Die Herausgeber der gesammelten Briefe Rilkes im Inselverlag maditen nicht nur aus der Not eine Tugend, sondern wußten wohl, was sie taten, als sie eines Tages einen Punkt setzten. Denn was nun noch erscheint, vermittelt kaum wesentlich neue Züge. Dagegen bestätigen auch die Korrespondenzen von geringerem Gewicht den hohen Form-Wert der Rilkesehn Briefe, und was zunächst als Manier erscheinen mag, erweist sich bei näherem Zusehen als wirkliche Verdichtung des Privaten und Zufälligen. So auch diese Korrespondenz mit einer jungen Künstlerin, die von Anfang Juni bis Anfang November 1919 reicht. Rilke befand sich, einer Einladung des Lesezirkels Hottingen in der Schweiz Folge leistend, auf seiner ersten Auslandsreise seit Kriegsbaginn. Seine Sorge ist: wird sich die Bruchstelle des Jahres 1914 verheilen lassen? Nach Vorlesungen in der Schweiz und einer Reise nach Norditalien und Paris entdeckt Rilke Schloß Berg am Irchel und Muzot im Wallis, wo er, nach der Valery-Über-•etzung, die „Sonette an Orpheus schreibt und die „Duineser Elegien“ vollendet. Hier-
Conrad Ferdinand Meyer. Der Mensch in der Spannung. Von Helene von Lerber. Irnst-Reinhardt-Verlag AG, Basel. 384 Seiten, 4 Tafeln.
Es ist verständlich, daß eine Persönlichkeit wie C. F. Meyer, dessen Leben äußerlich wenig bewegt, aber reich an inneren Ereignissen war, immer wieder zur Darstellung und Deutung verlockt. Der bereits ziemlich umfangreichen Meyer-Literatur schließt sich dieses Buch, das auf eingehenden biographischen und literarästhetischen Studien fußt, als eine durchaus eigenständige Leistung an. Die Autorin zeigt die innere Spannung gegensätzlicher Seelenkräfte in dem Dichter, den Widerstreit von Künstlertum und Bürgertum, von Individualismus und christlichem Glauben. Von den biographischen Voraussetzung-gen ausgehend, gibt sie ein Bild seines Charakters und seiner Weltansdiauung, wie sie im dichterisdien Werk offenbar wird. .Spannung“ und „Entspannung“ werden, immer vom Gesichtspunkt der wesentlichen Problematik aus, an Hand zahlreidier Bei-piele, die den engen Zusammenhang von Leben und Schaffen beweisen, sichtbar gemacht. Meyer, dem die historische Erzählung ein Mittel war, sich zu maskieren und von der Umwelt zu distanzieren, fühlte sich „gründlich zwiespältig“; er fand die Befreiung von diesem Zwiespalt nicht allein im künstlerischen Gestalten, sondern vor allem im christlichen Glauben. Er erkannte, dar, wir „nur durch ein anderes als wir, durch Gott, zu heilen sind' (Briefstelle) und daß der Mensch nur durch göttliche Gnade zur Einheit gelangen kann. Damit hat er sich zu einer anderen Lösung der tragischen Lebensantinomien bekannt als der Idealismus der Klassik. In verdienstvoller Weise hat Helene Lerber nachgewiesen, daß das christliche Gedankengut eines der stärksten Fundamente von Meyers Werk ist. Das an gehaltvollen und tiefspürenden Einzeluntersuchungen reiche und außerdem stilistisch sehr ansprechende Buch ist ein wertvoller Beitrag zu besserem Verstehen des Schweizer Dichters.
Dr. Theo Trümmer
Hier bin ich, mein Vater. Roman. Von Friedrich T ojr b e r g. Bermann-Fischer-Verlag, Wien.
Diese Erzählung Torbergs, die den Lebensweg eines Wiener Juden vor dem Ausbruch des zweiten Weltkrieges schildert, gewährt Einblick in ein Inferno verhängnisvoller Schicksalsverkettungen, die durch menschliche Schwächen und Charakterfehler entstehen. Nüchtern und sachlich, dafür aber um so eindringlicher, weiß der Autor das Wesen der Hauptperson und der Gegenspieler und Verfolger glaubhaft zu machen, die, jeder seiner Art gemäß, von angeborenen Unzulänglichkeiten bedrückt oder von vorgefaßten Meinungen beeinflußt, zu blinden Werkzeugen ihrer Wünsche und Überzeugungen werden. Torberg hat mit diesem beachtenswerten Buch ein Werk geschaffen, das eine Reihe tiefgründiger Probleme vom Standpunkt des Verfolgten aus zu lösen trachtet und die ewige Frage von Schuld und Sühne mit psychologischer Meisterschaft behandelt.
Alfred Buttlar Moscon
3. November 1918. Das Ende der Armee Österreich-Ungarns. Von Franz Th. C s o k o r. Danubia-Verlag, Wien.
3. November 1918 — ein schicksalsschweres Datum in der Geschichte. An diesem Tag zerbrach die österreichische Südfront im ersten Weltkrieg. An diesem Tag begann die Auf lösung der Armee, in derem Lager — nicht nur in der Phantasie des Dichters — Österreich war. An diesem Tag — nicht früher und auch nicht später — starb Österreich-Ungarn. Csokor hat
über finden sich in den Bändchen einige aufschlußreiche, sehr persönliche Zeugnisse.
Was wir über Rilkes Mutter, die 1931 starb, aus den Briefen des Dichters und des Schwiegersohnes von Rilke, Carl Sieber, wissen, ist dürftig und wenig ansprechend. Wolfgang Schneditz versucht, durch einen Essay diese „unwirkliche“ Gestalt in ein etwas freundlicheres Licht zu rücken und ihre bizarren Züge zu erklären: ihre unglückliche Ehe, die Scheinexistenz als große Dame, ihre eingebildeten Krankheiten, schließlich auch ihre merkwürdige Religiosität. Aber es bleiben der leeren Stellen noch genug, und ein (ebenfalls abgedruckter) Weihnachtsbrief Rilkes aus dem Jahre 1925 an seine Mutter, die er zehn Jahre nicht gesehen hat, spricht mehr für den Schieiber als für die Verfasserin der rund 200 Aphorismen, die 1900 unter dem Titel „Ephemeriden“ in kleiner Auflage in einem Prager Kommissionsverlag erschienen sind und deren Neuauflage nur durch die Tatsache gerechtfertigt erscheint, daß ihre Verfasserin eben — die Mutter Rilkes ist. Dr. H. Albert sein Drama vom Ende der alten Armee in der ersten Republik als einen Epilog geschrieben. 1949 und 1950 nach seiner Neuauflage und abermaligen Inszenierung in einem Wiener Theater hat dieses Stüde nichts an Gegenwartsnahe eingebüßt. . Im Gegenteil. Was noch vor zehn Jahren als eine Art dramatisierter Nachruf schien, erweist sidi heute als eine wahre Schidcsalstragödie, Tragödie des Schicksals der Nationen Mitteleuropas. Doppelt erfreulich ist diese Neuerscheinung, weil sie gerade durch einen sozialistischen Verlag erfolgt ist. War es nur ein Zufall — die Erfüllung vertraglicher Bindungen — oder kann sie als Symptom der Revision einer doktrinären Geschichtsauffassung gewertet werden, die bisher eine positive Betrachtung und Beachtung der österreichischen Vergangenheit erst mit dem Stichtag des 12. November 1918, der Ausrufung der Republik, einsetzen ließ.
Dr. Kurt Skalnik
Demokratie im alten Österreich. Von Waller Schneefuß. Verlag Ferdinand Kleinmayr, Klagenfurt 1949; 173 Seiten, eine Tabelle.
Das Erlebnis hemmungsloser Exzesse unterschiedlicher Nationalismen in jüngster Vergangenheit und Gegenwart weckt im sdiaudernden Zeitgenossen die Sehnsucht nach schöneren Bildern staatlichen Lebens. Die vorliegende sachlidre Beschreibung bekannter, oft jedoch teils absichtlich, teil unwissend verleugneter oder entstellter Tatsachen zeigt uns das altösterreichisdie Staatsleben, seinen Reichtum an demokratischen Rechten, Freiheiten und Einrichtungen, die es allen Völkern, die es bewohnten, zur Verfügung stellte, und läßt die Grundlinie friedlicher Gerechtigkeit erkennen, die die rauhen Mittel der Exekutive ungern und nur dann angewendet hat, wenn es wirklich nicht anders ging. Jedem, der für die Gestaltung des Ge-schiditsbildes Altösterreichs sowohl im eigenen Volk, namentlich in der Jugend, als auch im Ausland mitverantwortlich ist, wird die Lektüre dieses Buches ans Herz gelegt.
Richard Schmitz
Geschichte der Kirche. Lese- und Arbeitsbuch zum Unterricht für die Oberstufe der österreichischen Mittelschulen (in der Sammlung: Der Wg, die Wahrheit und das Leben, Band IV). Von Dr. Anton Maria Pich ler. Herausgegeben vom Erzbischöflichen Ordinariat Wien im Namen des Episkopats von Österreich. Tyrolia-Verlag, Innsbruck-Wien.
Das neue Schulbuch der Kirchengeschichte eines Wiener Religionsprofessors bring uns vor allem eine neue Einteilung der Geschichte der katholischen Kirche in vier Zeitalter: das erste Zeitalter behandelt die Kirche unter den Juden, das zweite die Kirche im Römerreich, das dritte ist das Zeitalter der slawischen und germanischen Völker: das Zeitalter der europäischen Kirche, das vierte Zeitalter derWelt-kirche. Daher gehören die Perioden des Humanismus, der Reformation und der Gegenreformation, also das 16. und 17. Jahrhundert, noch zum dritten Zeitalter, dagegen beginnt das vierte Zeitalter mit der Entdeckung der Neuen Welt im 15. Jahrhundert. Auf den 160 Seiten wird sehr viel Stoff aufgehäuft, der in Form des Arbeitsbuches dem Lehrer reichliche Arbeit gibt. Groß- und Kleindruck wechseln sehr oft, manchmal ohne Berechtigung: zum Beispiel ist die Schlacht an der milvischen Brücke von 312, die immer als Scheide zweier Zeiträume gilt, im Kleindruck nebenbei erwähnt (Seite 161. So könnte man noch über vieles anderer Meinung sein. Sehr gut sind die Abschnitte über Kulturgeschichte, ausgezeichnet die Ausführungen über die Kirchengeschichte Österreichs! •
Schwer wird es für den Lehrer sein, da ihm keine genügende Zeit für die Kirchengeschichte bleibt, das viele Material so darzustellen, daß auch der mittelmäßig begabte Schüler mitkommt und das Interesse an der Geschichte der.Kirche nicht verliert.