7043602-1990_25_16.jpg
Digital In Arbeit

Einheitskonto

Werbung
Werbung
Werbung

Immer wieder fällt mir auf, daß in Österreich offenbar viel Verwunderung, wenn nicht gar Befremden darüber herrscht, daß sich die meisten Bundes­bürger über die nahende deut­sche Einheit gar nicht so recht freuen können. Sind die reichen Deutschen im Westen jetzt wirklich so kleingeistig, klein-k rämerisch und neidisch gewor­den, daß sie ihre 40 Jahre lang so tief bedauerten Brüder und Schwestern jetzt nicht mehr haben und ihnen nicht mehr helfen wollen?

Noch vor einem halben Jahr hatte es ja viele, insbesondere sozialistische Stimmen in Ost und West gegeben, man solle sich mit der staatlichen Einheit ruhig Zeit lassen, und zunächst eine Art „Österreich-Lösung" anstreben.

Davon hat man freilich schon bald nichts mehr gehört. Wir hätten dann nämlich auch zwei deutsche Staatsangehörigkei­ten anerkennen müssen.

Außerdem scheint sich bei den linken Verfechtern der „Öster­reich-Lösung" herumgespro­chen zu haben, daß die Öster­reicher nach dem Staatsvertrag ihre Selbständigkeit und ihren wirtschaftlichen Aufschwung selber erarbeitet und selber be­zahlt haben. Sowas schwebt in der DDR niemandem vor.

Jetzt haben wir in der DDR eine freigewählte Regierung, die aber eigentlich nicht mehr zu tun hätte, als das gröbste Über­gangs-Chaos zu verhindern und den Staatsbankrott der SED-Herrschaft abzuwickeln:

Die Amateur-Regierung in der DDR, mit vielen idealisti­schen Pfarrern als Minister, hat aber gar kein sehr starkes In­teresse daran, so schnell wie möglich die Pleite-Firma DDR aufzulösen und in die Konkurs­verwaltung der reichen Brüder und Schwestern zu übergeben. Sie wollen aber in aller Welt selbst unterschreiben - auf Schecks von unserem Konto!

Der Pfarrer Außenminister ernennt noch flugs ein paar neue Botschafter, die wir zahlen müssen, aber kaum brauchen können. Der Pfarrer Verteidi­gungsminister hat soviel Spaß an seiner „Nationalen Volks­armee", daß er sie auch nach der Vereinigung noch als deut­sche Zweitarmee verteidigen will. Und der Pfarrer Entwick­lungsminister betreut gern in sozialistischen Bruderstaaten Projekte, die am Ende auf un­sere Rechnung gesetzt werden.

Der ehemals kommunistische Justizminister bringt seine Genossen Richter und Staats­anwälte noch schnell aus der Schußlinie und andere sorgen dafür, daß die höchsten Funk­tionäre und die höchsten Gene­räle künftig auch in D-Mark die höchsten Pensionen erhal­ten. Wir würden uns schon über die deutsche Einheit freuen, aber halt je schneller, desto mehr. Denn jede weitere Woche läßt ein paar Milliarden mehr vom bundesdeutschen Konto in das DDR -Faß ohne Boden ver­sickern.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung