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Einheitskonto
Immer wieder fällt mir auf, daß in Österreich offenbar viel Verwunderung, wenn nicht gar Befremden darüber herrscht, daß sich die meisten Bundesbürger über die nahende deutsche Einheit gar nicht so recht freuen können. Sind die reichen Deutschen im Westen jetzt wirklich so kleingeistig, klein-k rämerisch und neidisch geworden, daß sie ihre 40 Jahre lang so tief bedauerten Brüder und Schwestern jetzt nicht mehr haben und ihnen nicht mehr helfen wollen?
Noch vor einem halben Jahr hatte es ja viele, insbesondere sozialistische Stimmen in Ost und West gegeben, man solle sich mit der staatlichen Einheit ruhig Zeit lassen, und zunächst eine Art „Österreich-Lösung" anstreben.
Davon hat man freilich schon bald nichts mehr gehört. Wir hätten dann nämlich auch zwei deutsche Staatsangehörigkeiten anerkennen müssen.
Außerdem scheint sich bei den linken Verfechtern der „Österreich-Lösung" herumgesprochen zu haben, daß die Österreicher nach dem Staatsvertrag ihre Selbständigkeit und ihren wirtschaftlichen Aufschwung selber erarbeitet und selber bezahlt haben. Sowas schwebt in der DDR niemandem vor.
Jetzt haben wir in der DDR eine freigewählte Regierung, die aber eigentlich nicht mehr zu tun hätte, als das gröbste Übergangs-Chaos zu verhindern und den Staatsbankrott der SED-Herrschaft abzuwickeln:
Die Amateur-Regierung in der DDR, mit vielen idealistischen Pfarrern als Minister, hat aber gar kein sehr starkes Interesse daran, so schnell wie möglich die Pleite-Firma DDR aufzulösen und in die Konkursverwaltung der reichen Brüder und Schwestern zu übergeben. Sie wollen aber in aller Welt selbst unterschreiben - auf Schecks von unserem Konto!
Der Pfarrer Außenminister ernennt noch flugs ein paar neue Botschafter, die wir zahlen müssen, aber kaum brauchen können. Der Pfarrer Verteidigungsminister hat soviel Spaß an seiner „Nationalen Volksarmee", daß er sie auch nach der Vereinigung noch als deutsche Zweitarmee verteidigen will. Und der Pfarrer Entwicklungsminister betreut gern in sozialistischen Bruderstaaten Projekte, die am Ende auf unsere Rechnung gesetzt werden.
Der ehemals kommunistische Justizminister bringt seine Genossen Richter und Staatsanwälte noch schnell aus der Schußlinie und andere sorgen dafür, daß die höchsten Funktionäre und die höchsten Generäle künftig auch in D-Mark die höchsten Pensionen erhalten. Wir würden uns schon über die deutsche Einheit freuen, aber halt je schneller, desto mehr. Denn jede weitere Woche läßt ein paar Milliarden mehr vom bundesdeutschen Konto in das DDR -Faß ohne Boden versickern.
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