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Christliche Dichtung heute

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Der schwedische Konvertit Sven Stolpe zeichnet in seinem Buch „Die christliche Phalanx” ein höchst lebendiges und erregendes Bild jener katholischen Renovation, die, etwa zwischen 1880 und 1930, das Gesicht der französischen Literatur und das geistige Gesicht Frankreichs überhaupt so grundlegend umgestaltete. In sechs repräsentativen Persönlichkeiten verfolgt er diese Entwicklung, die weit über die französischen Grenzen hinaus neue Grundlagen des Denkens und Philosophierens, vor allem aber auch der Existenz, freilegte.

Mit Leon B 1 o y beginnt es, dem großen Vorbereiter, der inmitten einer vom Positivismus beherrschten Welt, in einer Periode argen Verfalls auch der Kirche, zu den christlichen Ursprüngen zurückfindet und der im Skeptizismus befangenen Jugend seiner Zeit neue Perspektiven eröffnet, die Zugänge zum Metaphysischen aufschließt. In Jacques M a r i t a i n, Bloys großem Schüler, der zum Führer der neu thomisti- schen Bewegung Frankreichs und damit zu einem wesentlichen Vertreter und Anreger der katholischen Erneuerung wird, verfolgt Stolpe die Entwicklung weiter. Ihre Vielseitigkeit wird offenbar in Claudel, dessen Weltweite und Lebendigkeit, die er ganz in den Dienst seiner christlichen Dichtung stellt, diese so sehr bereichern und erweitern sollte. „Alles ist bei ihm stark uijd frei entwickelt, und alles — Leben, Glück, Leid, Dichtung, Gedanken und Verkündung — ist mit gewaltigem Griff in den Dienst Gottes gestellt. ..” In seiner Analyse der Persönlichkeit und des Werkes von Franęois Mauriac räumt Stolpe vor allem dessen Verhältnis zum Bösen einen breiten Raum ein. Aehnlich Elisabeth Lang- gässer schildert Mauriac ja immer wieder die Sünde in all ihren verschiedenen Gestalten und in einer Drastik, die nicht jedermanns Sache ist. Die Gründe dafür sieht Stolpe einmal in dem Bemühen um die Bändigung des Triebhaften, die in seiner Gestaltung möglich ist, und zum anderen — auch hierin ist Mauriac der Langgässer vergleichbar —, weil ihm das Wirken der Gnade in einer bösen Welt das Große und Wunderbare schlechthin zu sein scheint, dem nachzugehen er nie müde wird.

Wenn schon bei den bisher genannten christlichen Denkern und Dichtern überrascht, wie sehr sie alle außer den existentiellen der Auseinandersetzung mit Problemen sich auch rein ästhetischen Fragen gegenüber engagieren, wie sie die Kunst als solche ganz ernst nehmen und keineswegs allein vom moralischen Blickpunkt betrachten, gilt das noch mehr für den Abbe Henri B r e m o n d, den aus dem französischen Jesuitismus hervorgegangenen glänzenden Gelehrten und Polemiker, mit dem Stolpe sich eingehend beschäftigt. Bremond griff sehr eindeutig in den von Valėry ausgelösten literarischen Streit über die „reine Poesie” ein und erklärte unmißverständlich sein Einverständnis mit dessen Auffassung, daß „poetische Werke sich selbst genügen”.

Welche großzügigen Ansätze überall, die das Fundament für eine christliche Dichtung ganz hohen Niveaus legen, die das Christentum aus den Fesseln enger moralistischer Vorstellungen lösen und damit seinen eigentlichen Kern, die Liebe Gottes zu den Menschen und die Liebe als bestimmenden Faktor in den mitmenschlichen Beziehungen, wieder sichtbar machen. All die Menschen, mit denen Stolpe sich auseinandersetzt, sind durch Zweifel und Skeptizismus gegangen — das gilt auch für Mauriac, von dem es heißt, daß sein Drama sich immer innerhalb der Grenzen des Katholizismus abgespielt habe —, sie alle haben Irrwege und Irrtümer hinter sich, bevor sie durch ihre Bekehrung neue Menschen wurden. Gerade dadurch fühlt sich der moderne Leser ganz persönlich von ihnen angesprochen; darum vermögen sie ihm zu helfen in seiner Not und Einsamkeit.

Zum Schluß setzt sich Stolpe mit Simone Weil auseinander, jener französischen Jüdin, die nie zum Christentum übertrat, weil sie „draußen” bleiben wollte um all der Leidenden willen, die es auch sind, weil sie es als ihre Aufgabe betrachtete, „einsam zu sein, ein Fremdling zu bleiben und in der Verbannung zu leben”. Und die doch, bis zur Selbstaufgabe, ein zutiefst christliches Leben führte. Stolpe meint dazu:

„Es scheint nickt unmöglich, daß Simone Weil gerade durch ihr Erleben der großen christlichen Mysterien, indem sie sich trotzdem außerhalb der Kirche hielt, zu einer Macht wird, die weit außerhalb jener Grenzen liegt, welche die Kirche bloß selten zu überschreiten vermag. Sie erlebte wie Camus oder Sartre die Schrecken des Daseins …Sie liebte ihre leidenden Mitmenschen wie die Besten der Kommunisten. In ihr vereinten sich fast alle edlen Bestrebungen der Jetztzeit. Deshalb ist Simone Weil jedermann zugänglich und allen begreiflich. Die Christen sehen zu ihrer Beschämung bei dieser ungetauften Jüdin mehr Liebe und tieferes Einleben in die Mysterien, als sie selbst aufbringen können. Und die Nichtchristen erkennen sie als Schwester an, die ihre gemeinsame Sache nicht verraten und sich keinerlei Vorteile zuschanzen will und doch — indem sie den Weg der Liebe bis zum Ende geht — Geheimnisse entdeckt, von denen die meisten nicht einmal eine Ahnung haben. Gerade weit sie der Kirche fernblieb, kann sie eine Brücke bilden . . .”

Inge Meidinger-Geise, bekannt durch ihr umfassendes Werk „Welterlebnis in der deutschen Gegenwartsdichtung” und durch ihren kürzlich erschienenen ausgezeichneten Roman „Die Freilassung”, gibt in dem hier vorliegenden kleinen Büchlein einen „gedrängten Ueberblick der Persönlichkeiten und Werke der katholischen deutschen Gegenwartsliteratur”. Trotz der Bescheidung, die dieser Untertitel der Schrift verrät, ist sie eine höchst instruktive Arbeit, die, neben kurzen Resümees bedeutender Einzelleistungen, ein Bild von den verschiedenen Strömungen, Aufgaben und Zielen der christlichen Dichtung im deutschen Sprachraum gibt. Auch ausländische Einflüsse und Vorbilder werden kurz gestreift, die Auffassungen anderer zeitgenössischer Kritiker einbezogen, so daß auf knappstem Raum ein Gesamtüberblick gelungen ist, der eine enorme Sachkenntnis und ein ungewöhnliches Einordnungsvermögen verrät.

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