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Ressentiments bleiben lebendig

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Zwei süße Nackedeis, händchenhaltend und fähnchenschwenkend, verkündeten: „Gemeinsam sind wir stark!" Damit wollten sie ihre und anderer Kinder Eltern anspornen, am 5. Mai ins Wahllokal zu wandern und für die Fusion von Berlin mit Brandenburg zu stimmen.

Die Politiker waren dafür; diesmal marschierten Manfred Stolpe, Ministerpräsident in Potsdam, und Eberhard Diepgend, Regierender Bürgermeister von Berlin, die Spitzenrepräsentanten von SPD und CDU, Schulter an Schulter. Die Bürger waren eher skeptisch - pessimistische Umfrageergebnisse hatten die Politiker zu einer letzten Werbeanstrengung vor dem Abstimmungstermin angestachelt.

Berlin war seit dem 15. Jahrhundert die Haupt- und Residenzstadt der Kurfürsten von Brandenburg, die sich seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts König „in", später „von" Preußen nannten. Die Reichshauptetadt war Zentrum und Verwaltungssitz der Provinz Brandenburg, der größten des Königreichs, und seit 1918 des Landes Preußen, und selbst die NS-Gauein-teilung, die sich nur beschränkt um gewachsene Grenzen kümmerte, kannte einen Gau Berlin-Brandenburg.

Aber auch Wien hat ebensolange das Zentrum seines Umlandes Niederösterreich gebildet - und sich doch relativ friedlich von ihm getrennt, als die politischen Differenzen in der jungen Republik zwischen „Rot" und „Schwarz" zu groß geworden waren.

Für Berlin-Brandenburg geht's umgekehrt. Hier kam die Trennung erst 1945 - 47 durch die Zerschlagung Preußens, die Teilung der Ex-Reichshauptstadt in einen West- und einen Ostteil und die Kreiseinteilung der DDR, die auch viele andere historische Grenzen beseitigte. Der Sonderstatus der Alliierten für Westberlin verhinderte nach dem Fall der Mauer 1989 und der Wiedervereinigung 1990, daß auch Berlin-Brandenburg

Kein gemeinsames

Bundesland Berlin-Brandenburg: Die Wähler haben entschieden, die Politiker, die für die Fusion kämpften, sind enttäuscht.

in der 1945 gefundenen Form wiedererstanden wäre wie Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt oder Mecklenburg-Vorpommern.

Das sollte nun nachgeholt werden, propagierten die Politiker. Sie erwarteten sich mehr Gewicht durch ein gemeinsames Auftreten im Bundesrat, der Länderkammer, aber auch in Brüssel. Berlin-Brandenburg wäre einwohnermäßig das fünftgrößte unter den dann nur mehr 16 Bundesländern gewesen, nach Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen. Jetzt nimmt Berlin den neunten, Brandenburg den 12. Platz ein.

Nach dem Bruttoinlandsprodukt gemessen, wäre das gemeinsame Land noch nach Hessen an sechster

Stelle gestanden. „Wir müssen die Kräfte bündeln!" markierte auch Staatssekretär Gerd Wartenberg (SPD) aus der Berliner Senatskanzlei das Ziel der Bemühungen.

Mit sechs Millionen Einwohnern hätte Berlin-Brandenburg jene Größe gehabt, die schon im Grundgesetz von 1949 als optimal angesehen wurde. Nur einmal, 1952, als sich Baden,

Württemberg und Ho-henzollern zusammenschlössen — auch damals gab es massive Widerstände in allen drei Landesteilen -kam der Auftrag des Grundgesetzes zur Neuordnung zum Tragen. Um die Existenzfähigkeit der Kleinsten im Bund, Saarland und Bremen, wird seither gestritten.

Der Taxifahrer vom Bahnhof Wannsee, obwohl dem Akzent nach Urberliner, zeigte in den Tagen nach Ostern völliges Desinteresse. Seit er wieder frei in die „Zone" fahren kann, ist es ihm egal, ob er dabei eine

Verwaltungsgrenze überschreitet. „Die wer'n det Kind schon schaukeln", überläßt er den Politikern das handeln. Wird er zur Wahl gehen? „Det wees ick noch nich!"

Deswegen holten sich Diepgen, Stolpe & Co prominente Helfer, um die flaue Stimmung aufzubessern. Harald Juhnke, die Schwimmerin Franziska von Almsick, der Boxer Harry Maske standen bereit, für die Fusion zu werben.

Bundestagspräsidentin Rita

Süßmuth - nicht für alle Wähler ein Lockvogel - plädierte für Ja, und auch Politiker anderer Länder gaben Schützenhilfe, weil sie fürchteten, bei einem Nein alle Hoffnungen auf wei-

tere Fusionen aufgeben zu müssen.

Leserbriefe in den Zeitungen polemisierten gegen Stolpe, den zu erwartenden Ministerpräsidenten des gemeinsamen Landes. Ihm hängt die Kampagne wegen angeblicher Stasikontakte während seiner Funktion als Vertreter der Evangelischen Kirche in der DDR immer noch nach. Aber auch die CDU Westberlins stieß auf Ablehnung, weil sie angeblich kein Interesse an Ostberlin zeigt. Ressentiments bleiben lebendig - Ossi gegen Wessi, CDU gegen SPD, Großstadt gegen „Provinz".

Westberliner, die 40 Jahre lang „die Ohren" dem Osten gegenüber

„steif hielten" (und gar nicht merkten, wie sie unter einer Inselneurose lebten), fürchten die Verstärkung der Ossis in den wiederangeschlossenen Ostbezirken durch die Genossen auf dem Land. Die Brandenburger hören nicht gerne markige Sprüche aus dem CDU-Lager, wonach die „sozialistischen Wärmestuben" mit „eisernem Besen ausgekehrt" werden sollten. Und die SED-Nachfolgepartei PDS war sowieso dagegen, konnte in letzter Zeit aufholen und „siegen".

„Europa ist unsere Zukunft, Deutschland unser Vaterland, Berlin-Brandenburg unsere Heimat!" versicherte Diepgen pathetisch.

Berlin wäre als kreisfreie Stadt wieder von einem Oberbürgermeister statt einem „Regierenden Bürgermeister" verwaltet worden und allein auf seine Funktion als wiederbelebte Bundeshauptstadt konzentriert gewesen. Verwaltungssitz des gemeinsamen Landes wäre Potsdam gewesen -wie bisher für Brandenburg - mit der Notwendigkeit für alle Bürger, die im Osten Berlins wohnen, quer durch die weit ausgedehnte Großstadt zu fahren, um ihre Behördenwege zu erledigen. Das wäre noch umständlicher geworden als für die Niederösterreicher heute, von Gänserndorf oder Gloggnitz ihre neue Hauptstadt St. Pölten zu erreichen.

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