des Christentums, wie es die Inkarnation ist, veranlaßte, mündete in den Quietismus des spanischen Priesters Miguel Molinos, der damals in Rom, sogar auf den Papst Innozenz XL, großen Einfluß ausübte. Als aber die Inquisition gegen seine Lehre auftrat, sie als ketzerisch verdammte und ihn selbst zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilte, bedeutete dies au^h eine Katastrophe für die Königin: sie fand sich plötzlich heimatlos. Mit Hilfe ihres Freundes, des Kardinals Azzolino, gelang es ihr zwar, die Krise zu überwinden und zur Mystik zu finden, aber diese „entbehrt des Christusgedankens“, wie der Verfasser schreibt.

„Vom Stoizismus zur Mystik“ lautet der Titel von Sven Stolpes Buch, und der Leser hat allen Anlaß, dieser auf sorgfältigen Studien gegründeten, fesselnden Detektivarbeit eines geschulten Literarhistorikers und Psychologen Vertrauen zu schenken. Das Geschichtsbild der Königin erscheint dadurch in einem neuen Licht: gesäubert von der konventionellen Voreingenommenheit von einst, aber auch von gutgemeinten Idealisierungsversuchen. Eine Frau, in deren Charakter Machtinstinkt, Sinn für große Kunst und religiöses Bedürfnis sich schneiden, ersteht vor uns. Die internationale Christine-Forschung wird sich diesem neuen Aspekt kaum verschließen können.

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