6819369-1973_26_07.jpg
Digital In Arbeit

Zweiter Schritt“ der Revolution

Werbung
Werbung
Werbung

FRAGE: Worum bleiben Sie in der DDR, obtuohl dort daran gehindert werden, in Ihrem Beruf zu arbeiten, und obwohl Sie dort nicht eine Zeile publizieren können?

HAVEMANN: Wenn ich ein Feind der DDR und des Sozialismus wäre, dann wäre es ganz selbstverständlich, wenn ich in jenes Wunderland der Freiheit und des Wohlstands hinüberwechselte und dort ätzende Anklagen gegen das System der neostalinistischen Unterdrük-kung veröffentlichte. Aber ich bin gerade das Gegenteil, ein Freund der DDR und überzeugter Sozialist. Wenn ich in den Westen ginge, würde ich sehr darunter leiden, daß ich mich dort kaum politisch betätigen könnte. An dem komplizierten Auseinandersetzungen der Linken könnte ich mich nur schwer beteiligen. Ich würde auch mit Recht von vielen meiner Freunde wegen Fahnenflucht verurteilt werden. Dieser Umstand würde es so gut wie unmöglich machen, mich bei meinen linken Freunden politisch frei bewegen zu können. Ich wäre einfach unglaubwürdig. Im Westen könnte ich mich weder für die DDR einsetzen, noch Kritik an ihr üben, ohne in ein falsches Licht zu kommen. Beides aber kann ich als Bürger der DDR, der in der DDR lebt, in sehr wirksamer Weise tun. Das liegt auch daran, daß ich zu einem großen Teil gar nicht für den Westen, sondern in erster Linie für die DDR und die Länder des Sozialismus publiziere. Es ist mir zwar sehr daran gelegen, daß politisch Interessierte auch im Westen meine dortigen Veröffentlichungen lesen. Aber noch mehr bin ich daran interessiert, daß möglichst viele Exemplare hierher in die DDR gelangen, weil hier die Leser leben, an die ich mich eigentlich wende. Das ist das Vorteilhafte an der Spaltung Deutschlands (es gibt kaum sonst noch etwas, was daran vorteilhaft wäre), daß man in dem einen Teil drucken kann, was die Leute dann in dem anderen Teil lesen können. Das gibt es nur in zwischen Ost und West geteilten Ländern. Meine tschechoslowakischen Freunde zum Beispiel genießen diesen Vorteil nicht. Darum haben sie es sehr viel schwerer, sich in ihrem eigenen Land politisch zu betätigen und es wäre unklug, wenn ich mich dieses Vorteils begeben würde. Wenn ich die DDR verließe, würde ich auch alle meine Freunde hier sehr enttäuschen. Und das Schlimmste wäre nicht einmal die Enttäuschung, die sie über mich empfänden, schlimmer wäre, daß ich ihren Zweifeln an unserer guten Sache Vorschub leisten würde. Weil aber von diesen Menschen, die in den sozialistischen Ländern leben und den Glauben an den Sozialismus nicht verloren haben, die Zukunft abhängt, ist es wirklich Verrat, wenn man ohne dringende Not hier einfach wegläuft. Es ist zwar richtig, daß wir in der DDR — des Warschauer Paktes — den entscheidenden zweiten Schritt wie auch in den anderen Ländern noch vor uns haben, den Schritt der sozialistischen Revolution in die freie sozialistische Demokratie, den unsere tschechoslowakischen Genossen im Jahre 1968 schon unternommen hatten. Auch ist es richtig, daß man sich hierzulande zwar sehr gegen die Konvergenztheorie ereifert, um so mehr aber in praxi Konvergenz der Systeme betreibt, indem nan bedingungslos den Götzen der Consumer-Society huldigt. Aber trotzdem sind wir hier in der DDR unserem Ziel, dem Sozialismus, um einen entscheidenden Schritt näher. Um einen Schritt, von dem die Linken in der Bundesrepublik vorläufig nicht einmal mehr träumen können, nachdem ihr hoffnungsvoller Aufschwung dahin ist. Außerdem ist es ja ganz offensichtlich geworden, daß ein gerüttelt Maß Schuld an den politischen Enttäuschungen, die unsere linken Freunde und Genossen erlebt haben, bei uns liegt. Ohne die gewaltsame Niederschlagung des Prager Frühlings wäre die Zersplitterung der Linken im Westen undenkbar. Die kommunistische Bewegung in den nordischen Staaten, in Frankreich und in Italien wäre ungleich stärker und auch die DKP in der Bundesrepublik hätte vielleicht Chancen bei Wahlen.

Solange es also in der DDR überhaupt Möglichkeiten politischer Betätigung gibt, wird jede politische Aktivität für den Sozialismus hier um ein vieles efek-tiver sein als in der Bundesrepublik. Die Zukunft des Sozialismus in Deutschland wird eben doch hier in der DDR entschieden. Und ich bin überzeugt, daß die Möglichkeiten politischer Betätigung in den kommenden Jahren nicht ab-, sondern zunehmen werden. Dies hängt auch mit der endlich erreichten internationalen Anerkennung der DDR zusammen, deren jahrzehntelange Verweigerung zur inneren Erstarrung wesentlich beigetragen hat.

Wie lange werden wir, deren Schriften hier nicht gedruckt werden und deren Namen hier niemand nennen darf, gezwungen sein, für die DDR im Westen zu publizieren? Genau bis zu dem Tage, an dem auch unsere Genossen hier sich stark genug fühlen werden, sich mit unseren Ansichten und unserer Kritik öffentlich auseinanderzusetzen und bereit sein werden, unsere Artikel, unsere Bücher und unsere Lieder auch hier in der DDR zu veröffentlichen. Ob unsere führenden Genossen wissen, wie sehr das zur Hebung auch ihres Ansehens und ihrer Popularität beitragen würde?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung