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An der Wende der Zeiten

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Die Ergänzung der Gesammelten Werke Franz Werfeis hat eine Neuauflage der „Geschwister von Neapel“ notwendig gemacht. Die Auflage (53- bis 57.000) beweist den hohen Rang, den dieser Roman Werfeis innerhalb des Gesamtwerkes und im Urteil der Leser einnimmt. Mit ihr wird ein Werk des Dichters, das einer früheren Generation binnen wenigen Jahren (ab 1913) zu einem unverlierbaren Erlebnis geworden ist, nunmehr auch einer jüngeren Generation erschlossen, die sich bisher vorwiegend an die letzten Prosawerke Werfeis („Erzählungen aus zwei Welten“, „Das Lied von Bernadette“, „Stern der Ungeborenen“) gehalten hat.

„Die Geschwister voi} Neapel“ Ist die Geschichte eines späten Patriarchats von altrömischer Zucht und Strenge, das im Ansturm der Zeit — die Handlung ist in das Jahr 1924 verlegt — zusammenbricht. Wie aus dem edelsten, härtesten Stoff des Bildhauers gehauen, erstehen die Gestalten, von drohender Größe und ins magische Halbdunkel der Zeitenwende getaucht, vor unseren verzückten und zugleich erschreckten Augen: Don Domenico Pascarella, dessen weltfremde Berufsund Lebensuntüchtigkeit die bisher sorgsam behüteten, von aller Berührung mit der Außenwelt ängstlich ferngehaltenen drei Kinderpaare ins Verderben mitreißt, aus dem sie sich in sehr verschiedener Art an das Ufer einer neuen Zeit retten. Wohin? Wozu? Das Buch, in das ein tragikomisches Faschistenintermezzo seine scharfen Schatten wirft, schließt unheilvoll prophetisch, wie auch noch anderes bei Werfel, mit einer Frage: „Das Zeitalter des Gesanges und Gesetzes ist nun zu Ende. Welches Zeitalter aber hat begonnen?“ Die Antwort darauf fiel erst 15 Jahre später; sie war so furditbar, daß sie den Dichter selber zerbrach.

Werfeis Kunst ist hier vollendet: die Modellierung der Gestalten, das Eintauchen in verborgenste Empfindungen, die souveräne Beherrschung fremdländischer Schauplätze und nationaler Eigenheiten (Neapel, Brasilien und in gewissem Sinne auch England) und nicht zuletzt die dunkel und warmströmende Sprache stellen unverkennbar einen Höhepunkt im Schaffen des Dichters dar.

Werfeis Verhältnis zum Christentum ist hier freilich noch ungeklärter als zehn Jahre später... Neben Sätzen von romantischem Tiefsinn („Denn das vollkommene, das göttliche Gedächtnis ist die Unsterblichkeit und die künftige Auferstehung der Toten“) fallen auch bei aller Ehrfurcht und Achtung vor katholischem Zeremonien- und Brauchtum harte Worte über die „überflüssigen Pfaffen“. „Betschwestern“ und einen „Bezirks- und Sonn-tags-Savonarola“. Von hier bis zum tief erlebten Lied des Mädchens von Lourdes ist es noch so weit, wie in des Dichters Todesstunde von der Christusnähe bis zum entscheidenden, ungesprochen gebliebenen Wort.

Dr. Roman Herle

Südtirol. Ein Bilderbuch von Hugo A t z-w a n g e r. Text von Joseph Georg Ober-kotier. Tyrolia-Verlag, Innsbruck. Großformat, 160 Seiten, 116 Bildtafeln, Halb!. S 48.—.

Wehmut und Freude mischen sich für den Österreicher, der dieses bilderreiche Buch besinnlich genießt, dem Oberkofler den dichterisch beschwingten, ergreifend schönen Text geschrieben hat. Da werden sie alle lebendig, die Erinnerungen an das Zauberland, in dem sich vor dem Wanderer die Majestät des Ge-firns der Marmolata oder des Ortlers, das duftende Gebreite der Seiseralm und die blumenbesäten Wiesen vor den Geislerspitzen, die Edelhofe und alten Burgen des Etschlandes und des Brixener Landes zu einer einzigen und doch so vielseitigen Symphonie vermählten. Du geliebtes Land! Einstmals warst Du ein Stück der österreichischen Heimat, heute bist Du für uns in eine andere Beziehung gerückt, die man mit stillem Schmerz empfindet. Aber irgendwie bleiben wir Dir doch zugehörig. Oberkofler hat recht: „In diesem Lande waltet eine geheimnisvolle Macht, die kein Wort zu entschleiern vermag. Sie durchstrahlt Vergangenheit, und Gegenwart. Auch die Zukunft steht unter ihrem Stern. Sie hat das Land mit unsichtbaren Händen emporgehoben vor die Augen vieler wie einen Edelstein. Aus welchen Tiefen steigt sie wohl? Aus dem Range, den der Schöpfer diesem Lande zugewiesen hat, aus seiner Unvergleichlichkeit, aus seiner Geschichte und — aus der Liebe jener, denen diese Land Heimat wurde.“ Ein Abglanz dieser Macht wirkt auch aus diesem schönen Buch; die stumme Sprache dieser Macht redet aus der meisterlichen Bilderreihe, zu der sich schöpferisch beste Tiroler Lichtbildner mit Atzwanger zusammengetan haben, wie Luis Oberrauch, Leo Behrendt, Ursula Ringler, Fritz Egger, Anton Demanega und Richard Müllner, und sie spricht aus dem ausdruckstarken Begleitwort, das mit den Landschaftsbildern einhergeht. So wird uns auch aus der Ferne das verlorene und doch noch im Herzen unser gebliebene Land beglückend aus diesem Buche lebendig. — Für eine Neuauflage des Buches, das schon durch seine viersprachige Bildbeschriftung anzeigt, für welch großen, nicht durchaus landkundigen Kreises es berechnet ist, wäre ratsam der Anschluß einer Karte, welche dem Landfremden die geographische Situation der gezeigten Landschaften ermitteln hilft.

Dr. Friedrich F u n d e r

österreichisches Jahrbuch 1949. Nach amtlichen Quellen herausgegeben vom Bundespressedienst. Verlag der österreichischen Staatsdruckerei. 450 Seiten.

Die einundzwanzigste Folge des österreichischen Jahrbuchs“ liegt vor, der vierte Band der zweiten Republik. Wie seine Vorgänger berichtet er in nüchterner, sachlicher Sprache über die Arbeit von Regierung und Parlament, von Verwaltung und Wirtschaft. Im Spiegel von Zahlen und Worten entsteht ein Bild des politischen und wirtschaftlichen Wiederaufbaus, der gerade im Jahre 1949 einen großen Schritt nach vorne machen konnte. Kein Lebensgebiet kommt zu kurz, alle sind vertreten: Staats- und Kommunalpolitik, die Welt der Wirtschaft und — erfreulich — auch das kulturelle Leben. Ein guter Gedanke war die Aufnahme der zu Vergleichen so oft benötigten Übersicht über die Nationalratswahlen seit 1918. Das „österreichische Jahrbuch“: ein Werk, das wohl keiner von der ersten bis zur letzten Seite studieren wird, ein Buch, nach dem aber wohl öfter gegriffen wird als selbst nach der spannendsten Lektüre. Dr. Kurt Skalnik

Wer Wind sät... Roman von Adalbert Welte. Verlag Anton Pustet. Graz-Salzburg-Wien. 350 Seiten.

Der heute im Vordergrund desr Vorarlberger Dichtung stehende Autor hat jeh hier ein Thema aus der Geschichte seinef'Heimat gewählt. Leben und Sterben des Grafen Hugo von Montfort, in jenen schwierigen Jahrzehnten des alten Deutschen Reiches, in denen die Herrschaft der Staufer zerbrach und „die kaiserlose, die schreckliche Zeit“ heraufdämmerte. Ein Geschichtsroman also; mit all den ahistorischen Fiktionen, Staffagen, Extempores, die man von diesem Genre gewohnt ist. In einer Sprache, die bisweilen, keineswegs immer, in Bruchstellen sich zwängt zu papierenen, gewollten, „literarischen“ Redensarien. Wir vermerken dies kritisch weil hier eine starke Begabung spricht Dieser Roman vom Sturz eines hoffärtig-eitlen, machthungrigen Lebens, von der Kratt entsagender Liebe, von der Macht der Gnade, beherbergt eine Fülle echter, wahrer Gedanken. Das historische Kostüm, so oft ein Vorwand, ein Flitterkleid dafür, daß ein Schriftsteller nichts zu sagen hat, hier zwingt es den Strom in ein seichtes Bett überholter Formeln und Schildereien ein. Welle hat etwas zu sagen, hat etwas zu geben, sein Gut verträgt, fordert die Gegenwart. Berechtigte Hoffnungen für die Zukunll.

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