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Abstieg zum Hinterhof

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Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, eine Wäh- rungs-, Wirtschafts- und Sozial- union ist keine hundertprozentige Garantie für ein Wirtschafts- wachstum in der Deutschen De- emokratischen Republik. So emp- fanden dieser Tage viele Besucher eine Ausstellung im Dresdner Rat- haus unter dem Thema „Soziale Markt Wirtschaft bringt Wohlstand " als bitteren Zynismus (siehe auch Seite 6).

Jetzt hat sich wirklich Ernüchte- rung in der DDR breit gemacht. Das Sozialprodukt sinkt, ebenfalls die Arbeitsintensität, so mancher DDR-Betrieb stellte seine Produk- tion bereits ein - für ein Land, das laut inländischen Statistiken zu den 20 führenden Industrielän- dern der Welt zählt, ein Drama.

Die Zahl der Arbeitslosen steigt von Woche zu Woche. Man schätzt sie gegenwärtig auf etwa 250.000, während 500.000 DDR-Beschäf- tigte kurzarbeiten. Zum Problem werden daher in absehbarer Zeit jene 150.000 ausländischen Arbeits- kräfte werden, speziell aus Polen, die zur Zeit noch in der DDR be- schäftigt werden. Aber die Regie- rung will sich an alte Abkommen 'halten, auch wenn dies zu Lasten der eigenen Beschäftigten geht.

Für die Bevölkerung der DDR erscheint die Situation als hoff- nungslos, eine tiefe Depression hat sich breit gemacht.

Erwartete Aufträge sind aus- geblieben, genauso wie die Inve- storen. Und gerade mit der Wäh- rungsunion versprach man sich den Einbruch der Konjunkturwelle speziell aus der Bundesrepublik. Der Schub blieb indes aus oder verlangsamte sich von Woche zu Woche. Der Bankverkehr wird noch gehemmt, örtliche Kommunen be- reiten den Investoren oftmals große Probleme, sie geben auf, nicht sel- ten auf Nimmerwiedersehen, und auch die Regelung der vermögens- rechtlichen Fragen ist in vielen Sektoren noch offen. Der schlei- chende Übergang vom Volks- zum Privateigentum erzeugt bei vielen Investwilligen Mißtrauen.

Außerdem wird die DDR nur noch als Markt betrachtet, man will mit wenig Investitionen einen mög- lichst hohen Gewinn erzielen.

Der Tourismus, unter Erich Honecker Stiefkind der DDR-Wirt- schaft, ist ohne Zweifel eine loh- nenswerte Reserve; aber dieses Ge- biet kann nur erschlossen werden, wenn die gesamte Infrastruktur intakt ist - und gerade diese wurde in der DDR unter dem alten Regime systematisch zerstört.

So ist die Gastronomie von der gegenwärtigen Krise besonders hart getroffen; denn der DDR-Bürger, der jetzt ein knappes Drittel von dem verdient, was sein Mitbürger in der Bundesrepublik einstreichen kann, meidet Gaststätten - er kann es sich einfach nicht mehr leisten.

Lange Warteschlangen an den Sparkassen und Banken deuten darauf hin, daß man noch verun- sichert ist - zumal es an Sparkas- sen- und Bankenservice enorm mangelt.

Großbanken wie die „Deutsche Bank",'die „Dresdner Bank", die „Bayerische Hypobank" und an- dere müssen mit Schnellbau- containern in Großstädten aus- kommen. Man ist nicht in der Lage, gerade Banken repräsentative und zentrale Standorte zuzuweisen.

Viele Kommunen sind zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Der kleine Mann auf der Straße sieht die Pro- bleme und leidet unter ihnen - aber wird er emst genommen? Die ge- samtdeutschen Wahlen - jetzt end- gültig am 2. Dezember - werden die Rechnung präsentieren. Momentan genießt die CDU in der DDR noch viele Sympathien.

Im Handel und Dienstleistungs- bereich kommt die Krise auch zum Ausdruck. Eine ökonomische In- tensivierung kann nur gleichzeitig mit einem Wirtschaftsanstieg ver- laufen. Und gerade in diesen Berei- chen könnten Arbeitsplätze ge- schaffen und gesichert werden. Doch das Umdenken in Richtung neue Strukturen fällt gerade der Basis sehr schwer.

Das Grundproblem der Menschen in der DDR liegt aber in der Angst. Eine Angstpsychose hat die Men- schen erfaßt. Es ist die Angst um den Arbeitsplatz, die Angst vordem Verlust der Wohnung, wenn Priva- te die Immobilien übernehmen, die Angst vor noch größeren Teuerun- gen. Ursache für alle diese Proble- me ist die bestehende Rechtsunsi- cherheit. Es ist beispielsweise un- verantwortlich, ohne strikten Wett- bewerbsschutz soziale Marktwirt- schaft praktizieren zu wollen.

Desolater als alle anderen Berei- che schaut die DDR-Landwirt- schaft aus. Seinerzeit im COME- CON das Musterstück, sind heute fast alle Genossenschaften auf- gelöst oder kämpfen hart um ihre Existenz. Welche Modalitäten hier die Bundesrepublik finden wird, bleibt noch offen. Es widerspricht der sozialen Gerechtigkeit, daß Menschen in Osteuropa Hunger leiden, während die DDR einen Überfluß an Schweinefleisch auf- zuweisen hat. Außerdem steht heuer eine Rekordernte ins Haus - und die Bauern haben damit große Ab- satzschwierigkeiten.

Die DDR-Bürger wollen nicht das „Armenhaus der Bundesrepublik" oder gar ihr „Hinterhof" werden. Aber die Tendenz dazu zeichnet sich jetzt ab. Auch wenn Bonn alles un- ternimmt und künftig auch unter- nehmen wird - es zeichnet sich ein langer Prozeß des Zusammenwach- sens ab, trotz rascher Vereinigung, trotz rascher gemeinsamer Wah- len. Doch könnte dieser Prozeß durch die persönliche Solidarität von einzelnen aktiviert und voran- getrieben werden.

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