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Kooperation über Parteigrenzen hinaus

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Bei der Wende in der DDR vor fünf Jahren haben evangelische Pfarrer eine entscheidende Rolle gespielt. Heute haben einige Verantwortung in Ge-samtdeutschland.

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Bei der Wende in der DDR vor fünf Jahren haben evangelische Pfarrer eine entscheidende Rolle gespielt. Heute haben einige Verantwortung in Ge-samtdeutschland.

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Eigentlich stand an jenem Abend Ende August 1989 in der Berliner Golgathakirche ein Vortrag über die Französische Revolution auf dem Programm. Diskutiert wurde dann aber über einen Umsturz im eigenen Land. Dabei wurde die Idee geboren, doch eine Sozialdemokratische Partei in der DDR (SDP) zu gründen. Nach der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur SED 1946 gab es außer der offiziellen Staatspartei keine unabhängige linke Gruppierung. Aber es dauerte bis Anfang Oktober, bis der Entschluß umgesetzt werden konnte.

„Das war eine spannende Zeit“, erinnert sich der damalige Pfarrer der Golgathakirche, Wolfgang Ull- mann. Der damals 60jährige Dozent für Kirchengeschichte schloß sich dann aber doch nicht den Sozialdemokraten an, sondern ging einen anderen Weg. Ullmann gehörte im September 1989 zu den Gründungsvätern der Bürgerbewegung „Demokratie Jetzt“, die neben dem „Neuen

Forum“ die einflußreichste Oppositionsgruppe im Wendeherbst war. 1990 saß der gebürtige Sachse als einer der Vertreter der Bürgerbewegungen am „Runden Tisch“ und trat in dieser Funktion auch als Minister ohne Geschäftsbereich in die DDR-Übergangsregierung unter Ministerpräsident Hans Modrow ein. Nach der Vereinigung im Oktober 1990 zog Ullmann für das „Bündnis 90“, der politischen Plattform der Bürgerbewegungen, in den Bundestag ein. Von dort wechselte er vor kurzem in das Europaparlament.

Die SDP-Parteigründung fand also ohne Ullmann am 7. Oktober 1989 im Pfarrhaus von Schwante, ei-1 nem Dorf 20 Kilometer nördlich von Berlin statt. 50 Mitstreiter hoben an diesem geheimgehaltenen Ort die junge Partei aus der Taufe. Die Aufgabe, Korrespondenten bundesdeutscher und ausländischer Medien über diesen Schritt zu informieren, kam einem 29jährigen Mann zu: Steffen Reiche, Pfarrer in einem brandenburgischen Ort namens Christinendorf. Als Postbote in geheimer Mission schob er den Journalisten Mitteilungen durch die Wohnungstür. Der SDP-Mitbegründer wurde im vereinigten Deutschland SPD-Landesvorsitzender von Brandenburg und ist seit einigen Wochen Minister für Unterricht und Kunst in diesem Bundesland.

In Brandenburg ist bereits Manfred Stolpe Ministerpräsident. Der ehemalige stellvertretende Vorsitzende des Evangelischen Kirchenbundes steht seit Jahren unter dem

Verdacht, mit dem Ministerium fül Staatssicherheit zusammengearbeitet zu haben. Hinreichend bewiesen konnten diese Vorwürfe allerdings noch nicht werden. Einer, der diese Anschuldigungen wiederholt öffentlich behauptet hat, ist der Bundesbeauftragte für die Auflösung der Stasi-Akten, Joachim Gauck.

Seit sich Gauck im Herbst 1989 bei der Bürgerbewegung „Neues Forum“ zu engagieren begonnen hatte, stand die Aufdeckung des Überwachungsapparates des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Mittelpunkt seiner Aktivitäten. In der letzten DDR-Volkskammer wurde der Abgeordnete des „Neuen Forums“ zum Vorsitzenden des parlamentarischen Sonderausschusses zur Überprüfung der MfS-Auflösung gewählt. Als im Einigungsvertrag die Schaffung einer eigenen Behörde zur Aufarbeitung der Stasi-Akten festgeschrieben wurde, war der nunmehrige Bündnis-90-Abgeordnete im Bundestag der logische Kandidat für den Posten dieses sensiblen Amtes. Einen pastoralen Mitstreiter für Entlassungen von Stasi-Spitzeln aus dem öffentlichen Dienst hat Gauck in Heinz Eggert gefunden.

Dessen radikale Säuberungsaktionen haben dem schon bald vom „Neuen Forum“ zur Ost-CDU übergewechselten Studentenpfarrer den Spitznamen „Pfarrer Gnadenlos“ eingebracht. Der sächsische Innenminister ist auf Bundesebene stellvertretender Parteivorsitzender. In dieser Funktion sieht er sich gerne als „Stimme für Ostdeutschland“. Im allgemeinen wird mit diesem Attribut der Wittenberger Pfarrer Friedrich Schorlemmer versehen. Wie kein anderer meldet sich der Prediger der Luther-Kirche zu Wort, wenn er glaubt, ostdeutsche Interessen seien verletzt worden.

Schorlemmer gehörte gemeinsam mit dem Berliner Pfarrer Rainer Ep- pelmann zu den Initiatoren der Bürgerbewegung „Demokratischer Auf- bruch“. Im Wendeherbst stritten beide gemeinsam für eine Sache. Später konnten politische Auffassungsunterschiede nicht mehr-überbrückt werden. Schorlemmer ging zur SPD, er ist Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Wittenberg. Eppel- mann sitzt als CDU-Abgeordneter im Bundestag. Obwohl die DDR- Theologen nun in verschiedenen Parteien aktiv sind, gibt es eine partielle Zusammenarbeit über Parteigrenzen hinweg, sagt Ullmann.

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