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RANDBEMERKUNGEN

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KEIN ERDRUTSCH AN DER MUR. Die mil einiger Spannung erwarteten Gemeinderatswahlen in der steirischen Landeshauptstadt vom vergangenen Sonntag sind ohne Sensation geblieben. Trotz verschiedener schwacher Stellen der sozialistisch geführten Kommune, die durch den letzten Rechnungshofbericht allgemein bekannt wurden, ist der Volkspartei der Sprung an die Spitze, der durch das Ergebnis der letzten Nationalratswahlen (68.177 Wählern der SPOe hefteten sich 63.397 der OeVP an die Fersen) möglich schien, auch diesmal nicht gelungen. Ja, die Volkspartei muhte sogar eine kleine Abschwä-chung verzeichnen, da diesmal nur 56.790 Stimmen ihren Kandidaten zugute kamen, während die sozialistische Seite eine weitere Steigerung auf 71.206 Stimmen für sich buchen konnte. (Gegenüber den letzten Gemeindewahlen verteilt sich der Stimmenzuwachs allerdings gleichmäßig.) Mit einem politischen Comeback von Handelsminister a. D. Udo I I I i g als Bürgermeister von Graz ist also für diesmal nichts geworden. Stabilisiert in enge gezogenen Grenzen scheint sich das „freiheitlich“ firmierte deutsch-nationale Lager zu haben. Von 26.773 Wählern der letzten Kommunalwahlen folgten nur noch 18.019 den reichlich abgestandenen Parolen — so wurde bei der Vorstellung ihrer Kandidaten

in einem Flugblatt bei keinem vergessen zu erwähnen, daf er dieser oder jener Gliederung der NSDAP angehört hatte (!). Gegenüber dem Ergebnis der letzten Landtagswahl war allerdings eine Erhöhung um mehr als 2000 Stimmen zu verzeichnen. Welche Gründe den Ausschlag gegeben haben, dafj der Volkspartei trotz guter Ausgangspositionen der Durchbruch nicht gelang, läfjt sich bis heute von Wien aus nicht beurteilen. Eine Tatsache ist, daß die für die Werbung „nationaler“ Randschichfen gedachte Placierung eines ehemaligen SA-Standartenführers auf- der VP-Liste in den Kreisen der ansonsten in dieser Richtung schön einigferrriäljen' abgehärteten Stammwähler der Volkspartei das erste Mal beträchtliche Unruhe hineingetragen hat. Sind die Lehren der Bundespräsidentenwahl 1957 — Mehr Rücksicht auf die Kern-schichfen — schon wieder vergessen?

NOT, WÜRGENDE NOT — an Schulraum! Aus dem Unterrichtsministerium kommt ein Alarmruf. Wie der Generaldirektor für das berufsbildende Schulwesen, Ministerialrat Dipl.-Ing. Cech, verlauten lief;, benötige unsere moderne Wirfschaft in Oesterreich gut 3000 Techniker — ganze 900 „beherbergen“ unsere alten, verfallenden Schulen. Das „Technologische“ in der Währinger Strafje, eine häßliche, abbruchreife Fabrik, bröckelt langsam, aber sicher ab. Trostlos ist die Lage bei den berufsbildenden Schulen für Mädchen. Die Kosten für die Abhilfe? Rund herausgesagt: 50 Millionen jährlich für Neubauten,' dazu 10 Millionen jährlich für Neuanschaffungen. Ueberhaupt die Schulbauten (fügte der Ressortchef selbst hinzu). Nicht nur in Graz, wo die Situation zum Himmel schreit, sondern überall. Rund 500 Millionen seien für die dringendsten Bauten nötig. Selbst wenn sich das Unterrichtsministerium diesen Betrag wieder auf fünf Jahre aufgeteilt vorstellen könnte, sei man bereits für dieses Jahr im Rückstand, denn das Budget sehe dafür nur 72 Millionen vor. Die derzeitigen Kosten befragen 16 bis 18 Millionen für eine Mittelschule, 30 Millionen für eine mittlere technische Lehranstalt. Ein Silbersfreif am Himmel: Auf einer Tagung des Akademikerbundes wurde kürzlich der Vorschlag gemacht, eine Anleihe (man sprach von 200 Millionen) für Investitionen auf dem Gebiete der Kultur aufzulegen. Der Unterrichfsminister meint, man dürfe diesen Befrag nicht verzetteln, sondern müsse ihn zur Gänze auf die Schulbaufen werfen. Die Frage sei damit noch nicht gelöst, aber wesentlich entlastet. Wir stimmen bei: Hier muh einfach eingegriffen werden. Die Schulen sind die (Grundsteine für die kommende Wirtschaft und Wissenschaft und damit für das Leben überhaupt. *

DER RISS IN BONN. Die Bitterkeit der außenpolitischen Debatte in Bonn hat ihre Grundlage nicht in den feilweise sehr persönlichen und unsachlichen „Argumenten“, zu denen sich dieser und jener Abgeordnete hinreißen ließ, sondern in der harten Tatsache: daß alles, was da umstritten wurde, schon vorher entschieden war. Also: die Ablehnung der vier Anträge der Sozialdemokraten, die einen Verzicht auf nukleare Bewaffnung und Verhandlungen über eine atomwaffenfreie Zone in Europa forderten. Zum anderen: die Billigung der Atomwaffen-politik der Regierung durch die absolute Mehrheit, über die sie im Bundestag verfügt. Die Minister gehen also mit klaren Marschbefehlen an die Front der Verhandlungen mit den westlichen Verbündeten Westdeutschlands. Das heifjt: Bundesverteidigungsminister Straufj wird Mitte April auf der NATO-Konferenz in Paris der Einführung von Doppelzweckwaffen (mit oder ohne atomarem Sprengsatz) in Deutschland zustimmen. Autjenminister Brentano wird Anfang Mai auf der Ratssitzung in Kopenhagen dem Atomwaffenprogramm für Europa zustimmen. Im Laufe des Frühsommers werden deutsche Soldaten in den USA in der Bedienung von Atomwaffen für den Erdkampf ausgebildet, Die Heeresstreifkräfte der Bundeswehr werden für die Verwendung taktischer Atomwaffen umgegliedert. — Das sind furchtbare Tafsachen. Der schmale westdeutsche Raum wird ein Afom-waffenraum. Bundeskanzler Adenauer erklärte in der Debatte selbst, dafj im Falle eines künftigen Krieges Deutschland vernichtet würde, wie immer er auch ausgehen würde. — Die Erregung im Bundestag erreichte einen ihrer vielen Höhepunkte, als Helene Wessel (eine Katholikin, früher Zentrum, jetzt SPD) der Regierungskoalition vorwarf, ihr Glaube an die Atombombe sei gröfjer als der Glaube an Gott. — Wie denn überhaupt die Berufung auf Gott hüben und drüben immer wieder aufklang in diesem grofjen, schweren Streit, der einen Rifj mitten durch Deutschland anzejgt. Man hat, hüben und drüben, diese Berufung auf Goft getadelt. Wann aber soll er genannt werden, wenn nicht in einer Auseinandersetzung, in der es um Leben und Tod vieler Millionen Menschen geht? Die Opposition erbitterte sich besonders über die Weigerung Doktor Adenauers, über einen erweiterten und modifizierten Rapacki-Plan zu verhandeln. Hier halten bekanntlich in Abwesenheit Dr. Adenauers während seines Urlaubes an der Riviera prominente Vertreter der CDU/CSU, so Bundesfagspräsident Gersfenmeier, Außenminister Brentano, Georg Kie-fjinger und andere, selbst Meinungen vertreten, die sehr anders waren, als sie die nach schweren inneren Auseinandersetzungen in den letzten Wochen und Tagen nunmehr geschlossen auftretende CDU-Fraktion im Bundestag vertraf. — Der Bonner Kanzler verhehlt sich die Schwere der ihm von der Opposition vorgeworfenen Momente keineswegs, er ist aber der Ueber-zeugung, dafj, wenn jetzt Westdeutschland nicht möglichst schnell Tatsachen schafft, sich als aktive Atombasis zur Verfügung stellt, das Schreckgespenst, das seit Jahren riesengrofj über Bonn hängt, gröfjer als die Angsf eines Atompilzes, Wirklichkeif wird: Verhandlungen zwischen USA und UdSSR unter Ausschaltung der europäischen Verbündeten.

KOMPLOTT-ROMANEN) Kennen Sie einen - i.Kampfverband für unabhängiges Deutschland?“ Die Elsässer haben ihn kennengelernt, als ihnen dieser Tage die Post ein Flugblatt ins Haus brachte, um „uns zu Erinnerung“ zu bringen, wie es darin heitjf. Die Elsässer waren darob nicht erschrocken oder erbittert, sie waren erheitert oder beschämt. Die Elsässer sind kein Volk, das mutwillig Streit sucht. Wenn sie in einen Kampf gedrängt werden, dann meist gegen ihren Willen und nur um des einen Zieles willen: Elsässer bleiben zu können in ihrem französischen Vaterland. Zur Zeit geht es wieder um ihre Muttersprache, genauer um die Schriftform ihrer Muttersprache. Die Elsässer wollen, dah ihre Kinder in den Schulen des Landes, so wie vor dem zweiten Wellkrieg, einige Stunden mehr Deutschunterricht erhalfen. Gegen dieses Verlangen haben sich die im Oberelsafj tätigen französischen Schulinspektoren gewendet. Da platzt nun in die Diskussion, die von den Elsässern mit Argumenten der Sachlichkeit, der Nützlichkeit und auch der Menschlichkeit geführt wird, dieses Flugblatt eines „Kampfverbandes für unabhängiges Deutschland“. In diesem Flugblatt werden die Männer, die für die Einführung eines verstärkten Deutschunterrichtes plädieren, als „tapfere und treue Männer“ bezeichnet, jene, die dagegen waren, als „Feiglinge“, da wird von „gerechten Ansprüchen in Elsafj-Lothringen“ gesprochen, und das ganze ziert ein eisernes Kreuz, umrahmt von Eichenlaub. Aber wie gesagt, die Elsässer sind deswegen nicht erschrocken. So viel Deutsch können sie ja doch, um zu erkennen, dafj in den 30 Zeilen dieses Flugblattes 13 schwere stilistische und grammalische Fehler waren, dafj dieses Flugblatt in einer altdeutschen Fraktur gedruckt wurde, die in Deutschland selbst schon lange nicht mehr verwendet wird, daf; der Texf von einem Setzer gesetzt werden mufjte, der gewitj nicht gewohnt war, deutsche Texfe zu setzen. Dafj dieses Flugblatt in Paris aufgegeben war, fiel dabei nicht einmal besonders ins Gewicht. Aber die Elsässer wären nicht die Elsässer und erfahren, leidvoll erfahren, in einem jahrhundertelangen Kampf, wenn sie nicht auch hier erkennen würden, was gespielt werden sollte. „Die Urheber derartiger Machenschaften, wie dieses Manifestes des .Kampfverbandes für unabhängiges Deutschland' müssen wissen“, schreibt die Colmarer Zeitung „Le Nouveau Rhin Francais“, „dafj solche Methoden in der Vergangenheit stets die gegenteilige Wirkung erzielten und auch heute und in Zukunft nicht verfangen werden. Dazu ist die elsässische Bevölkerung zu intelligent und durch allzu viele Erfahrungen und Erlebnisse gefeit gegen das Gift von Komplott-Romanen.“

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