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Ein einig Vaterland gegen Bevormundung

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Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf die politische Landschaft der neuen Bundesländer Deutschlands die Idee der Gründung einer „Ostpartei". Zwei ehemalige, einander in der letzten Volkskammer vollkommen kontrovers gegenüberstehende Politiker wurden zu Bahnbrechern dieses Vorschlags: der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel und der Chef der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS), Gregor Gysi.

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Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf die politische Landschaft der neuen Bundesländer Deutschlands die Idee der Gründung einer „Ostpartei". Zwei ehemalige, einander in der letzten Volkskammer vollkommen kontrovers gegenüberstehende Politiker wurden zu Bahnbrechern dieses Vorschlags: der letzte DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel und der Chef der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS), Gregor Gysi.

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Grundanliegen dieser Partei soll eine Interessenvertretung der Ostdeutschen in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sein, eine präzise Darstellung der Identität der Ostdeutschen gegenüber der Regierungspartei, aber auch gegenüber der lautstarken Opposition der SPD. Eine Doppelmitgliedschaft wird nicht ausgeschlossen.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist es äußerst kompliziert, die wahren Ursachen dieses kuriosen Parteigründungsvorhabens zu analysieren. Zwei Fragen sind offen: ist dies eine politische Kompensation eines einzigen, ehrgeizigen, eitlen, ein wenig geschwätzigen Politikers und Querdenkers, eben Peter-Michael Diestels, oder wurde der Parteigründungsgedanke im Hinblick auf die negative Stimmung breiter Bevölkerungsschichten inOstdeutschland geboren?

Offen wird darüber gesprochen, daß der eigentliche geistige Vater und Urheber des Gedankens der in Bonn in Ungnade gefallene letzte Ministerpräsident der DDR, Lothar de Maiziere sei. Auch der stellvertretende SPD-Vorsitzende, Wolfgang Thierse, Mitglied des Zentralkomitees Deutscher Katholiken, soll ideologischen Beistand geleistet haben. Er selbst distanzierte sich dann äußerst schnell wieder von seiner Idee nach dem Motto „zwei Seelen leben, ach, in meiner Brust, die eine schlägt für die SPD, die andere fürdieOstpartei". Das war ein kurzer, politisch schizophrener Schub, hernach hüllte sich Thierse in Schweigen.

Diestel gilt als Mann, der sich als Innenminister in einer schwierigen Ära bewährte; der unbeirrt seinen Weg vom DSU-(dem Ost-Pendent zur CSU)- zum CDU-Politiker ging; der dann als Fraktionsvorsitzender der CDU im brandenburgischen Landtag sich tolerant gegenüber dem ins Kreuzfeuer der öffentlichen Meinung geratenen SPD-Politiker und Ministerpräsidenten Manfred Stolpe verhielt; der den Kampf mit seinem Landesverband aufnahm, der fast ausschließlich aus Importfunktionären unter Führung von Ulf Fink aus den alten Bundesländern besteht.

Für Ostdeutsche stellt sich das so dar, daß ein zwar eigensinniger, aber von „Kollaboration" freier Politiker von der eigenen Partei ins Abseits gedrückt wird genauso wie einstens Lothar de Maiziere. Das ganze stellt die ostdeutschen CDU Verbände vor ein Dilemma. Politiker und Beamte aus den Altbundesländern haben das Sagen, ohne auf die Mentalität der Menschen oder die spezifische Situation in den einzelnen Ländern einzugehen. Der ostdeutsche Bürger fühlt sich angesichts der Synthese auf der Ebene der Parteipolitik, aber auch der Administration zum Unmündigen degradiert.

Dazu gesellt sich die schwierige ökonomische Lage, der versprochene Ostaufschwung kommt nur schleppend voran - sicher ist das weniger die Schuld der Bundesregierung, sondern eher der Länder, ja teilweise der Kommunen, die sich in der eigenen Bürokratie verstricken; es fehlt an Initiative und Kreativität. Die neuen Bundesländer sind ein kapitaler Absatzmarkt, aber ihr Anteil am Sozialprodukt ist anteilig äußerst gering.

Die Arbeitslosigkeit zeigt keine sinkende Tendenz, in Groß- und Mittelstädten herrscht Wohnungsnot. Obdachlose sind keine Einzelerscheinung mehr, eine zunehmende Ausländerfeindlichkeit prägt den Alltag, desgleichen steigende Kriminalität.

Der hochintelligente, mit taktischem und demagogischem Vermögen ausgestattete PDS-Chef Gregor Gysi sieht in der Ostpartei eine Chance, sich mit seiner PDS auf Kosten anderer zu integrieren. Die PDS, die nach wie vor den Nimbus der SED-Nachfolgepartei nicht ablegen kann, ist sich dessen bewußt, daß sie bei einer kommenden Landtags- und Bundestagswahl die Fünf-Prozent-Hürde niemals schaffen würde.

Die Reaktionen in Bonn waren bisher zurückhaltend. Die Politikerstimmen aus Kreisen der CDU, Peter-Michael Diestel aus der Partei auszuschließen, häufen sich, aber wie so oft in Deutschland wartet man die weitere Entwicklung ab. Dies betonte Bundeskanzler Helmut Kohl ausdrücklich zu Pfingsten, obwohl er der Idee einer Ostparteigründung eine Absage erteilte und sie als Versuch bezeichnete, „der in die Irre führt". Die CDU-Parteizentrale unterschätzt jedoch die Parteigründungsidee.

Gysi selbst hat zu dieser Partei, deren Konturen noch nicht umrissen sind, noch keine konkrete öffentliche Stellungnahme abgegeben, aber Diestel spricht von einer „illustren Schar aufrechter Streiter". Er nennt sie „Partei der Akzeptanz ostdeutscher Bürger gegenüber Bonn".

Bisher tritt nur Diestel als Parteigründer in den Vordergrund, aber sollte sich ein Lothar de Maizere dazu bekennen, dann hätte diese Partei in Ostdeutschland wohl eine Chance. De Maiziere gilt in breiten Kreisen als „Opfer und Märtyrer Bonns". Aber einsame Rufe aus dem Osten - wie die von Angela Merkel, stellvertretende Vorsitzende der CDU, Mitglied der letzten Regierung de Maizieres -überhört Bonn geflissentlich. Der politische Führungsstil in Bonn ist gegenwärtig geprägt vom alten Konservativismus der Adenauer-Ära. Die Bürger Ostdeutschlands wollen weg von einer Bevormundung.

Die CDU, die mit dem Slogan „Wir sind ein Volk" antrat, hat sie enttäuscht. Der SPD fehlt es an Persönlichkeiten und im Denken des Durchschnittsbürgers ist sie eine „sozialistische Partei". Die FDP als Mittelstandspartei ist dem Ostdeutschen fremd, die Grünen und das Bündnis 90 sind zu spontan und politisch unqualifiziert, teilweise zu radikalen Lösungen neigend, eine PDS kommt nicht in Frage: so sucht der Bürger aus Ostdeutschlandnach Alternativen und diese würde ihm eine „Ostpartei" bieten. Aus verschiedenen Kreisen der Bevölkerung wurden in den letzten Tagen Stimmen laut wie: „Endlich eine Partei, die unsere Anliegen vertritt."

Der politische und psychische Schaden wäre mit der Etablierung einer solchen Partei aber groß und bedauerlich. Denn die Gräben zwischen West- und Ostdeutschland würden nur vertieft werden.

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