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Montagsdemo

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Nun marschieren sie wieder, die wackeren „Montags-De-monstranten" in Leipzig. Sie protestieren dagegen, daß es der deutschen Bundesregierung bisher noch nicht gelungen ist, den von 40 Jahren Sozialismus hinterlassenen Wirtschafts- und Staatsbankrott nebst Umwelt-Katastrophe schleunigst zu beseitigen. Und unsere SPD- und Gewerkschafts-Führer laufen mit, um möglichst viel parteipolitisches Kapital aus den Problemen der Menschen zu schlagen.

Der Unterschied zu den früheren „Montags-Demonstrationen" ist heute freilich, daß der Protest sich nicht gegen ein mit Panzern installiertes Unrechtsregime wendet. Er richtet sich gegen eine demokratische Parlaments-Mehrheit, die vor einem Vierteljahr frei gewählt wurde.

Die von SPD, SED und Gewerkschaften wenig unterstützten, aber kräftig aufgehetzten Menschen in der Ex-DDR sind enttäuscht, daß die Versprechungen der Regierung Kohl, es werde mit der Wirtschaft bald aufwärts gehen, nicht schnell genug eingelöst wurden.

Auch viele andere ehemalige DDR-Bürger sind gekränkt, weil die „Brüder und Schwestern " aus der alten Bundesrepublik keine Opfer bringen, nicht mit ihnen teilen wollen und ihnen angeblich zuwenig helfen.

Die meisten haben freilich immer noch nicht begriffen, daß das Geld vom Staat nicht einfach aus der Druckmaschine stammt, sondern daß die mehr als 100 Milliarden Mark, die jetzt für die neuen Länder bereitgestellt wurden, von den „Brüdern und Schwestern im Westen" erst einmal hart verdient oder unter Verzicht eingespart Werden müssen.

Viele Deutsche im Westen sind ähnlich enttäuscht von den „Brüdern und Schwestern im Osten", weil sie nicht ganz zu Unrecht den Eindruck haben, daß „die da drüben" einfach auf Ruinen des sozialistischen „Arbeiter- und Bauern-Paradieses" sitzen, die Hände in den Schoß legen und auf das Räumkommando aus Bonn warten, anstatt selbst die Schaufel in die Hand zu nehmen. Was würden die Deutschen aus der DDR machen, wenn die SPD ihre Pläne von der weiteren „Zweistaatlichkeit" durchgesetzt hätte und eine nun wirklich demokratische DDR ihre Probleme ähnlich selbst lösen müßte wie die anderen ehemaligen Ostblockstaaten?

Nun stehen sich die Wortführer in Ost- und Westdeutschland gegenüber wie Osterhase und Gockel und streiten darüber, wer schuld ist, daß zuwenig Eier im Nest sind. Die braven Legehennen aber sind gekränkt, daß sie keine Dankbarkeit ernten. Was not tut, ist eine deutsch-deutsche Völkerverständigung.

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