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Für eine europaweite Initiative gegen die Massenarbeitslosigkeit
Unsere Sozialdemokraten haben sich im Wahlkampf wieder auf ihre soziale Bestimmung besonnen. Die deutschen Genossen haben ebenfalls ihr Profil verändert.
Unsere Sozialdemokraten haben sich im Wahlkampf wieder auf ihre soziale Bestimmung besonnen. Die deutschen Genossen haben ebenfalls ihr Profil verändert.
Seit sich Oskar Lafontaine auf dem Mannheimer Parteitag Mitte November an die Spitze der deutschen Sozialdemokraten gesetzt hat, hat sich das Profil der SPD merkbar verändert. „Sie ist wieder linker geworden", meint die stellvertretende Vorsitzende Heidemarie Wieczorek-Zeul. Der saarländische Ministerpräsident hat als Parteichef neue Akzente gesetzt: So hat er der Partei eine pazifistischere Haltung verordnet, das Verhältnis zur postkommunistischen PDS geändert und eine modernere Wirtschaftspolitik auf den Weg gebracht.
Vor allem aber nimmt er sich wieder jener Klientel an, die sich mehr und mehr von den Sozialdemokraten abgewandt hat: den Arbeitnehmern und den Arbeitslosen. Nach wenigen Tagen im Amt legte Lafontaine ein „Zehn-Punkte-Programm für Arbeit" vor, das zwar keine wesentlich neuen Vorschläge beinhaltete, aber Signalwirkung hatte.
Die SPD befindet sich gerade mit der Ausrichtung ihrer Wirtschaftspolitik in einem Dilemma. Angesichts von vier Millionen Arbeitslosen in Deutschland werden automatisch viele soziale Errungenschaften in Frage gestellt. Auf welche Seite soll sich die SPD stellen? Verteidigt sie die Interessen der Arbeitnehmer, schwinden damit weiter die Hoffnungen der Arbeitslosen auf einen Job. Umgekehrt zieht sie sich den Zorn der Arbeiter zu. Doch sogar die Gewerkschaften bieten mittlerweile an, auf übermäßige Tarif forderungen zu verzichten, wenn im Gegenzug mehr Arbeitnehmer eingestellt werden.
Die Sozialdemokraten entschieden sich auf dem Parteitag nach langer, harter Diskussion, sich von einigen ihrer bisherigen Dogmen zu verabschieden. Sie segneten ein neues Wirtschaftsprogramm ab, das unter Lafontaines Federführung entstanden ist. Darin heißt es unter anderem: Ansprüche an den Staat müßten heruntergeschraubt werden. Bei anhaltender Massenarbeitslosigkeit seien soziale Sicherungssysteme auf Dauer nicht mehr finanzierbar. Außerdem sprach sich die SPD für flexiblere Arbeitszeiten und ein neues Tarifsystem aus.
Gleichzeitig überraschte Lafontaine in der Adventszeit mit dem Vorschlag, eine höhere Neuverschuldung in Kauf zu nehmen, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Daß bei der Umsetzung seiner Forderung die Teilnahme Deutschlands an der EU-Währungsunion gefährdet wäre, nimmt der Maastricht-Gegner gerne in Kauf. Sein Credo: Statt mit „preußischer Disziplin" am Stabilitätsziel festzuhalten, sollte die Begierung mehr die Konjunktur ankurbeln. Außerdem sollte Deutschland eine europaweite Initiative gegen Massenarbeitslosigkeit starten.
Von der Bonner Begierung werden solche Vorstöße grummelnd abgewiesen. Doch Bundeskanzler Helmut Kohl ist klar, daß Lafontaine ein viel schärferer Widersacher ist, als sein Vorgänger Budolf Scharping dies war. Deshalb nutzten CDU/CSU und FDP das Gespräch zwischen PDS-Chef Gregor Gysi und Lafontaine als willkommene Geligenheit, um das Gespenst der „linken Volksfront" an die Wand zu malen. Mit diesem Treffen brach der „Napoleon von der Saar" auch mit einem Tabu innerhalb seiner Partei. Nicht mehr ausgrenzen, sondern auseinandersetzen heißt die neue Taktik.„Wir müssen aufpassen, daß wir uns nicht durch die Umarmungspolitik der SPD erdrücken lassen", warnt PDS-Spitzenpolitiker Gysi seine Parteifreunde. Der symbolische Händedruck Lafontaine - Gysi verschafft auch der SPD in Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen mehr Spielraum. In beiden Bundesländern gingen die Genossen zähneknirschend eine große Koalition ein. Seit Lafontaines Wahl drohen sie mehr oder weniger offen damit, auszusteigen. Mit Hilfe der PDS könnten sie eine Minderheitsregierung bilden. Daß dies tatsächlich ein Befreiungsschlag für die SPD wäre, bezweifeln jedoch viele Parteifreunde.
Ob der von Lafontaine vorgenommene Kurswechsel bei den Wählern Anklang findet, wird sich im März zeigen. Die drei anstehenden Landtagswahlen (Bheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein) gelten nämlich auch als Testwahl für den neuen SPD-Chef.
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